Der Literatursoziologe Leo Löwenthal hat einmal das "Nichtmitmachen" als Wesensmerkmal der Kritischen Theorie hervorgehoben: "Genau das Negative war das Positive, dieses Bewusstsein des Nichtmitmachens, des Verweigerns; die unerbittliche Analyse des Bestehenden."
Wollte man dieses Credo in einer feministischen Zeitschrift verwirklicht sehen, käme deutschlandweit wohl einzig die 1976 in West-Berlin herausgegebene Schwarze Botin infrage. Nonkonformismus im Sinne einer kritischen Distanz gegenüber geistigen Strömungen, die gerade obenauf waren, erklärte die Zeitschrift zum philosophischen Prinzip. Sie begriff sich als "kritische feministische Zeitschrift", die zwar "ihre Parteilichkeit auf die Frauen der Frauenbewegung" beziehe, in Abgrenzung zur zweiten Frauenbewegung unter der Meinungsführerschaft von Alice Schwarzer jedoch mehr an feministischer Theorie denn an begriffslosem "Frauenfühlen" und solidarischer Schwesterlichkeit interessiert sei. Der Anspruch der Schwarzen Botin, aus der Frauenbewegung kommend, vornehmlich eine Kritik an dieser zu sein, war laut Vojin Saša Vukadinović ein historisch singuläres Unterfangen. Er hat jetzt die Zeitschrift durch eine ambitionierte Anthologie ihrer wichtigsten Texte aus dem Vergessen geholt. Die Schwarze Botin versammelte eine Vielzahl von Autorinnen, die später über feministische Zusammenhänge hinaus als Philosophinnen, Künstlerinnen oder Schriftstellerinnen bekannt wurden oder es schon waren, etwa Silvia Bovenschen, Julia Kristeva, Elfriede Jelinek, Elisabeth Lenk, Rita Bischof, Glinka Steinwachs, Ursula Krechel, Gisela von Wysocki, Sarah Schumann und viele andere. Nach dem frühen Ende der Zeitschrift in West-Berlin 1980 wurde die Schwarze Botin ein Jahr später gleichsam europäisch herausgegeben: Fortan stellte Elfriede Jelinek die Wiener Redaktion, während Marie-Simone Rollin für die in Paris verantwortlich war.
Bereits in ihrem ersten Text wartete Gabriele Goettle, die zusammen mit ihrer damaligen Lebensgefährtin Brigitte Classen die Berliner Redaktion stellte, mit einem Paukenschlag auf. Unter der Überschrift "Schleim oder Nichtschleim, das ist hier die Frage" verkündete sie programmatisch, dass die Beziehung der Schwarzen Botin zur Frauenbewegung dort beginne, wo der "klebrige Schleim weiblicher Zusammengehörigkeit sein Ende" nehme. Ausgehend von Verena Stefans autobiografischem Roman Häutungen, der ein Jahr zuvor von der Frauenbewegung als identitätsstiftendes Lehrstück weiblicher Authentizität zelebriert worden war, beschrieb Goettle die Essenz des Schleimes, gegen den die Zeitschrift polemisieren wollte. Gleich zu Beginn wurde mit dem bis heute grassierenden Mythos aufgeräumt, dem zufolge schreibende Frauen allein durch die subjektive Kraft des Weiblichen, Natürlichen und Kreatürlichen intellektuelles Geschick verkörpern: "Die Frauen haben sich schlecht beraten lassen, als sie anfingen zu glauben, daß alles, was Frauen denken, sprechen, schreiben und arbeiten (...), für die Emanzipation brauchbar, wenn nicht gar gut sei."
Goettles scharfzüngiges Pamphlet wider den weiblichen Essenzialismus und das "Insistieren der Frauen auf Aggressionslosigkeit, Weichheit und frauenspezifisches Denken" erkannte schon, worauf die zweite Frauenbewegung hinsteuern würde, wenn sich ihre Protagonistinnen unter dem Banner von "Frauengefühlen" und "Pappmascheeproblemen" einer freiwilligen Unmündigkeit auslieferten: "Wenn im Zusammenhang mit der Sprache der Wunsch ausgesprochen wird, sie zu 'hinterfragen' und die in ihr 'sitzenden' männlichen Denkformen zu untersuchen, dann können wir diesem Unterfangen zwar moralische Zuverlässigkeit bestätigen, sehen aber nicht, daß Zeit wäre, sich mit Restaurierungsarbeiten an der Sprache (...) aufzuhalten."
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Der schon damals virulente gefühlig-identitäre Weiblichkeitskult begünstigte den Autorinnen der Schwarzen Botin zufolge eine brave Fortschrittlichkeit, statt sich mit den echten Machtverhältnissen zu beschäftigen. Statt auf Gefühle setzte die SchwarzeBotin auf Gedanken, inhaltliche Qualität stellte man über Zielgruppenorientierung, die Nachfrage des Marktes interessierte ebenso wenig wie die Tradierung des Feindbildes "Mann". Und überhaupt verunmögliche das gruppentherapeutische Versprechen der Selbsterfahrung, aus dem selbst gesponnenen Opfer-Kokon auszubrechen und die eigentlich zu kritisierenden Dinge "überhaupt noch wahrzunehmen". Anstelle des Rückzugs in die "neue Innerlichkeit" insistierten die Botinnen auf der Satire als "Ausbruch aus der Trauer" und darauf, "das von Männern Gedachte (zu) verwenden, um (sich) über sie hinwegzusetzen".
