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Wenn zu Hause Krieg ist

An der einstigen Grenze zwischen Ost- und Westeuropa: Die zweieiigen Zwillinge Anna und Lena Koval (20) kamen im Juli 2015 aus Lugansk nach Frankfurt. Mittlerweile sind sie angekommen in Deutschland, sie studieren in Frankfurt und jobben in Berlin.

Frankfurt (Oder) ( ) Es war ein heißer Sommertag, die Straßen in Frankfurt menschenleer, als sie mit dem Bus über die Oder kamen. Lena und Anna Koval waren müde von der eintägigen Fahrt, als sie ihr Wohnheim im Süden Frankfurts erreichten. An den 3. Juli 2015 werden sich die Schwestern mit ukrainischem Pass noch lange erinnern, das wird bei einem Spaziergang an der Oderpromenade ihrer neuen Heimat deutlich. Es war ihr 17. Geburtstag.

Seitdem hat sich im Leben der Schwestern viel verändert. Die jetzt 20-Jährigen sind gereift, haben sich eingelebt in Deutschland. In Frankfurt studieren sie Wirtschaft an der Europa-Universität, nebenbei jobben sie bei einer großen Steuerberatung in Berlin. "Wir haben uns schnell mit Stadt und Uni angefreundet", sagt Anna Koval. Die junge Frau, modisch gekleidet und glattes braunes Haar, ist genau zwei Minuten älter als ihre Schwester Lena. "Zeit für Heimweh war sowieso nicht viel", ergänzt diese in fließendem Deutsch. "Schließlich haben wir uns auf das Studium vorbereitet." Lena Koval schaut in die Ferne, ihre blondgelockten Haare wehen im Wind. Optisch sind die zweieiigen Zwillinge gut zu unterscheiden, ihre besondere Bindung zueinander ist spürbar. Wenn Anna einen Gedanken hat, führt Lena ihn fort. Und umgekehrt. Sie sind ein Team, das wird von Frankfurter Freunden und Mitstudenten aus aller Welt auch so wahrgenommen.

Die Geschichte der Familie Koval

Als die ersten Schüsse in Lugansk fielen traf Familie Koval eine schwere Entscheidung. Gemeinsam mit den beiden Töchtern floh die Mutter aus der Heimatstadt im Osten des Landes nach Odessa im Süden. Ein Teil der Familie blieb zurück: Großmutter Koval leidet seelisch unter dem Krieg, aber kann die Region aus gesundheitlichen Gründen nicht verlassen, ihr Sohn bleibt mit ihr in Lugansk zurück. Der Ex-Militärarzt wurde durch die Druckwelle einer Explosion verletzt. Anna und Lena Koval beendeten die Schule in Odessa. Doch der Krieg in Lugansk tobt weiter, bis heute.

"Auf einmal kreisten Militärflugzeuge über unserer Stadt, das war unheimlich", erinnern sich die Schwestern und schauen auf die Frankfurter Skyline mit Oderturm, Kirchturmspitzen und Plattenbauten. Sie stehen eng beieinander. Dann sprechen sie über Frankfurt, loben die Ruhe und die kurzen Wege. Sie erzählen von Besuchen in Słubice, in der Konzerthalle, von Salsa-Abenden in der Havana Bar. "Die Stadt hat ein internationales Flair, der Uni-Campus ist großartig", schwärmt Anna von ihren Lieblingsplätzen. "Und die Natur auf dem Ziegenwerder ist wunderschön", findet Lena, die gern und viel Zeit mit ihrer Schwester verbringt.

In der alten Heimat der Zwillinge sind diese Freiheiten nicht denkbar. Im Osten der Ukraine bestimmt seit fünf Jahren der Krieg das Leben. Die Menschen seien kriegsmüde, viele wünschten sich einfach nur "ein Dach über dem Kopf, eine sichere Versorgung und Ruhe." Viele Freunde von Anna und Lena Koval haben es ihnen gleichgetan und die einst stolze Industriestadt mit 460 000 Einwohnern verlassen. Dass die Präsidentschaftswahl, die am 21. April in die Stichwahl geht, etwas an der Situation ändert, bezweifeln Anna und Lena Koval. "Zu viel Hass und Propaganda" gebe es für russischsprachige Ukrainerinnen wie sie. Sie sprechen besser Russisch als Ukrainisch.

Alte und neue Heimat

Ihre Familie in Lugansk besuchten die Zwillinge das letzte Mal vor wenigen Wochen. Um in die Ostukraine auf die anderen Seite der Front zu gelangen, müssen die jungen Frauen regelmäßig eine komplizierte Reise auf sich nehmen. Die Bahnverbindungen sind gekappt, Busse führen zu den strengen Grenzkontrollen. Manchmal müssten sie stundenlang warten und das im Winter bei minus zehn Grad in langen Schlangen und beiden Füßen im Schnee, schildert Anna ihre Erlebnisse. Eine Einreise über Russland gilt als illegal, die Straßen abseits der Kontrollpunkte sind vermint und lebensgefährlich.

Eine Rückkehr schließen Anna und Lena aus. "In der Ukraine wären wir in einer anderen Stadt Fremde", sagt Anna. "Hier fühlen wir uns heimisch", so Lena. Ihren Master wollen sie in Frankfurt machen. Gemeinsam.

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