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Ausverkauf das ganze Jahr: Koblenzer Handel leidet

Koblenz. "50 Prozent reduziert": Seit Wochen locken Schilder in den Schaufenstern der Koblenzer Innenstadt. Das, was sich früher auf zwei Mal zwei Wochen im Jahr beschränkte, ist heute gefühlt immer: Ausverkauf.


Von unserer Reporterin Sarah Kern

"Die Kunden freut es, für den Textileinzelhandel ist das eine Katastrophe", sagt Christoph Krepele, Vorsitzender des Stadtforums "Alle lieben Koblenz". In diesem Jahr habe der Ausverkauf ungewöhnlich früh begonnen: Schon seit Mitte Juni gebe es Reduzierungen bei der Sommerware.


Krepele sagt, dass die Ursachen dafür vielschichtig sind. Den kleinen Textilunternehmen in der Stadt, den wenigen verbliebenen neben den großen Ketten wie H & M und Zara bereiten sie immer mehr Probleme. Und ihr Marktanteil schrumpft, bestätigt eine aktuelle Studie zum Thema Onlinehandel. Die kleinen Unternehmen leiden nicht nur unter der Internetkonkurrenz und dem Wachstum der großen Ketten, sondern auch darunter, dass ihnen die eigenen Lieferanten immer häufiger mit eigenen Geschäften und Onlineshops Konkurrenz machen.

Modehäuser verschwinden

Davon kann Sabine Bonah, Inhaberin und Geschäftsführerin vom Modehaus Bonah am Altlöhrtor in Koblenz, ein Lied singen. Bonah spricht von großen Veränderungen in der Textilbranche, angetrieben durch den Onlinehandel, und von einer Marktkonzentration auf die Branchengrößen. Der ständige Preiskampf habe auch dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren immer mehr inhabergeführte Modehäuser in der Stadt verschwunden sind.


Bei H & M etwa gibt es das ganze Jahr über Kleidung zu reduzierten Preisen. Der schwedische Textilriese liegt mit einem jährlichen Umsatz von knapp 17 Milliarden Euro nach Unternehmensangaben weltweit auf Platz zwei der Textilanbieter. Britta Krämer aus Mayen ist in der Koblenzer Filiale auf Schnäppchenjagd. "Auf den Stangen hängen reduzierte Kleidungsstücke, Kleidung zum regulären Preis gibt es fast gar nicht. Ausverkauf ist doch immer."


Auf Anfrage zur Situation antwortet die Presseabteilung von H & M sehr allgemein. Man spricht von einem "abwechslungsreichen Angebot", einer "flexiblen Sortimentsplanung" und von "neusten Trends in den Läden".

Ein differenzierteres Bild zeichnet Axel Augustin. Er ist Sprecher des Bundesverbandes des deutschen Textileinzelhandels mit Sitz in Köln. Er sagt, dass H & M den entscheidenden Aspekt unterschlägt: "Ursache der ständigen Reduzierungen ist, dass viel zu viele Textilien produziert werden, die Lager sind voll bis unter die Decke." Und darunter leide der gesamte Handel. 30 Prozent der Textilware werden heute schon reduziert verkauft. Tendenz steigend.

Immer mehr Kollektionen

Ständig neue Ware ist das Resultat einer immer stärker vernetzten Welt. Die sozialen Netzwerke bringen Trends mit einem Klick aus Kalifornien nach Europa aufs Smartphone, sagt der Branchenexperte. Und damit auch nach Koblenz. Die Zahl der Kollektionen, so Augustin, hat sich pro Jahr vervier- bis versechsfacht. Die Aufteilung in Saisonware - Frühling und Sommer, Herbst und Winter - gibt es nicht mehr. "Früher hat man zweimal im Jahr neue Kleidungsstücke gekauft. Man denke nur an die Mantelsonntage im Herbst, ein Relikt aus den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts."


Verlierer gibt es auf dem Textilmarkt viele. Die Kleinen natürlich, aber nicht nur die. Denn: Die Großen produzieren immer mehr und sind am Ende gezwungen, ihre Ware zu Schleuderpreisen zu verkaufen, so Augustin. Darüber, ob sich dieses Geschäftsmodell der Überproduktion und des Massenausverkaufes tatsächlich lohnt, schweigt sich beispielsweise H & M aus, trotz konkreter Nachfrage.


Mithalten kann derzeit nur, wer dem Preiskampf standhält. Das setzt auch die inhabergeführten Geschäfte unter Zugzwang, wie Modehaus-Chefin Sabine Bonah berichtet. "Auch wir haben jetzt immer irgendetwas reduziert."

Der Preiskampf hat gravierende Folgen für den Markt: Gab es 2001 in Deutschland 35 000 Unternehmen in der Textilbranche, so sind es aktuell nur noch 18 000. "Heute ist es egal, ob ich in Stuttgart oder in Koblenz einkaufe", sagt Svenja Köhler, die gerade bei Zara in Koblenz auf Shoppingtour ist. "Die großen Ketten sind überall, und Mode abseits von ihnen ist in den Innenstädten schwer zu finden."

Mag auch der Verbraucher wie der Gewinner dieser Preisschlacht aussehen, ist sich Textilfachmann Augustin sicher: "Nur kurzfristig, bis die ganze Branche den Bach runtergegangen ist."


Schlussverkauf: So haben sich die Regeln geändert

Der Schlussverkauf, der die Ware zum Ende des Winters und des Sommers innerhalb von zwei Wochen und mit Preisnachlässen bis zu 70 Prozent aus den Läden fegte, existiert heute nicht mehr. Experte Axel Augustin vom Bundesverband des deutschen Textilhandels erklärt, dass der Textilmarkt im Jahr 2004 europaweit liberalisiert wurde. Das bedeutet heute: Jeder Laden kann Nachlässe geben, wann er will. So ist die Zahl der Ausverkäufe kräftig gestiegen: 75 Prozent der Einzelhändler machen ständig Rabattaktionen im Jahr, sagt eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. 



Modetrends aus dem Netz

Namhafte Modemarken sind inzwischen in fast allen sozialen Netzwerken, auf Facebook, Twitter, auf Instagram und auf Blogs vertreten. Die Modeunternehmen nutzen soziale Plattformen, um mit den Kunden in Interaktion zu treten. Kaum eine andere Branche nutzt das Social Web effizienter und erfolgreicher als die Modebranche, sagt der Sprecher des Bundesverbandes des deutschen Textileinzelhandels Axel Augustin. Augustin sieht in den sozialen Medien einen entscheidenden Motor für die Entwicklung hin zu "Fast Fashion", zu Mode, die schnell produziert wird und ebenso schnell konsumiert werden soll. Angetrieben zum Beispiel durch das Portal Instagram, das als kleines Programm auf dem Smartphone installiert wird. Eigene Fotos können mit anderen Nutzern geteilt werden, entweder auf Instagram selbst, aber auch auf Blogs, Facebook und Twitter. Modeaffine Menschen, denen Millionen Menschen aus aller Welt folgen, zeigen hier ihre Outfits und verknüpfen sie mit den Seiten der Marken. Hinter den vielen Menschen, die diesen Modevorbildern in der digitalen Welt folgen, sehen die Unternehmen jede Menge Geld. ske

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