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Öffnungen - Der blinde Fleck in der Öffnungsdebatte

Für die Universitäten gibt es nach wie vor keine Pläne für die Rückkehr in die Präsenzlehre. Der Unmut wächst.


Viele Studentinnen und Studenten, unzählige Goodies und laute Musik - so hat es schon lange nicht mehr vor der Hauptuniversität in Wien ausgesehen. Nach dem Ende der ÖH-Wahlen am Donnerstag ist es auch wieder ruhiger geworden, denn die Studierenden werden voraussichtlich erst im Oktober in größerer Zahl in die Präsenzlehre zurückkehren. Derzeit finden "nur schwer substituierbare Lehrveranstaltungen und Prüfungen" vor Ort statt, wie es im Februar von Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) hieß. Wer also etwa keine Laborübungen oder künstlerischen Seminare absolviert, das betrifft vor allem die geisteswissenschaftlichen Studiengänge, muss das Sommersemester mit den Prüfungswochen Ende Juni erneut online abschließen.


"Bei vielen Studierenden zeigt sich Corona-Müdigkeit und Frustration durch die anhaltenden Einschränkungen und die Onlinelehre. Auch bei jenen, die davor keine Anzeichen für depressive Symptomatiken hatten", sagt Kathrin Wodraschke, die stellvertretende Leiterin der Psychologischen Studierendenberatung in Wien. Sie betreut Studierende und spricht von einer Explosion der Nachfrage seit dem Jahreswechsel. Als Reaktion darauf erfolgte eine österreichweite Aufstockung der Stellen - für die Wiener Zweigstelle fünf neue Vollzeitäquivalente. "Damit ist der Bedarf aber trotzdem nicht abgedeckt", sagt die Psychologin. Man müsse sich auch ansehen, wie sich die Langzeitfolgen der Pandemie auf die jungen Menschen auswirken würden. Was Studierenden laut Wodraschke helfen würde, wäre eine Perspektive für Herbst. Die Öffnungen der Bibliotheken und Lesesäle seien ein erster Schritt, denn "viele Studierende haben keine Tagesstruktur mehr und kommen dadurch in eine Negativspirale, die depressiven Symptome hervorrufen kann".


Wer sich unter Studierenden umhört, bekommt den Eindruck, dass vor allem eines fehlt: der Austausch untereinander. Viele sprechen von einer großen Anstrengung, die sie durch die lange Zeit der Onlinelehre - bei vielen sind es bereits 14 Monate - empfinden. Besonders die Enge in häufig recht kleinen WG-Zimmern und der fehlende Rhythmus mache ihnen zu schaffen. Dazu kommt, dass eine neue Generation von Studentinnen und Studenten die Unis noch nie von innen gesehen hat. Wie schwierig es dann sei, Leute kennenzulernen, erzählt ein Philosophiestudent im zweiten Semester: "Ich kenne niemanden, und dass, obwohl ich seit fast einem Jahr in Wien studiere. Man fühlt sich allein mit seinen Problemen auf der Uni."


Begegnungen fehlen

Das bestätigt Hannes Schweiger, Mittelbausprecher am Institut für Germanistik an der Universität Wien: "Durch die Online-Lehre geht einfach viel verloren, was Studieren und Lehren ausmacht. Vor allem die informellen Begegnungen vor und nach den Lehrveranstaltungen." Auf Unverständnis trifft auch, dass es mittlerweile nicht einmal Seminare in kleineren Gruppen vor Ort für alle Studiengänge gibt, selbstverständlich getestet oder immunisiert und mit Maske. Schweiger stellt ebenso wie viele Studierende die "fachlich begründete Präsenzlehre" infrage, denn seiner Meinung nach sollen Studierende jedes Studienfachs die Möglichkeit haben, in kleinen Gruppen und unter Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen wieder zusammenzukommen.


