Der 30-jährige Sebastian Kurz könnte bald der jüngste Kanzler in der Geschichte Österreichs werden. An einem Abend in Düsseldorf gibt er sich als Entertainer, der seine politischen Positionen vertreten kann – und damit gerne aneckt.
Ein Kanzlerkandidat ohne Uni-Abschluss? Sorry, leider keine Zeit, meint Sebastian Kurz: „Das werde ich noch nachholen. Diejenigen, die Jura studieren, wissen, welche zwei Prüfungen mir noch fehlen. Aber Uni ist bei mir eher etwas für die Tagesfreizeit.“ Klar. Für Paukerei ist in seinem Terminplan kein Platz. Wer bald ein Land regieren möchte, hat anscheinend Besseres zu tun. Zum Beispiel, nach Düsseldorf zu kommen.
Sebastian Kurz will im Oktober neuer Kanzler von Österreich werden
Es ist ein warmer Montagabend. Bei dem elitären „Ständehaustreff“ im Kunstmuseum K21 sitzen an großen, üppig gedeckten Tischen Vertreter von Unternehmen, Stiftungen und Parteien. Dresscode: „Businesswear“. Der Mann, wegen dem alle hier sind, ist einer der jüngsten im Saal. Dass er gegen 19.15 Uhr bereits den Saal betreten hat, hat kaum einer bemerkt. Kein offizieller Einmarsch, kein Tamtam.
Schicker Empfang in Düsseldorf: 500 handverlesene Gäste kamen zum Empfang mit Sebastian Kurz. (Foto: Sandra Wahle / Orange by Handelsblatt)
Dabei ist Sebastian Kurz nicht weniger als ein politisches Wunderkind. Mit 23 Jahren wird er Bundesobmann der Jungen Volkspartei, mit 24 Staatssekretär, mit 27 Minister für Europa, Integration und Äußeres. Und dieses Jahr im Oktober tritt er bei der Nationalratswahl an, um der nächste Kanzler Österreichs zu werden – mit 31.
Die Stimmung im Saal lockert sich, als RP-Chefredakteur Michael Bröcker mit Kurz ins Gespräch kommt. Während Bundeskanzlerin Merkel es sich dort im April in einem Sessel bequem machen konnte, gibt sich Kurz mit einem Hocker zufrieden und stützt sich lässig auf den Tisch. Der Herr Außenminister macht an diesem Abend einen ausgelassenen, authentischen und genauso entschlossenen Eindruck.
Kurz kritisiert die deutsche Flüchtlingspolitik als „schweren Fehler“
Er witzelt darüber, ob ihm Horst Seehofer oder Angela Merkel politisch nähersteht: „Mein Botschafter hat mir auf der Hinfahrt noch erzählt, in welchem Teil Deutschlands wir uns hier befinden und dass das hier nicht Bayern ist. Ich werde bei meiner Wortwahl also achtgeben.“ Ein gemeinsames Foto mit seiner Jugendliebe Susanne auf den Bildschirmen entlockt ihm ein Lächeln: „Oh, jetzt sehe ich sie auch mal wieder“.
Sebastian Kurz (l.) im Gespräch mit RP-Chefredakteur Michael Bröcker: Wie stehen Sie zu Angela Merkel? (Foto: Sandra Wahle / Orange by Handelsblatt)
Vielleicht ist es auch sein Wiener Dialekt, der ihm eine gewisse Sympathie verleiht. Die Themen, die angesprochen werden, hat er in den vergangenen Jahren erfolgreich zu seinen Themen gemacht: Migration, Integration, Europa.
Man hörte wenig von dem Jungen aus Wien – bis er mit seiner Kritik an der europäischen Flüchtlingspolitik in die Schlagzeilen geriet. Die Grenzöffnung für Migranten nannte er einen „schweren Fehler“, führte Obergrenzen in Österreich ein, bei Anne Will griff er die deutsche Flüchtlingspolitik an und sagte, eine Flüchtlingskrise komme nicht „ohne furchtbare Bilder“ aus.
„Angela Merkel ist nicht die einzige Politikerin in Europa“
An seinen Standpunkten hält er fest: Der Erfolg der Integration hinge von der Zahl der zu Integrierenden ab, die nicht bis ins Unermessliche steigen dürfe. Er plädiert leidenschaftlich dafür, den Menschen in ihren Herkunftsländern zu helfen. Für die Zukunft prognostiziert er große Migrationsströme aus Afrika und erzählt von seinem Besuch in Nairobi: „Die jungen Menschen dort wollen alle nach Europa, hier sehen sie eine Perspektive.“
Und warum sind sie noch nicht hier? „Weil sie sich den Schlepper nicht leisten können.“ Diese Schlepper dürften jedoch nicht die sein, die darüber entscheiden, welche Menschen es nach Europa schaffen und welche nicht. Im Idealfall sollten afrikanische Flüchtlinge direkt an der nordafrikanischen Küste wieder zurückgeführt werden, damit erst gar kein Anreiz für eine Flucht nach Europa besteht.
Für seine Worte erntet er im Ständehaus Beifall – mal kräftig, mal weniger. Mit seiner Politik wollte er nie ein Gegenspieler zu Angela Merkel sein. „Aber sie ist eben nicht die einzige Politikerin in Europa.“
„Es macht keinen Sinn, alles europäisch zu machen“
Ob mit Macron in Frankreich und Kurz in Österreich bald eine neue U40-Generation von Politikern heranwachse, die ein anderes Europa wünscht? „Das Alter bestimmt nicht die politische Linie. Aber für meine Generation ist Europa selbstverständlich, deshalb können wir die Diskussionen darüber vielleicht härter angehen“, sagt er.
Es gehe also nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“ beim Thema EU. Er wünscht sich ein „Europa der Subsidiarität“: „Es macht keinen Sinn, alles europäisch zu machen. In einem Europa, in dem wir nicht in der Lage sind, unsere Außengrenzen zu schützen, darf es nicht das größte Anliegen der EU sein, in jedem Land verpflichtend Allergene in Speisekarten zu schreiben.“
In einem solchen Europa könnte er seine Positionen schon bald nicht mehr als Außenminister vertreten, sondern als Kanzler. Am 15. Oktober wird die österreichische Bevölkerung darüber entscheiden, ob sie ihn zum jüngsten Bundeskanzler der Landesgeschichte machen will.
Bei der letzten Frage gerät Sebastian Kurz ins Stottern
Kurz kann seine Positionen ohne lange Überlegungen zum Ausdruck bringen. An meinem Tisch sind sich die Gäste einig, dass er im Oktober das Rennen machen wird. Doch bei der letzten Frage auf der Bühne gerät der junge Polit-Star ins Stottern. Was die Deutschen von den Österreichern lernen können, weiß er im ersten Moment nicht zu beantworten.
Er weicht aus: „Also das Essen hier war vorzüglich, aber ich empfehle jedem Gast hier im Saal, mal einen Tafelspitz oder eine richtige Sachertorte in Wien zu genießen“. Nach gut einer Stunde verlässt Kurz die Bühne und auch das Ständehaus. In den Genuss der Sachertorte, die zum Abschluss des Abends noch aufgetischt wird, kommt er nicht mehr.
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