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Lachen mit Fremdenfeinden

© Rainer Wohlfahrt Gießener Fußgängerzone: Manchmal steht Ali Can hier und bietet „Free Hugs" an.

In einem Bus der Linie 24, auf dem Weg zu einem Treffen mit Ali: Am Gießener Bahnhof steigt eine eritreische Familie ein, drei Männer, eine Frau mit ihrem Baby. Die Frau kämpft mit dem sperrigen Kinderwagen, die drei Männer kämpfen mit zwei Gardinenstangen und einem Einkaufswagen voller Einrichtungsgegenstände. Es dauert eine Weile, bis die Erwachsenen Einkäufe und Kinderwagen verstaut haben. Der Bus ist fast leer, physisch kommen sie bei ihrer Rangieraktion niemandem in die Quere - psychisch schon. Ganz vorne sitzt eine Frau Ende 50, blond gefärbte Haare, einen Aldi-Prospekt in der Hand. Sie starrt die Familie an und schüttelt dann verächtlich den Kopf, bis sie nicht mehr an sich halten kann. „Armes Deutschland!", sagt sie mit deutlich vernehmbarer Stimme. Die anderen Passagiere schweigen.

Wäre Ali Can im Bus gewesen, er hätte die Frau angesprochen und versucht, ihre Sicht der Dinge zu verstehen. Das ist seine Strategie. Er spricht mit fremdenfeindlichen, mitunter rechtsgesinnten Menschen, wann immer er auf sie trifft. Und er trifft relativ häufig auf sie. Ali hat seine Herkunft zu seinem Projekt gemacht und seine Geschichte zu einem Musterbeispiel. Der Gießener Student ist im Alter von zwei Jahren nach Deutschland gekommen. Seine Familie stammt aus Pazarcik, einer Kleinstadt im Südosten der Türkei, nicht weit von der syrischen Grenze entfernt. Vater und Mutter sind kurdische Aleviten. Sie litten in ihrer Heimat unter politischer und gesellschaftlicher Diskriminierung, sahen keine Perspektive im eigenen Land. Ali sagt: „Meine Familie hatte wirklich die A-Karte gezogen: Aleviten und Kurden - zwei unterdrückte Minderheiten vereint."

Die Eltern flohen aus einfachsten Verhältnissen

Die Cans fliehen mit ihrem kleinen Sohn 1995 nach Deutschland und landen als Asylbewerber im nordrhein-westfälischen Warendorf. Hier werden sie die nächsten 13 Jahre bleiben, denn eine Aufenthaltserlaubnis und damit das Recht auf Freizügigkeit erhalten sie erst 2006. Zwei Jahre später zieht die Familie in die Nähe von Gießen in den kleinen Ort Watzenborn-Steinberg. Alis Mutter bringt in Deutschland drei weitere Kinder zur Welt und lernt endlich Lesen und Schreiben. „Meine Mutter stammt aus einem Dorf ohne Stromanschluss, sie ist auch nie zur Schule gegangen", erzählt Ali. In Watzenborn-Steinberg baut sich die Familie ein neues Leben auf. Die Eltern eröffnen einen Döner-Imbiss. Ali geht in die Schule, macht Abitur und beginnt ein Praktikum bei der Unicef-Gruppe in Gießen.

Das Praktikum weckt sein Interesse für ehrenamtliches Engagement. Als Ali an der Universität in Gießen ein Lehramts-studium in Deutsch und Ethik für Haupt- und Realschule beginnt, gründet er mit einem Freund die Unicef-Hochschulgruppe. Er ist auch heute noch ihr Vorsitzender, organisiert Spendenläufe, Mottopartys und Ausflüge. Doch Alis Prioritäten haben sich verschoben. Mittlerweile hat der Student sein eigenes Projekt aus der Taufe gehoben. Unter dem Namen „Inter-kulturelles Leben" gibt Ali Integrationsworkshops, bietet gratis Umarmungen an, widmet seine Zeit am Telefon oder im persönlichen Gespräch denjenigen, die sich selbst „besorgte Bürger" nennen, und fährt zu den rechten Brennpunkten in Sachsen, um den Menschen zu begegnen.

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