Niederrad. Wer an das Stadtgeschehen im Frankfurt der 1920er-Jahre denkt, dem fällt als einer der ersten Namen wohl Ernst May ein, der mit seiner Architektur ganze Stadtteile noch bis heute prägt. Er schuf in seinem Konzept „Neues Frankfurt“ das Prinzip der Frankfurter Küche, die als Prototyp der modernen Einbauküche gilt und dem Kochen eine neue Funktionalität geben sollte und ließ Frankfurt nicht nur damit in die Literaturgeschichte eingehen.
Enger Mitarbeiter
Ein Name, den man allerdings oft nur kennt, wenn man sich tiefer mit der Materie beschäftigt hat, ist der Name Hans Leistikows. „Leistikow war einer der engsten Mitarbeiter Mays, der ihn 1925 als Chef des städtischen Gestaltungsbüros aus seiner schlesischen Heimat – wo May und Leistikow sich kennengelernt hatten – nach Frankfurt holte.“ Das erklärte der Stadtführer und Journalist Dieter Wesp bei einer Führung durch das Leben von Leistikow. „In Frankfurt bestand seine Aufgabe in der Gestaltung aller städtischen Drucksachen. Leistikow lieferte Lotterielose ab, Schilder und einen modernen – und schwer umstrittenen – Neuentwurf des Adlerwappens.“
Auch die gesamte Gestaltung der von May herausgegebenen Zeitschrift „Neues Frankfurt“ stammt aus der Familie Leistikow. Hans übernahm die grafische und typografische Gestaltung, seine Schwester Grete, die er zu sich nach Frankfurt geholt hatte die Fotografie. Auch wenn es um die Farbgebung von Häusern in Neubaugebieten ging, holte sich May bei Leistikow gestalterischen Rat.
Doch die geschichtliche Bedeutung Leistikows war nur ein Grund, warum Wesp die 80. Ernst-May-Führung auf den Spuren des Grafikers anbot: „Es gibt auch einen ganz aktuellen Anlass“, erklärte Wesp: „Das Nutzungsrecht des Grabes von Hans Leistikow und seiner Frau Erica, die 1993 verstarb, war nach etwas über 20 Jahren ausgelaufen. Das Grab sollte entfernt werden.“ Mitglieder der Ernst-May-Gesellschaft erfuhren davon, gründeten das „Leistikow-Kollektiv“, übernahmen kurzerhand eine Patenschaft, reinigten den Grabstein und bepflanzten das Grab neu.
„Eine Grab-Patenschaft für die Ruhestätten bedeutender Persönlichkeiten kann jeder bei der Friedhofsverwaltung beantragen“, erklärte Wesp im Rahmen der Führung die Vorgehensweise. „Die Sache ist kostenlos, man verpflichtet sich aber, das Grab auf eigene Kosten zu pflegen.“ Gräber, die eine solche Patenschaft auf dem Südfriedhof wert wären, gibt es in seinen Augen genügend: „Etwa das Grab des Fotografen Hermann Collischonn direkt an der Rückseite des Grabsteins von Leistikow. Er wirkte und arbeitete ebenfalls unter dem Siedlungsdezernenten Ernst May in Frankfurt.
Was Leistikow angeht, finden sich allerdings auch noch nach dem Krieg viele andere Spuren in Frankfurt: „Er entwarf die Fenster des Frankfurter Doms sowie der Westend-Synagoge und arbeitete fest mit den Architekten Alois Giefer und Hermann Mäckler zusammen. Das gemeinschaftlich geplante und bebaute Grundstück der drei bedeutenden Frankfurter im Wilhelm-Beer-Weg nahe dem Goetheturm besuchte die Führung im Anschluss an den Gang über den Friedhof.
„Das Grundstück zeigt ohne Frage, dass die Stadt trotz seiner Verdienste kurz davor ist, Leistikow zu vergessen“, sagte Wesp und jeder, der den kurzen Spaziergang im Rahmen der Führung auf sich genommen hatte, sah kurze Zeit später, warum. Die Häuser rechts und links des Ensembles, die als Wohnhäuser von Giefer und Mäckler bewohnt waren, stehen heute unter Denkmalschutz und sind in einem sehr guten Zustand.
Haus verwuchert
Das Wohnhaus Leistikows in der Mitte indessen ist von Hecken umwuchert und kaum mehr zu sehen. Wer näher herantritt, sieht, dass das Gebäude selbst verfallen ist: Das Dach ist an einigen Stellen instabil, die Innenräume teils schon durch Efeu bewachsen und die Einbauküche seit Jahrzehnten ungenutzt, wie ein Blick durch die schmutzigen Fenster beweist.
„Wir planen nun herauszufinden, wem das Haus gehört und warum es nicht mit dem restlichen Ensemble unter Denkmalschutz gestellt wurde“, so Wesp. Noch glaubt er daran, dass das Haus und damit auch ein Teil des Andenkens an Leistikow mit viel Engagement zu retten sind. Die nötige Motivation ist bei ihm und seinen Mitstreitern vom Leistikow-Kollektiv vorhanden.
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