Die Espressokanne verstaubt auf der Küchenzeile. Das quietschgelbe Kleid hängt samt Preisschild im Schrank - seit Monaten. Solche Fehlkäufe kennt jeder. Wieso passieren sie immer wieder? Und wie kann man sie vermeiden?
Ein Astrologiebuch. Eine Spielekonsole. Ein Teppich aus Schafwolle. Feinbiberbettwäsche. Eine Nutzerin der Plattform gutefrage.net wollte wissen: „Was waren deine größten Fehlkäufe?" Man kann sich die Vorfreude der antwortenden Personen beim Kauf lebhaft ausmalen - und die Enttäuschung wenig später. Zum Zocken fehlte dann doch die Zeit und Lust. Die Bettwäsche war irgendwie kratzig. Auf dem Teppich aus Schafwolle blieben die Rollen des Schreibtischstuhls ständig hängen - wie nervig!
Einen Fehlkauf definiert der Duden als „Kauf, dessen Gegenstand die Erwartungen des Käufers enttäuscht“ und der unnötig ist. Dass wir immer mal wieder Fehlkäufe machen, ist sehr menschlich, weiß der Konsumpsychologe Georg Felser. „Menschen sind nicht gut darin, korrekt vorherzusagen, wie sie sich fühlen werden, wenn etwas Bestimmtes der Fall ist“, sagt der Wirtschaftspsychologieprofessor der Hochschule Harz. Das heißt: Wie viel Freude einem das neue Hemd bringt und wie lange das Glücksgefühl nach dem Kauf währt, überschätzen Menschen in der Regel drastisch.
Kaufen für das gute Gefühl
Kaufen lasse sich aber nutzen, um rasch die eigene Stimmung zu regulieren – und sich darum zu kümmern, dass sie positiv bleibt. „Ist eine Prüfung gut gelaufen, kaufen wir, um uns zu belohnen. Und wenn sie schlecht gelaufen ist, kaufen wir, um den Frust auszugleichen“, nennt der Konsumpsychologe ein Beispiel und lacht. Daraus lässt sich der Schluss ziehen: Anfällig für Fehlkäufe sind Menschen in ganz verschiedenen Gemütszuständen. Wer gut drauf und entspannt ist, prüft seine Umwelt nicht so genau. Wer miese Laune hat, ist zwar etwas kritischer, aber möchte die unangenehmen Gefühle auch schnell loswerden. Den digitalen oder analogen Einkaufskorb zu füllen, kann dabei helfen. Allerdings gilt das nicht für jede Person gleichermaßen.
„Belohnungen sind ein stückweit austauschbar, aber auch individuell verschieden. Für den einen fühlt sich der Gedanke an die eigene Harley Davidson belohnend an, für den anderen der Gang über den Flohmarkt“, sagt Experte Felser. So lässt sich erklären, warum manche Menschen immer wieder ähnliche Fehlkäufe nach Hause schleppen. Wer gern liest – oder gern eine Person wäre, die liest –, empfindet schon den Kauf eines Buchs als belohnend. Wie viel Spaß es doch machen wird, durch die Seiten zu blättern! Bleibt dann im Alltag wenig Zeit, ziert den Roman bald eine Schicht Staub.
Einkaufen und die soziale Stellung
Um das Phänomen der Fehlkäufe zu erklären, ist eine kulturwissenschaftliche Perspektive hilfreich, meint Ingo Hamm. „Wir sind keine Steinzeitmenschen mehr, die mit der Keule durch die Gegend laufen. Wir leben in komplexen Gesellschaften, die durch Arbeitsteilung funktionieren“, erklärt der Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Darmstadt. Konsum habe nicht mehr hauptsächlich die Funktion, „simpelste Triebe“ wie Hunger zu befriedigen. „Es geht beim Konsumieren auch um unsere soziale Stellung“, sagt Hamm.
Die altbekannte Binsenweisheit „Kleider machen Leute“ hilft dabei, diesen Denkansatz zu verstehen. Die Auswahl an Dingen und Dienstleistungen, die ein Mensch kaufen kann, ist heutzutage gigantisch. Wofür sich jemand entscheidet, hat immer auch damit zu tun, wie er oder sie sich selbst und andere wahrnimmt. Manche Menschen kaufen laut Hamm nur deshalb teure Klamotten oder hochpreisigen Schmuck, um zu zeigen: Ich kann mir das leisten.
Was der Selbstwert mit Fehlkäufen zu tun hat
Darunter seien vor allem Menschen, deren Selbstwert niedrig ist und das Geltungsbedürfnis entsprechend hoch. Das haben Studien gezeigt, erklärt Hamm. Aus psychologischer Sicht sei das Kaufen teurer Dinge, um den Selbstwert zu stabilisieren, ein ungünstiges Verhalten – denn der positive Effekt sei nur kurzfristig spürbar. Schnell entstehe der Eindruck, die Sachen sind nicht genug und etwas Neues muss her.
