1973 hatte die Psychologin Georgina Fariñas Garcia die Idee, eine Gruppe sehr aggressiver Mädchen mit Ballettunterricht zu beruhigen. Die kubanische Primaballerina Alicia Alonso war von der Idee begeistert - und die beiden entwickelten gemeinsam das sogenannte Psycho Ballett. Der psychische und physische Zustand der Patienten verbesserte sich mehr und mehr.
Heute wird das Programm in verschiedenen Ländern unterrichtet, Menschen mit allen Arten von Behinderungen und psychischen Erkrankungen tanzen mit, sowie alte Männer und Frauen.
Das Ballett war relativ unbekannt - bis die Fotografin Sandra Weller nach Kuba kam. Sie war eigentlich wegen eines anderen Projekts dort, doch dann lernte sie eine Frau kennen, die das Psycho Ballett anbietet. Die stellte Kontakt zu einer Gruppe aus Havanna her, die sie im September und Dezember 2018 mehrmals besuchte.
Vier bis fünf Lehrer, unter anderem die Gründerin Fariñas Garcia, unterrichten die Gruppe. Sie bringen den Teilnehmern verschiedene Positionen und Schrittfolgen bei. Außerdem proben sie einzelne Stücke, die sie einmal im Monat aufführen.
Einer der Schüler fiel Weller besonders auf, weil er sehr selbstbewusst war und für die anderen manchmal das Aufwärmtraining leitete: der 27-jährige Onay, der das Downsyndrom hat. Daher nahm die Fotografin nicht nur an den Proben in der Casa de África, einem Ausstellungsort für afrikanische Kunst in Havanna, und an Aufführungen teil, sondern besuchte den jungen Mann auch zu Hause.
Seit er drei Jahre alt ist, geht Onay zum Psycho Ballett - es sei das Schönste in seinem Leben, sagt er. Im Unterricht trifft Onay auch seine Freundin Marcia. Er kann weder lesen noch schreiben, aber erinnert sich sehr gut an Choreografien. Seine liebste Rolle war bislang die des Romeo in "Romeo und Julia".
Außer zur Probe verlässt der 27-Jährige seit mehreren Jahren kaum noch das Haus. In seiner Nachbarschaft hänselten die Leute ihn und die Familie entschied, dass er lieber nicht mehr auf die Straße gehen solle. Seine Mutter ging in Frührente, um sich um Onay kümmern zu können. Einer seiner beiden Brüder geht arbeiten und versorgt die Familie. Einen Job fand Onay nicht.
Daheim hört der junge Mann meist Reggaeton, schaut sich Musikvideos und Filme an - oder sortiert seine Sammlung von Deodorantkappen nach Farben. Während der Schulzeit ging er noch schwimmen, spielte Tischtennis, nahm an den kubanischen Paralympics 2006 teil und trat als Schauspieler in einer Fernsehsendung auf.
Psycho Ballett stärkt nicht nur das Selbstbewusstsein der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und schult ihre motorischen Fähigkeiten, sondern sei auch ein Art Arbeitsersatz, sagt Fotografin Weller. "Ich fand es wahnsinnig toll, weil Onays Leben eigentlich sehr schwer ist und er trotzdem sehr positiv war und von seiner Freundin und dem Tanzen geschwärmt hat." Sein Wunsch: Die ganze Welt soll vom Psycho Ballett erfahren.