Montag, 18.30 Uhr in der Dresdner Neustadt. Es herrscht Feierabendstimmung. Die grünen Wiesen des Alaunparks sprenkeln Bier trinkende Gruppen und Eis essende Paare. Zwischen den Bäumen versuchen sich Jugendliche auf straff gespannten Slacklines im nächsten Balanceakt. Die Abendsonne kitzelt im Gesicht.
Montag, 18.30 Uhr in der Dresdner Altstadt. Auf der anderen Seite der Elbe versammeln sich die Pegida-Anhänger. Sie füllen die warme Sommerluft mit Parolen und schwenkenden Fahnen. Eine Handvoll asiatischer Touristen starrt misstrauisch auf die Demonstranten. Pegida-Aufpasser mit „Ordner"-Armbinde, Bomberjacke und Springerstiefeln starren misstrauisch zurück. Es herrscht Proteststimmung.
Johannes Filous (27) passiert die Gruppe der Demonstranten, zeigt seinen Presseausweis an einer Hotelrezeption in unmittelbarer Nähe, lächelt freundlich und betritt den Fahrstuhl. In der vierten Etage steigt der Student aus und sucht ein Fenster Richtung Altmarkt-Platz, auf dem sich die Pegidisten die Kehle warm skandieren.
Er zückt sein Handy, schwenkt einmal nach links und rechts, filmt die Menschenmasse, die sich ihm da unten auf dem Boden frontal entgegenstellt. Dann macht er das, was er immer macht, wenn Pegida demonstriert: Er twittert darüber. Filous gehört zum Twitter-Kollektiv Straßengezwitscher, das objektiv und nüchtern, aber mit großer Wirkung über rechtspopulistische Demonstrationen berichtet. Seine Tweets von den Pegida-Kundgebungen in Dresden erreichen mehr als 15.000 Follower in ganz Deutschland. Sie zeichnen das Bild einer prägenden Bewegung, deren radikales Gesicht immer deutlicher zu Tage tritt.
Der harte, radikale KernWer sich an diesem Montag Anfang Juli auf dem mittelalterlichen Marktplatz versammelt hat, um gegen die „Islamisierung des Abendlandes" zu protestieren, gilt als der harte Kern, als das, was nach mehr als anderthalb Jahren Pegida in Dresden übrig geblieben ist. Es sind Menschen, die man nicht von einer toleranteren Haltung überzeugen konnte und nach Einschätzung vieler auch nicht können wird. Franziska Fehst (26), Sprecherin der Pegida-Gegenbewegung Dresden Nazifrei und Linken-Politikerin, meint: „Diese Rassisten, die da jetzt noch stehen, kann man nicht mehr von ihrer Einstellung abbringen."
Dass man den harten Kern noch von einer anderen Haltung überzeugen könne, glaubt auch Ulrich Wolf (51), Reporter bei der Sächsischen Zeitung (SZ), nicht mehr. Er hat die Pegida-Bewegung in ihren Anfängen begleitet, mittlerweile betrachtet er die Demonstrationen nur noch aus der Ferne. „Wenn ich da reingehe, erkennen die mich sofort. Dann werde ich gleich angerempelt und beschimpft", erzählt er. Über die Pegidisten, die übrig sind, sagt er: „Die Leute, die da jetzt noch mitlaufen, sind nicht mehr erreichbar. Man müsste für jeden Pegida-Teilnehmer einen Sozialarbeiter zur Demonstration schicken, der denen politische Bildung und soziale Kompetenz vermittelt."
Politische Bildung soll in Sachsen Frank Richter (56) vermitteln. Der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung setzte sehr lange auf Kommunikation mit den Pegida-Sympathisanten. Er lud zu runden Tischen ein, unterstützte die offenen Dialogangebote in der Dresdner Kreuzkirche, gestattete Lutz Bachmann und seinen Verbündeten, eine Pressekonferenz in der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung zu geben. Als die Pegida-Bewegung immer erfolgreicher wurde, hütete sich Richter weiterhin den Demonstranten einen radikalen Stempel aufzudrücken. Er spricht zwar auch heute noch von einer reinen „Empörungsbewegung, die nicht eindeutig rechtsextremistisch ist", aber die Teilnehmer, die sich noch immer jeden Montag auf dem Altmarkt versammeln, bezeichnet auch er als den „harten, radikalisierten Kern, der sich von seinem wöchentlichen Protest nicht mehr abbringen lassen wird".
