2 subscriptions and 3 subscribers
Article

Wie Abtreibungen in Deutschland, Europa und Nordamerika geregelt sind

Jemand hält ein Plakat in die Luft. Foto: Unsplash/Claudio Schwarz

Auf der Weltkarte der Organisation Center for Reproductive Rights ist Deutschland blau eingefärbt. Für Frauen bedeutet das, sie dürfen ihre Schwangerschaft auf eigenen Wunsch abbrechen. Auch die meisten anderen europäischen Länder sowie Kanada und die USA tragen die Farbe Blau. 95 Prozent der europäischen Frauen leben laut der Organisation in Ländern, in denen sie sich für einen Schwangerschafts­abbruch entscheiden dürfen. In vielen afrikanischen und südamerikanischen Ländern sind dagegen medizinische Gründe notwendig. Teilweise muss das Leben der Frau in Gefahr sein, damit eine Abtreibung legal ist.

Allerdings: Im Gegensatz zu anderen medizinischen Eingriffen ist das Prozedere rund um einen Schwangerschafts­abbruch in Deutschland im Strafgesetzbuch geregelt. Auch in einigen Nachbarländern fallen Abtreibungen unter das Strafrecht. Schwangere, Ärztinnen und Ärzte, die keine Geldstrafe zahlen oder nicht ins Gefängnis gehen wollen, müssen sich an gesetzliche Auflagen halten.

Bei Abtreibungen auf Wunsch der Frau ist das meist eine Frist sowie ein Beratungsgespräch. In einigen Ländern müssen Frauen außerdem geltend machen, sich in einer Notlage zu befinden. Nach Ablaufen der Frist ist ein straffreier Abbruch oft nur noch möglich, wenn medizinische Gründe vorliegen. Dazu zählt meistens, dass die Frau in Lebensgefahr schwebt, ihre Gesundheit durch die Schwangerschaft schweren Schaden nimmt oder das Kind mit einer schweren geistigen oder körperlichen Beeinträchtigung zur Welt kommen würde. Ist die Frau aufgrund einer Vergewaltigung schwanger geworden, darf sie oft ebenfalls noch später abtreiben.

Wie sehen darüber hinaus die Regelungen in Deutschland, einigen Nachbarstaaten und in Nordamerika aus? Ein Überblick.


Deutschland

In den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis dürfen Frauen straffrei auf eigenen Wunsch abtreiben. Die Kosten dafür tragen sie meist selbst. In drei Fällen kommt die Krankenkasse für einen Schwangerschafts­abbruch auf: Wenn der Eingriff medizinische Gründe hat, wenn es kriminologische Gründe (beispielsweise nach einer Vergewaltigung) gibt oder wenn das Einkommen der Frau gering ist.

Im Strafgesetzbuch vorgeschrieben ist eine Beratung bei einer anerkannten Stelle spätestens drei Tage vor dem Schwangerschafts­abbruch. Dass sie an einer sogenannten Schwangerschafts­konfliktberatung teilgenommen hat, muss die Schwangere mittels einer Bescheinigung nachweisen. Sonst darf der Arzt oder die Ärztin sie nicht behandeln.

In Paragraf 219 des Strafgesetzbuches lautet der erste Satz zu dieser Thematik: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens." Beratende sollten sich bemühen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen. Das Ungeborene habe in jedem Stadium der Schwangerschaft ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben. Der Praxis entsprechen diese Vorgaben allerdings wohl nicht. Berater und Beraterinnen von Pro Familia und der Arbeiterwohlfahrt betonen gegenüber dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND), dass die Beratung bei ihnen unvoreingenommen und ergebnisoffen sei.


Niederlande

Als sehr liberal gelten die Niederlande. „Eine Abtreibung darf durchgeführt werden, bis der Fötus außerhalb des Körpers der Mutter lebensfähig ist. Darunter versteht man in der Regel die 24. Schwangerschafts­woche", informiert die niederländische Regierung auf ihrer Website. In der Praxis würden niederländische Ärzte und Ärztinnen allerdings nur bis zur 22. Woche Abtreibungen vornehmen, wenn es keine medizinische Indikation gibt. Kosten entstehen für niederländische Bürgerinnen keine. Ausländische Frauen müssen die Abtreibung selbst bezahlen.

Wer in den Niederlanden abtreiben möchte, wendet sich an die Hausarztpraxis oder direkt an eine Abtreibungsklinik. Nach einem dortigen Beratungs­gespräch müssen fünf Tage bis zum eigentlichen Eingriff verstreichen. Wenn die Periode einer Frau weniger als 17 Tage überfällig ist, ist allerdings keine fünftägige Bedenkzeit nötig.


Polen

Erst jüngst protestierten im katholisch geprägtem Polen wochenlang Menschen gegen eine Verschärfung des dortigen, sowieso schon sehr restriktiven Abtreibungs­gesetzes. Schwangerschafts­abbrüche waren bis dahin in Polen nur in drei Fällen möglich: Wenn die Frau vergewaltigt wurde, wenn ihr Leben in Gefahr ist oder wenn der ungeborene Fötus mit einer unheilbaren Erkrankung auf die Welt kommen würde.

