Von Sabine Hebbelmann
Walldorf. "Ich stand da wie ein Stein", erinnert sich Uwe Dziuballa. Auf Einladung der Schülermitverantwortung (SMV) des Gymnasiums Walldorf berichtet der jüdische Restaurantbesitzer vor rund 80 Schülern der Kursstufe, wie er den Angriff auf sein Restaurant "Schalom" in Chemnitz am 27. August erlebt hat. Mit ihm auf dem Podium sitzen Mitglieder des Politikausschusses der SMV: Leiterin und Schülersprecherin Sophia Stoye, die Schüler Arved Ehrnsperger und Paul Horst sowie Alexander Hahn, der als Verbindungslehrer den Politikausschuss mit betreut. Zuvor hatte die Schülersprecherin dem Gastronomen eine "Stellungnahme gegen Rassismus und Gewalt" mit 1250 Unterschriften überreicht.
Mit einer "Stellungnahme gegen Rassismus und Gewalt" hat der Politikausschuss der Schülermitverantwortung des Gymnasiums Walldorf ein Zeichen gesetzt. Im Text werden auch Parallelen zur Reichspogromnacht gezogen. Die Unterschriftenliste lag in der Schule und bei Elternabenden aus. Schüler wurden erst ab Klasse 7 angesprochen. "Die Aktion war rein freiwillig, wir haben darauf geachtet, dass
Mit einer "Stellungnahme gegen Rassismus und Gewalt" hat der Politikausschuss der Schülermitverantwortung des Gymnasiums Walldorf ein Zeichen gesetzt. Im Text werden auch Parallelen zur Reichspogromnacht gezogen. Die Unterschriftenliste lag in der Schule und bei Elternabenden aus. Schüler wurden erst ab Klasse 7 angesprochen. "Die Aktion war rein freiwillig, wir haben darauf geachtet, dass kein Gruppenzwang ausgeübt wird", betont Alexander Hahn, der als Verbindungslehrer den Politikausschuss unterstützt. An der Unterschriftenaktion beteiligten sich zahlreiche Schüler, Eltern und Lehrkräfte. Mit 1250 Unterschriften füllt die Liste einen ganzen Aktenordner. "Wir freuen uns über so viel Resonanz", sagt Schulleiter Gerald Kiefer und auch Verbindungslehrer Hahn betont: "Wir sind stolz auf diese Zahl." heb
Das "Schalom" in Chemnitz hat montags Ruhetag. Uwe Dziuballa ist an diesem 27. August dennoch da - der Journalist Armin Flesch hält für den Verein Schalom einen Vortrag über die Arisierung jüdischer Firmen in und um Chemnitz. Der Referent und die Gäste sind schon fort. Von den Ausschreitungen in der Innenstadt hat Dziuballa nichts mitbekommen, als er vor die Tür tritt und sich unvermittelt einem Dutzend vermummter Männer gegenübersieht. "Die erste Reihe hat ähnlich erschrocken geguckt wie ich", berichtet der 53-Jährige. Er vermutet, dass die Angreifer nicht mit seiner Anwesenheit gerechnet hatten.
Dziuballa ist so geschockt, dass er den Steinen nicht ausweicht, die in seine Richtung geworfen werden. Auch Flaschen fliegen, ein Stück Eisenrohr bleibt in der Hecke stecken. "Verschwindet!" Ob er das gesagt oder nur gedacht hatte, er weiß es selbst nicht. Jedenfalls ruft er schließlich die Polizei und die Gestalten laufen davon.
Die Gymnasiasten auf dem Podium haben Fragen vorbereitet: "Wie hat sich die Lage in Chemnitz verändert?" Die Rechten, betont er, hätten am 26. und 27. August gezeigt, wie vernetzt sie sind. Da seien VW-Busse aus Berlin, Frankfurt und Cottbus gekommen. Die Stadt, die bisher eher ein Schattendasein gepflegt habe, sei durch die Ausschreitungen in ganz Deutschland und sogar Europa bekannt und zum Wallfahrtsort für nationale und rechtsextreme Prominenz geworden. "Außer Gauland waren alle da, die man so kennt", sagt Dziuballa.
Er sieht aber auch positive Effekte. Rechte Umtriebe seien zuvor von der Kommunalpolitik bis hin zum Ministerpräsidenten kleingeredet worden. Die Stadt habe Ordnungskräfte bezahlt, die Rudolf-Hess-T-Shirts getragen hätten. "Das hat sich geändert, die Sensibilität hat zugenommen", berichtet der jüdische Restaurantinhaber. Viele Bewohner hätten die Negativberichte satt und seien bereit, vermehrt auch das Positive an ihrer Stadt zu sehen.
Dann geht es um die Berichterstattung. Einige Schüler finden, die Ereignisse in Chemnitz seien generell zu sehr hochgekocht worden. Warum aber wurde der Angriff auf das Restaurant erst Tage später öffentlich? Im Vorfallsbericht der Polizei hätten 184 Übergriffe gestanden, doch das "Schalom" sei nicht dabei gewesen, bemerkt Dziuballa. Selbst der Ministerpräsident habe erst nach seiner Regierungserklärung am 5. September davon erfahren.
Der mittleren Beamtenebene traue er zu, so etwas verschwinden zu lassen, betont der Gastronom mit Nachdruck, worauf eine Schülerin nachhakt: "Warum wurde das Restaurant in der Berichtsliste der Polizei nicht erwähnt?" Der Polizist, dem er einen durch einen Beton-Pflasterstein verursachten Bluterguss an der Schulter zeigte, habe gestöhnt: Wenn ihn dieser Stein an den Kopf getroffen hätte, das wäre "der Supergau" gewesen. Die Polizei habe den Vorfall rausgenommen, um eine Eskalation zu vermeiden, vermutet Dziuballa.
Tatsächlich seien die Beamten in dieser Nacht kompetent aufgetreten. Sie seien schon nach einer Minute zur Stelle gewesen, hätten sich empathisch verhalten und den Vorfall erkennungsdienstlich aufgenommen. Sein Restaurant sei schon öfter Zielscheibe geworden, berichtet der Gastronom. So habe er zwischen 2000 und 2012 Sachbeschädigungen mit einem Schaden von insgesamt 41.000 Euro angezeigt. Aufgrund schlechter Erfahrungen habe er dann jahrelang keinen Kontakt zu den Ordnungshütern gehabt.
Nach seinem Sicherheitsgefühl befragt bekennt Dziuballa, die Alltagsgelassenheit sei ein bisschen verloren gegangen. Es ärgere ihn, wenn er sich Gedanken darüber mache, ob er in bestimmten Situationen die Kippa trage. "Ich bin nicht der klassische Opfertyp", betont der Gastronom glaubhaft und fügt hinzu, wenn er sich anders kleiden würde, könnte er auch als Hooligan durchgehen.
Von erhöhter Polizeipräsenz während der Öffnungszeiten will Dziuballa nichts wissen, stattdessen wünscht er sich sehnlichst Normalität. "Wir wollen Teil der gastronomischen Gesellschaft Deutschlands sein."