Pegida schrumpft, doch der Einfluss bleibtAn diesem lauen Sommerabend ist der harte Kern auf dem Altmarkt zunächst rund tausend Menschen stark. Zum darauf folgenden Marsch schließen sich noch einmal so viele Demonstranten an. Sie bilden Reihen von zehn bis zwanzig Leuten, die sich gemächlich durch die Straßen schieben, Pegida-Banner und Rollstuhlfahrer vorneweg. Ein älterer Mann mit verwaschener Kappe und Sporthose brüllt: „Merkel muss weg, Merkel muss weg!" Als er aufhört, werden von weiter hinten die „Abschieben, abschieben, abschieben"-Rufe lauter. Männer mit kurz geschorenen Haaren, Sonnenbrillen und Cargohosen blicken grimmig. Ein Ehepaar Mitte siebzig mit Deutschland-Schweißbändern an den Handgelenken läuft in der Mitte des Zuges, einen kleinen Jungen an der Hand. Auch er trägt ein Deutschland-Schweißband und schaut sich mit stolzem Blick um. Am Anfang des Zuges ragt ein Plakat über die Köpfe der Demonstranten. Unter einem Bild der Dresdner Frauenkirche steht: „Das wird KEINE MOSCHEE". Eine Frau in einem altbackenen Blümchenkleid posiert für ein Selfie mit ihrer Freundin. Sie wird nach dem Marsch eine wirre Rede auf der provisorischen Pegida-Bühne halten. Die Forschungsgruppe Durchgezählt schätzt, dass an diesem Tag zwischen 1.800 und 2.200 Pegidisten durch die Straßen ziehen. Die Polizei beziffert die Teilnehmerzahl auf 2.200. Es sind etwa so viele wie schon in den letzten Wochen. „Die Zahlen stagnieren, es ist sogar eine leichte Tendenz nach unten zu erkennen", stellt Johannes Filous fest.
Tatsächlich sind die Pegida-Teilnehmerzahlen in Dresden stark geschrumpft. Zu Hochzeiten lockte Pegida-Chef Lutz Bachmann mehr als 20.000 Menschen auf den Altmarkt. Doch auch, wenn diese Dimensionen schon lange nicht mehr erreicht wurden, hat die Bewegung seinen Einfluss bewiesen. „Pegida hat es geschafft, dass sich Dresden in zwei Jahren extrem verändert hat", sagt der Journalist Ulrich Wolf niedergeschlagen, „die Atmosphäre ist unangenehmer als anderswo." Das kann auch Sebastian Feydt bestätigen. Der Pfarrer der weltbekannten Frauenkirche war überrascht von dem schnellen Stimmungswandel: „In den Jahren vor Pegida wirkte Dresden wie aufgeblüht, der Tourismus boomte. Dann drehte sich das Bild innerhalb von zwei Wochen." Der Theologe erzählt von einer zunehmenden Aggressivität und auch Johannes Filous sagt: „Pegida hat das Klima in der Stadt verändert."
Wer ist gut, wer ist böse?Heute sitzt die Pegida-Gegnerin Franziska Fehst in der Tram und beobachtet die Menschen. Sie überlegt: „Wer ist auf meiner Seite, wer gehört zu den Pegida-Sympathisanten." Auch Johannes Filous und Ulrich Wolf ertappen sich immer wieder dabei. Sie teilen die Leute ein in dafür und dagegen. Dazwischen scheint es in Dresden im Moment nicht viel zu geben. Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der Technischen Universität Dresden erklärt, die Einstellung zu Pegida sei eine Glaubensfrage geworden. Wer ist Pegida-Gegner, wer ist Pegida-Sympathisant? Wer ist gut, wer ist böse? „Mit den üblichen Kriterien von Rationalität und politischem Sachverstand hat das nicht mehr viel zu tun", sagt der Politikwissenschaftler.