Es überrascht also kaum, dass die Schwarze Botin sowohl in der Frauenbewegung als auch innerhalb der linken Szene als elitär, kaltschnäuzig und spalterisch verschrien war. Denn das autarke Selbstverständnis der Autorinnen unterschied sich von der sonstigen Bewegung; in den Texten ist die wohlfeile Sicherheit eines festen politischen Standpunkts nicht zu finden. Und als Galionsfiguren einer Bewegung wollte man erst recht nicht wahrgenommen werden. Vielmehr proklamierten die Botinnen ähnlich wie die französischen Poststrukturalisten und Avantgardisten, die um 1980 an den Universitäten florierten und auf die sich die Autorinnen regelmäßig bezogen, das Bewusstsein eines gemeinsamen Erkenntnisinteresses und die Einigkeit in dem, wogegen man sich abgrenzte. Kaum zufällig verfolgte die Zeitschrift denn auch keine klare Blattlinie. Abgedruckt wurden sowohl Essays und Gedichte als auch Briefe, Grafiken und Polemiken, die den angestrebten ästhetischen Anspruch noch forcierten.
In der jetzt herausgegebenen Sammlung finden sich neben dem Auftakt von Goettle auch eine Reihe Prosaarbeiten, Literatur- und Kunstkritiken und politischer Texte, die sich mit der Islamischen Revolution im Iran, Michel Foucaults kurioser Anbiederung an diese, dem Nationalsozialismus und der RAF beschäftigen. Christiane Ketteler und Magnus Klaus erläutern im literaturwissenschaftlichen Nachwort das metaphorische Spiel der Zeitschrift und setzen die in ihr häufig wiederkehrenden Begriffe wie Schneiden, Trennen oder Zerstückeln ins Verhältnis zu einer Substanz, die sich kaum zertrennen lässt: dem klebrigen Schleim, der Sülze, gegen den sich "die kalte und schneidende Schreibweise der Botinnen" richtete. Silvia Bovenschen zufolge wurden mythische Frauenbilder ohne ihre historischen Kontexte in eine geschichtslose Ikonografie verwandelt. Goettle kritisierte diese Form der Mythenrezeption als Einschränkung der Fantasie: "Aus Angst vor der Adaption der als männlich begriffenen Geschichte behauptet man eine frauenspezifische." Die Texte der Schwarzen Botin seien vor diesem Hintergrund der "Doppelbewegung einer Kritik der Wirklichkeit als einer Kritik der von ihr erzeugten Phantasie" verpflichtet. Damit wurde das dialektische Anliegen der Zeitschrift pointiert benannt.
Doch die Fähigkeit, sich vor den Kopf stoßen zu lassen, hat seit den Siebzigerjahren insgesamt stark abgenommen. Löste die Schwarze Botin damals noch heftige Kontroversen innerhalb der europäischen Frauenbewegung aus, ist sie einer jüngeren Generation nahezu unbekannt. Im Grunde hatte sie keinen erheblichen Einfluss auf den Lauf der feministischen Bewegung; ein ähnliches Projekt hat es seither nicht mehr gegeben. Schon in der damaligen Frauenbewegung, gegen deren in den Zeitschriften Emma und Courage verkörperten Mainstream sich die Schwarze Botin wandte, waren Fähigkeiten wie die zur Abstraktion oder ironischen Selbstdistanz wenig gefragt. Das schon damals kultivierte Gemeinschaftsethos und der Identitätskitsch weiter Teile der Frauenbewegung wirken bis heute nicht nur nach, sondern haben sich in vielen Bereichen potenziert - die Botinnen hätten es mit feinem intellektuellem Besteck seziert und aufgespießt. Die narzisstische Inszenierung von Frauen als "Superheldinnen" oder "Göttinnen" erfährt heute in der nunmehr dritten Frauenbewegung eine Renaissance: in Gestalt eines auf Vielfalt pochenden Identitätsparadigmas. Beiden gemein sind die Apotheose des Nichtmännlichen sowie die Verehrung der Differenz zu einem charakterologisch ausgedeuteten "männlichen" Herrschaftsprinzip, dem genuin weibliche Qualitäten entgegenzusetzen seien.
Aus heutiger Sicht haben sich die Konfliktlinien allerdings gewandelt. Die damaligen intellektuellen Protagonistinnen im Umfeld der Schwarzen Botin hatten erkannt, dass weibliche Emanzipation nur dann gelingen kann, wenn sie auch die Emanzipation vom Mainstream-Feminismus bedeutet. Solche Erkenntnis kann freilich nur erwachsen, wo Feministinnen willens sind, politische Genossinnen und Genossen im Namen universeller freiheitlicher Rechte auch einmal zurückzuweisen. Ein aufklärerisches Labeling allein macht Idiotie nicht verzeihlich.
Der Umgang mit dem frauenfeindlichen Alltag in islamisch regierten Ländern erweist sich in Anbetracht dieser jahrzehntelangen Geschichte als Prüfung auf diese Erkenntnis. Auf die politischen Umbrüche im Iran 1978, die eine verordnete Zwangsverschleierung der weiblichen Bevölkerung des Landes zur Folge hatten, reagierten nicht nur die Schwarze Botin, sondern auch Courage und Emma mit Besorgnis und kritischen Kommentaren. Allen heftigen Differenzen und Auseinandersetzungen zum Trotz fanden sie in dieser für Frauen (und für Männer) höchst dramatischen, historisch bis dahin unvorstellbaren Situation zueinander, um sich im Namen einer höheren Sache zu solidarisieren. Der heute herrschende, sich intersektional und antirassistisch gebende Queer-Feminismus hat dieses Prinzip der Solidarität zugunsten eines konformistischen Diversity-Managements in den herrschenden Institutionen längst ausverkauft. Höchste Zeit also für eine neue Schwarze Botin.
Die Schwarze Botin. Ästhetik, Kritik, Polemik, Satire 1976-1980; hrsg. v. Vojin Saša Vukadinović; Wallstein, Göttingen 2021; 512 S., 36,- €, als E-Book 28,99 €