Im Oktober vergangenen Jahres entschied das polnische Verfassungs­gericht jedoch, dass Frauen Föten mit schweren Fehlbildungen nicht mehr abtreiben dürfen. De facto bedeutet das, die Frauen müssen auch Kinder gebären, die von Geburt an so krank sind, dass sie nach wenigen Tagen versterben. Gegen diese Gesetzes­änderung demonstrierten Polinnen und Polen wochenlang. Vermutlich Zehntausende Frauen würden ungewollte Schwangerschaften schon länger im Ausland abtreiben lassen, schreibt die „Tagesschau".

Österreich

Innerhalb der ersten drei Monate dürfen Frauen in Österreich straffrei abtreiben, wenn sie sich zuvor von einem Arzt oder einer Ärztin haben beraten lassen. Die Kosten trägt die Sozialversicherung nur, wenn der Abbruch medizinisch indiziert ist. Außerdem ist im Strafgesetzbuch geregelt, dass niemand benachteiligt werden darf, wenn er oder sie straffreie Schwangerschafts­abbrüche durchführt oder diese Behandlung nicht anbieten möchte.


Frankreich

In Frankreich sind von Frauen selbst gewünschte, chirurgische Abtreibungen laut Informationen der französischen Verwaltung bis zur zwölften Woche der Schwangerschaft erlaubt. Medikamentös dürfen Frauen meist bis zur fünften Woche abtreiben. Während der Corona-Pandemie wurde der Zeitraum auf sieben Wochen verlängert.

Vor einer Abtreibung müssen die Frauen sich zweimal medizinisch beraten lassen - bei Ärzten und Ärztinnen, im Familien­planungs­center oder bei einer Hebamme. Wie in Deutschland bekommen sie dafür eine Bescheinigung. Bei der zweiten Beratung bestätigt die Frau schriftlich, dass sie die Schwangerschaft abbrechen möchte. Die Kosten trägt in der Regel die Krankenkasse.

In Frankreich ist es strafbar, Schwangerschafts­abbrüche zu behindern, beispielsweise durch bewusste Fehlinformationen. „Die Straftat wird mit zwei Jahren Freiheitsstrafe und 30.000 Euro Geldstrafe geahndet", informiert die französische Verwaltung auf ihrer Website.

Liechtenstein

Abtreibungen aus freiem Willen sind in dem Kleinstaat verboten. Abbrüche bleiben nur straffrei, wenn es einen zwingenden medizinischen Grund gibt, die Schwangerschaft durch Missbrauch entstanden ist oder die Frau vor ihrem 14. Geburtstag schwanger geworden ist. In allen anderen Fällen gilt: Die Frau muss das Kind zur Welt bringen.

Trifft einer der genannten Gründe zu, muss in Liechtenstein ein Arzt oder eine Ärztin den Abbruch durchführen. Ist eine Abtreibung medizinisch notwendig, zahlt die Krankenversicherung.


Schweiz

Innerhalb von zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode bleibt eine Abtreibung straffrei - vorausgesetzt, einige Regeln werden beachtet. Frauen müssen den Schwangerschafts­abbruch schriftlich einfordern und erklären, dass sie sich in einer Notlage befinden. Ebenfalls ist ein „persönliches und eingehendes" Beratungs­gespräch mit einem Arzt oder einer Ärztin Pflicht. Diese Regelungen sind das Ergebnis einer Volksabstimmung des Jahres 2014. Vorher war das Abtreibungs­gesetz restriktiver.

Laut Gesetz müssen Beratende die Schwangere auch darüber informieren, dass sie das später geborene Kind zur Adoption freigeben könnte. Die Krankenkasse übernimmt den Großteil oder sogar die vollständigen Kosten.


Blick nach Nordamerika

Eigentlich sind Schwangerschafts­abbrüche in den Vereinigten Staaten von Amerika straffrei - doch es gibt Ausnahmen. Kanada dagegen hat eine der liberalsten Regelungen der Welt.


USA

Seit dem Jahr 1973 sind Abtreibungen in den Vereinigten Staaten von Amerika legal. Damals hatte der Oberste Gerichtshof entschieden, dass Frauen grundsätzlich einen Schwangerschafts­abbruch vornehmen lassen dürfen. Allerdings: Die 50 Bundes­staaten dürfen eigene Regeln erlassen - und so einige machen davon Gebrauch.

In mindestens 14 US-Staaten haben Abgeordnete umfassende Abtreibungs­verbote eingebracht. Asa Hutchinson, Gouverneur von Arkansas, hat im März ein neues Gesetz unterzeichnet. Es erlaubt Schwangerschafts­abbrüche nur noch, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Auch Schwangerschaften, die Ergebnis von Vergewaltigung oder Inzest sind, müssen ausgetragen werden, sobald das Gesetz wirksam ist.

Zu Beginn der Corona-Krise hatten Texas, Ohio und Alabama Schwangerschafts­abbrüche zu nicht notwendigen Eingriffen erklärt. Ausnahme: Das Leben der Mutter ist in Gefahr.


Kanada

Abtreibungen sind in Kanada seit dem Jahr 1988 legal - und zwar ohne Fristen oder andere gesetzliche Beschränkungen. Das Magazin „Stern" spricht von einer weltweit einzigartigen Entscheidung, die bedeute: „Abbrüche werden nicht anders behandelt als Knie-OPs oder andere medizinische Eingriffe."

Dass eine solch liberale Regelung nicht zu einer Masse an späten Abtreibungen führt, zeigt ein Blick in die Statistik: Knapp 90 Prozent der Abtreibungen in Kanada finden in den ersten zwölf Schwangerschafts­wochen statt.

Original