Pegida hat die Stadt in zwei Lager gespalten. Das merkt man nicht nur bei den öffentlichen politischen Versammlungen. „Die Spaltung zeigt sich im Kleinen. Man spürt sie unterm Weihnachtsbaum, wenn die Tochter nicht mehr mit dem Vater sprechen kann, weil sich beide nicht mehr einig sind", erklärt Filous. Und man spürt sie auf der Straße, im Alltag. Ulrich Wolf sitzt in einem Café, auf halbem Weg zwischen Neu- und Altstadt. Das Café gehört zur üblichen Route eines jungen Bettlers mit dunkler Hautfarbe. Er fragt den Rentner, der am Tisch neben Wolf sitzt, höflich nach ein paar Münzen. Der Mann bellt erbost zurück: „Als ob du nicht genug in deinem Flüchtlingsheim kriegst! Da lebt ihr doch eh alle wie im Paradies!" Bevor der Mann sein „Hau ab!" fertig brüllen kann, sagt Wolf mit fester Stimme: „Ruhe jetzt!". Der Mann blickt nun zornig auf den Journalisten, keift ihn ab, ob er denn keine andere Meinung vertragen könne, sowas dürfe man ja wohl noch sagen. Wolf verzieht keine Miene. Erst ein paar Minuten später fällt er in seinen Stuhl zurück und reibt sich die Augen. „Es ist alles so anstrengend", stöhnt er. Aber das sei jetzt halt Alltag in Dresden. „Gestern wurde ich in der Straßenbahn von einem Fahrgast bespuckt, weil ich einem Inder den Weg erklärt habe", erzählt Wolf.
Beim Sport, bei Familienfeiern und in der Redaktion der SZ - überall empfindet Wolf die Stimmung als angespannt, die Meinungen als unversöhnlich gespalten. Der Reporter ist mit seiner Arbeit für die SZ zu einem prominenten Gesicht gegen Rechtspopulismus geworden, doch in seiner eigenen Redaktion arbeiten Menschen, die sich öffentlich zu rechtsgesinnten Bewegungen bekennen. Ralf Schutt beispielsweise ist seit 1996 Art Director bei der SZ. Schutt ist nicht nur Mitglied der AfD Sachsen, er sitzt auch im Vorstand der Patriotischen Plattform. Die AfD-interne Bewegung spricht sich explizit gegen „massenhafte Einwanderung" und „gegen die Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft" aus und unterstützt den umstrittenen Fraktionsvorsitzenden der Thüringer AfD, Björn Höcke. Die Patriotische Plattform und Ralf Schutt persönlich sympathisieren außerdem mit der rechtsextremen Identitären Bewegung, die seit längerem vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die Spaltung Dresdens durchzieht also auch die größte Zeitung der Stadt.
