Wer unter schlimmen Regelschmerzen leidet, soll in Spanien bald per Gesetz freie Tage bekommen. Ist das auf Deutschland übertragbar? Um das beantworten, muss man einen entscheidenden Unterschied der Gesundheitssysteme kennen.
Der Unterleib verkrampft sich. Der Rücken schmerzt. Manche Frauen müssen sich erbrechen. So am Schreibtisch zu sitzen, auf der Baustelle zu schuften oder zu unterrichten, ist kaum denkbar. Damit sich Frauen mit starken Menstruationsbeschwerden nicht mehr zur Arbeit schleppen, hat Spanien ein neues Gesetz gebilligt. Es soll Betroffenen mehr freie und bezahlte Tage gewähren – wenn ein Arzt oder eine Ärztin die Schwere der Symptome bestätigt. Wäre so ein Konzept auch in Deutschland sinnvoll?
Denkbar wäre es schon. Allerdings: Notwendig ist ein Gesetz nach spanischem Vorbild hierzulande nicht, sagen Expertinnen und Experten – darunter auch solche, die sich aktiv für Frauenrechte einsetzen. Um diese Sichtweise zu verstehen, muss man wissen, wie sich das deutsche und das spanische Gesundheitssystem unterscheiden.
Erst einmal kein Geld in Spanien
Wer sich in Spanien krankmeldet, bekommt erst ab dem vierten Tag wieder Geld. Arbeitgeber zahlen dann aber nicht – wie in Deutschland – für einige Wochen den vollen Lohn weiter. Bei spanischen Arbeitnehmenden landet nur ein Teil des sonst gewohnten Gehalts auf dem Konto, wenn sie sich zu Hause auskurieren. Das heißt: In Spanien verlieren Frauen, die ein oder zwei Tage aufgrund von Menstruationsbeschwerden fehlen, einen Teil ihres Gehalts. Wer das nicht will oder kann, greift im Zweifel wohl eher zum Schmerzmittel, als sich die Ruhe zu gönnen, die an diesen Tagen nötig wäre.
Deutsche Frauen haben dieses finanzielle Problem nicht. Sie können zum Arzt oder zur Ärztin gehen und sich krankschreiben lassen. Zwar ist die Menstruation keine Krankheit. Aber der sogenannte „gelbe Schein“ heißt korrekt auch nicht Krankschreibung, sondern Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Starke Schmerzen, Durchfall oder Übelkeit sind ein Grund, nicht fähig zum Arbeiten zu sein. Egal, ob der Auslöser ein Virus oder die Menstruation ist. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können sich auch bis zu drei Tage krankmelden, ohne eine entsprechende Bescheinigung vorlegen zu müssen.
Deutsche Regelung sehr vorteilhaft
Die deutsche Regelung zu Krankentagen hat noch einen weiteren Vorteil, weiß Karin Schwendler. „Der Arbeitgeber erfährt die Diagnose nicht. Ich finde, das ist ein relativ hohes Gut“, sagt die Bereichsleiterin für Frauen- und Gleichstellungspolitik beim Verdi-Bundesvorstand. Das wäre anders, wenn ein Gesetz extra freie Tage für Menstruationsbeschwerden vorsehen würde. „Frauen müssten diese ihrem Arbeitgeber dann auch offenlegen“, erklärt die Gewerkschafterin.
„Wir sind meiner Meinung nach noch nicht so weit, dass solch eine Regelung hierzulande keine Diskriminierung nach sich ziehen würde“, sagt Schwendler. Themen rund um die Gesundheit von Frauen politisch weiter voranzutreiben, sei aber dennoch sehr wichtig – aber ob ein Gesetz nach spanischem Vorbild aktuell der richtige Ansatz ist, hält die Expertin für „zumindest diskussionswürdig“.
„Menstruationsurlaub“ – was soll das sein?
Denn im Ergebnis könnte die Menstruation, wie Schwangerschaft und Care-Arbeit, ein weiteres Stigma sein, dass Frauen darin hindert, gleiche Chancen im Job zu haben. Dass es solche Vorurteile gibt, wird schon an dem Schlagwort deutlich, das in der Berichterstattung rund um das spanische Gesetz häufig auftaucht: „Menstruationsurlaub“. „Der Begriff erzeugt ein völlig falsches Bild und ist irreführend“, sagt Regine Wlassitschau, Pressesprecherin des Beratungsnetzwerkes Profamilia.
Zwar ist die Periode an sich keine Krankheit – im Gegensatz zur mit der Regelblutung verbundenen Endometriose, bei der Betroffene unter extrem starken Schmerzen leiden. Dennoch: Wer eine Wärmflasche auf seinen von Krämpfen geschüttelten Unterleib drückt oder vor Übelkeit nichts essen mag, macht keinen Urlaub. Denn entspannend ist das Aushalten und Behandeln von Begleiterscheinungen der Monatsblutung nicht.
Franka Frei, Expertin rund um die politische Dimension der Menstruation, hielt extra freie Tage während der Monatsblutung einst für feministisch. „Heute sehe ich eher die Gefahren im Vordergrund“, sagt die Autorin des Sachbuches „Periode ist politisch“. Dazu zähle, dass allen Menstruierenden per se unterstellt werden könnte, weniger leistungsfähig zu sein. Ein bezahlter Periodensonderurlaub „markiert die Differenz zwischen Männern und Frauen und geschlechterspezifische Stereotype“, erklärt Frei. Plakativ gesprochen: Der Mann werde als „allseits leistungsfähiger Erwerbsarbeiter“ dargestellt und die Frau als zerbrechlich und für die Reproduktivität zuständig.
Was Menstruierende brauchen
Ganz aus dem Arbeitsleben heraushalten lässt sich die Menstruation aber auch nicht. Das zeigt zum Beispiel eine Umfrage des Unternehmens „Erdbeerwoche“ unter mehr als 2000 Frauen. 43 Prozent von ihnen sind schon einmal aufgrund von Menstruationsbeschwerden nicht zur Arbeit gegangen. Eine von zehn Frauen sind wegen starker Symptome pro Monat ein bis drei Tage nicht in der Lage, ihren normalen Alltag – und damit auch den Job – zu bewältigen, berichtet die Techniker Krankenkasse.
Um Betroffenen zu helfen, reichen zusätzliche freie Tage nicht, findet Autorin Frei. „Stattdessen müssen wir auch hierzulande unser Verständnis von Arbeit hinterfragen“, sagt sie. Themen wie Menstruation, aber auch Elternschaft oder mentale Gesundheit sollten im Berufsleben viel mehr mitgedacht werden. Frei denkt dabei zum Beispiel an flexiblere Arbeitszeitmodelle. Oder – ganz simpel – kostenfreie Tampons und Binden auf den Toiletten am Arbeitsplatz anzubieten.
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