Online-Lehre neu denken

Denn seit jeher gelten Universitäten als Versammlungsort, als Ort der Offenheit und des kritischen Denkens. Das Denken wird den Studierenden zwar nicht verwehrt - aber alles andere, dass das Studentenleben normalerweise ausmacht, ganz egal ob gemeinsames Lernen oder Feiern nach den Prüfungen. Und das, nachdem sich ein Großteil der Jungen im Vorjahr besonders eingeschränkt hat, um die ältere Bevölkerung zu schützen, nun aber als letzte Gruppe geimpft wird.

Trotzdem ist nicht alles schlecht an der Online-Lehre. Die dazugewonnene Flexibilität und Modernisierung sehen viele als Pluspunkt. Von Studierendenseite würde man in Zukunft gerne flexibel bleiben und die Möglichkeit auf Präsenz- sowie Onlinelehre haben. Schweiger sieht das jedoch etwas kritisch: "Um mittelfristig auf eine hybride Lehre umzusteigen, muss das Konzept der Universität neu gedacht werden."

Das sieht auch die TU-Rektorin und Präsidentin der Universitätskonferenz Sabine Seidler ähnlich: "Die Covid-bedingte Hybridlehre ist teilweise ein Notbetrieb. Für die Zukunft müssen nachhaltige Konzepte erarbeitet werden." Für Herbst gibt Seidler einen lang ersehnten Ausblick darauf, zumindest wieder kleinere Lehrveranstaltungen vor Ort abzuhalten. "Wir planen den sicheren Weg mit einem Hybridbetrieb, ein Vollbetrieb mit überfüllten Hörsälen scheint derzeit ab Oktober nicht realistisch", so die Rektorin. Diesen Weg kritisiert Mittelbausprecher Schweiger und bezeichnet ihn als defensiv. Schweiger begründet, dass mit einem guten Sicherheitskonzept, ähnlich wie an den Schulen, die Lehre vor Ort langsam wieder starten könne.


Aber warum wurde darüber öffentlich fast gar nicht debattiert? Ein Erklärungsversuch von Rektorin Sabine Seidler: "Die Schulen sind vielen Menschen viel näher als die Universitäten. Die Universitäten hatten noch nie eine besonders große Lobby." Außerdem sei es aufgrund der räumlichen Gegebenheiten und der gesetzlich vorgegebenen Sicherheitsabstände schwierig, in den Regelbetrieb zurückzukehren. "Anders als eine Schulklasse, sind Studierendengruppen heterogen", sagt Seidler. Und zusätzlich seien derzeit viele Studenten nicht in ihrem Studienort, sondern in anderen Bundesländern oder ihren Heimatländern. Hannes Schweiger sieht ähnliche Gründe und resümiert: "Offensichtlich werden die Unis gesamtgesellschaftlich nicht als sehr relevante Institutionen gesehen." Außerdem hänge kein wirtschaftliches Interesse daran.


Lernen im Hotelzimmer

Um es den Studierenden zu ermöglichen, ihre Kommilitonen wieder von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wurden in Klagenfurt sechs "Outdoor-Hörsäle" eingerichtet. Die Leiter der Lehrveranstaltungen treffen sich mit ihren Studierenden am Campus und verlagern den Unterricht ins Freie. Dadurch sollte Lehre in Kleingruppen wieder vor Ort angeboten werden können. Durch die Wetterabhängigkeit und den geringen Platz ist das aber keine flächendeckende Lösung.

Die Universität Wien hat sich ein spezielles Angebot überlegt, um zumindest einmal dem beengten WG-Zimmer zu entkommen. Die Studierenden können tagsüber kostenlos in drei Wiener Hotels der Accor-Hotelkette einchecken, um dort zu lernen. Der Ortswechsel soll helfen, wenn zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Eine langfristige und vor allem weitreichende Lösung sind diese Ideen aber nicht. Denn der Wunsch von vielen Studentinnen, Studenten und Lehrenden ist es, bald wieder die Möglichkeit zu haben, sich vor Ort zu begegnen.


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