Wenig Protest gegen den ProtestDie Frage nach der Einstellung zu Pegida hat Familien, Kollegen und Freunde entzweit, aber sie hat auch dazu geführt, dass Dresden politischer geworden ist. Banner vor den Fenstern der berühmten Semperoper werben für eine weltoffene Stadt. In den Randbezirken Dresdens und in der Neustadt wimmelt es von Graffitis, Postern und Street Art für oder gegen Pegida, für oder gegen Rechtsextremismus. Dort, wo die Anti-Nazi-Graffitis besonders zahlreich sind, in der lebhaften Neustadt, organisierte sich eine der wenigen nennenswerten Protestbeweungen gegen Pegida. Doch das Bündnis Dresden Nazifrei, dem Fehst und ihr Mitstreiter Albrecht von der Lieth angehören, veranstaltet schon seit April 2015 keine regelmäßigen Anti-Pegida-Demonstrationen mehr. „Es kostet viel Kraft und Zeit jede Woche als Gegenprotestler zu den Pegida-Kundgebungen zu rennen", sagt von der Lieth ausweichend. Er habe - außer bei einzelnen Aktionen wie am Jahrestag von Pegida - einfach keine Wirkung erkennen können. Am 19. Oktober 2015, ein Jahr nach der Gründung von Pegida, mobilisierte Dresden Nazifrei rund 15.000 Menschen, die für mehr Toleranz auf die Straße gingen. Doch ansonsten waren die Anti-Pegida-Demonstrationen meistens nur mehrere Hundert Teilnehmer stark, ihre Botschaften verhallten jede Woche ungehört neben denen der Zehntausenden Pegida-Sympathisanten. Das Bündnis Dresden Nazifrei nimmt bei seinen Kundgebungen auch einen heftigeren Demonstrationsstil in Kauf. Neben Parteien wie Bündnis90/Die Grünen und Die Linken und Gewerkschaften wie IG Metall und Verdi gehört auch die Antifaschistische Aktion (Antifa) zu Dresden Nazifrei. „Für uns ist die Antifa wichtig, man braucht auch mal Leute, die durch die Polizeibarrikaden rennen", erklärt von der Lieth. Für Dresdner, die sich eher in der politischen Mitte sehen und mit dem aggressiven Protest der Antifa nichts anfangen können, gab und gibt es auch heute kein Demonstrationsangebot gegen Pegida. „Das gutbürgerliche Milieu in Dresden profiliert sich auch einfach nicht. Die Antifa ist zwar nicht bürgerlich, aber immer noch besser als gar kein Protest", sagt Ulrich Wolf. Pfarrer Feydt glaubt, dass viele Dresdner lieber im Stillen abwarten bis „der Zauber von Pegida sich gelegt hat".
Am Pirnaischen Platz hat sich eine Handvoll Antifa-Gegendemonstranten mit schwarz vermummten Gesichtern versammelt. Sie strecken den 1.800 bis 2.200 Pegida-Demonstranten ein „Refugees Welcome"-Banner entgegen. Die Pegida-Anhänger schenken den schwarz gekleideten Gestalten keine Beachtung. An der Wilsdruffer Straße erwartet sie ein junger Mann mit Europa-Flagge. Als die Pegida-Demonstranten den einsamen Protestler entdecken schreien sie: „Dexit! Dexit!". Er war schon vergangene Woche da", sagt Johannes Filous, der das Geschehen mit seinem Handy filmt. „Der junge Mann von letzter Woche steht erneut mit einer Flagge der Europäischen Union am Rande von Pegida. #DD0407", schreibt er zu dem Video und stellt es auf Twitter.
Weiter hinten durchkreuzt eine junge Frau mit Kopftuch den Zug, ohne die Demonstranten eines Blickes zu würdigen. Die Pegidisten starren sie verblüfft an, niemand von ihnen sagt etwas. Auch eine füllige Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand drängt sich energisch durch die Reihen der Demonstranten. Dabei ruft sie hektisch: „Kein Platz für Rassismus! Kein Platz für Rassismus!" Protest, der jedoch nach wenigen Sekunden wieder verstummt.
Das Ende von PegidaAuch wenn der Gegenprotest für ihn kaum Wirkung gezeigt hat, kann sich von der Lieth vorstellen, dass Pegida bald zerbricht. Mit dieser Prognose steht der Sprecher von Dresden Nazifrei nicht alleine da. Auch Reporter Ulrich Wolf glaubt, dass die Bewegung genauso wie ihr Anführer, Lutz Bachmann am Ende ist: „Die wöchentliche Kundgebung ist zu einem bloßen Happening geworden. Die Leute gehen zu Pegida so wie sie zum sonntäglichen Frühschoppen gehen." Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt macht die Zukunft von Pegida von den Flüchtlingszahlen und einer gelungenen Integration abhängig: „Wenn die Zuwanderung auf dem niedrigen Niveau bleibt wie zuletzt und die Bundesregierung eine plausible Einwanderung- und Integrationspolitik macht, dann kriegt die Bewegung keine weitere Luft unter den Flügeln." Dann könnte Dresden anfangen, die Risse in der Gesellschaft, auf den Straßen und in den Köpfen der Dresdner langsam zu kitten.