Und was passiert mit dem Alten, dem Fehlkauf? Der verschwindet in einer Schublade auf Nimmerwiedersehen. Man könnte sich nun über diese Geschmacksverirrung oder das ausgegebene Geld ordentlich ärgern. Damit das nicht passiert, hat das Gehirn eine Taktik entwickelt: die Dissonanzreduktion. „Wir vermeiden innere Spannungen, indem wir uns Sachen – salopp gesagt – schönreden oder sie ausblenden“, sagt der Experte.
„Konsum ist nicht nur negativ“
Aus der kitschigen Kaffeetasse trinke ich bestimmt noch. Wie gut, dass ich ein drittes USB-Kabel als Ersatz habe. Na, wem kommen solche Gedanken bekannt vor? „Man kann sich schon fast glücklich schätzen, wenn man die kognitive Energie aufbringt und sich darüber bewusst wird: Dieser Kauf war Mist“, sagt Wirtschaftspsychologe Hamm. Schönreden und ausblenden seien leichter, als sich einen ökonomischen Fehler einzugestehen und ihn gerade zu biegen – das Produkt also zurück in den Laden zu bringen oder online zu verkaufen.
Dennoch sei Konsum nicht nur negativ. Denn es dürfe nicht vergessen werden, was kaufbare Produkte und Dienstleistungen uns alles ermöglichten. „Die Arbeitsteilung hat uns als Gesellschaft wahnsinnig progressiv gemacht. Sie erlaubt uns ein sehr komplexes Leben“, sagt Hamm. Einfacher ausgedrückt: Wer seine Lebensmittel im Supermarkt kaufen kann und sie nicht selbst anbauen muss, hat mehr Zeit – etwa, um Kunst zu schaffen, oder, um einen Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln.
Was macht Fehlkäufe wahrscheinlicher?
Im normalen Alltag tragen Menschen immer mal wieder Dinge in Einkaufstüten nach Hause, die sie eigentlich weder brauchen noch schön finden. Doch wenn ein paar Bedingungen erfüllt sind, steigt die Wahrscheinlichkeit eines Fehlkaufs noch, weiß Neuromarketingexperte Hans-Georg Häusel. Zum einen muss es sich bei dem Kauf um ein Lustprodukt handeln. Dazu zählen etwa Mode, Deko oder Süßigkeiten. Duftet es im Geschäft nach Kuchen und liegt dort ein Keks zum Probieren bereit, sind Kundinnen und Kunden eher bereit, eine ganze Packung davon zu kaufen – auch wenn sie dies ursprünglich gar nicht vorhatten. „Wenn etwas mit allen Sinnen erfahrbar ist, ist die emotionale Wirkung wesentlich höher“, erklärt Psychologe Häusel.
Springen einem dann noch Rabattaktionen ins Auge, wirkt die Ware noch attraktiver. Das lässt sich weiter steigern, indem der Rabatt nur in einem begrenzten Zeitraum gilt, wie etwa am Black Friday. „Es handelt sich um das Prinzip der Knappheit“, sagt der Experte. Wenn etwas vorgeblich nur in kleinen Mengen oder für kurze Zeit vorhanden ist, wolle man es sich schnell sichern, bevor sich jemand anderes das Produkt schnappt.
Wer sich vor solch impulsiven Handlungen generell gefeit sieht, den muss Häusel enttäuschen: „Wir Menschen glauben ja immer, wir wären vom Verstand gesteuert und der steuere quasi auch unsere Emotionen. Das ist natürlich ein Irrtum.“ Das Belohnungszentrum im Gehirn sei in der Regel viel besser darin, sich durchzusetzen, als die Teile des Gehirns, die für die Vernunft verantwortlich sind. Früher sei dieser Prozess sinnvoll gewesen, sagt der Neuromarketingexperte: „Wenn ein Urzeitmensch durch den Wald marschierte und Wild zum Jagen sah, war es gut, nicht lange darüber nachzudenken, ob er noch ein Reh zu Hause hat.“
Wie beugt man Fehlkäufen vor?
Doch heutzutage sind Vorratskammer und Kleiderschrank vieler Menschen eher zu voll als zu leer. Wie beugt man also Fehlkäufen vor? Häusel schlägt Bedenkzeit vor. „Die Bluse finde ich jetzt ganz, ganz super. Aber ich kaufe sie nicht sofort, sondern gehe noch mal in Ruhe um den Block oder schlafe sogar eine Nacht drüber.“ Außerdem sei es hilfreich, sich gar nicht erst in eine verlockende Situation zu bringen oder klare Ziele zu definieren – die Einkaufsliste lässt grüßen. Wer bar bezahlt, bekomme außerdem ganz physisch mit, wie das Geld weniger wird.
Zum Schluss hat Häusel noch zwei gute Nachrichten. Ein Stückweit sei der Mensch lernfähig, was sein Konsumverhalten angeht. Wer zu Impulskäufen neigt, solle – quasi als Training – öfter mal durch die Innenstadt flanieren und nichts kaufen. Und: Je älter wir werden, desto weniger Fehlkäufe landeten in unseren Schränken. „Ältere Konsumenten sind in der Regel die vernünftigeren Konsumenten.“