Sonntag, 14:00 Uhr, gähnende Leere. Obwohl die Veranstaltung des Vereins "Akdag-YarDer" (Ein Bezirk der Provinz Yozgat) um 14 Uhr beginnen sollte, ist kein Verantwortlicher anwesend, lediglich einige Jugendliche sitzen bereits auf ihren Stühlen und blicken gebannt auf ihre Smartphones. Schließlich zeigt sich ein jugendlicher Ordner, der aber selbst nicht weiß, wann es losgehen wird: "Eine leichte Verspätung wird es schon geben." Als er dies sagt, zeigt die Uhr 14:21.
Draußen vor dem Eingang des Etap Event Centers im 23. Wiener Gemeindebezirk, das öfters für Hochzeiten, Festivitäten oder Iftar-Essen zum Ramadan gebucht wird, bilden sich Pulks von Rauchern. Der 19-jährige Samed ist einer von ihnen. Ob er weiß, wann es losgehen wird, beantwortet er mit einem verschmitzten Lächeln. Nach einem genüsslichen Zug von seiner Zigarette sagt er lapidar: "Türkische Veranstaltung halt." Samed ist auskunftsfreudig. "Ich bin nicht so politisch, aber Hasan Vural wird gewählt, weil er aus Yozgat ist", fährt er fort. Die Frage, ob es nicht ungerecht oder unpassend sei, jemanden zu wählen, nur weil er aus der gleichen Provinz stammt, bringt ihm zum Nachdenken. Von einem breiten Grinsen begleitet, findet er schließlich seine Antwort: "Wieso ungerecht, die Leute aus Samsun oder sonst wo dürfen ja auch ihre eigenen wählen. Wir Leute aus Yozgat halten zusammen." Er wirft den Zigarettenstummel weg und verabschiedet sich. Er werde später wiederkommen. Eine "türkische Veranstaltung" halt.
Warten auf Hasan15:21, der Saal füllt sich langsam, die Anwesenden werden währenddessen von türkischen "Arabesk"- und "Türk-Pop"-Liedern beschallt. Plötzlich lassen sich die ersten Verantwortlichen vom Verein "Akdag-YarDer" blicken und antworten mantraartig: "Sie sind schon auf dem Weg." Angekündigt sind der Bürgermeister von Akdagmadeni, einem Bezirk Yozgats, aus dem auch viele türkeistämmige Wiener stammen. Außerdem Manfred Juraczka von der ÖVP, der aus Yozgat stammende ehemalige türkische Finanzminister Lütfullah Kayalar und schließlich der in Yozgat/Akdagmadeni geborene ÖVP-Kandidat Hasan Vural. 13.000 Menschen aus Yozgat/Akdagmadeni soll es den Angaben des Vereins "Akdag-YarDer" zufolge allein in Wien geben. Die anderen Bezirke Yozgats nicht mitgezählt, ist das bereits ein Wähler-Reservoir, dem sich Vural von Anfang an verschrieben hat. Doch Anfang der Woche hatte der Obmann von AYFED (Dachverband der meisten Yozgat-Vereine in Österreich, Anm.) Feyzullah Andak in einer OktoTV Sendung aufhorchen lassen, als er sich über jene Politiker beschwert hatte, die heute um Stimmen buhlen würden, sich aber davor nie für die Belange der Menschen aus Yozgat eingesetzt hätten. Auch wenn kein Name gefallen war, war dies offensichtlich an den einzigen Kandidaten mit Wurzeln in Yozgat gerichtet: Hasan Vural. Dadurch hatte die Veranstaltung zusätzliche Brisanz erhalten.
16:37, Unruhe macht sich breit, die Verantwortlichen bleiben dabei: "Unsere Gäste sind auf dem Weg." Zwei ältere Herren echauffieren sich zusehends. Sie wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen, reden aber munter weiter. "Sollen wir jetzt wegen Hasan Vural nicht mehr die SPÖ wählen, hab ich das richtig verstanden?", fragt einer der beiden Pensionisten. "Ich hab immer SPÖ gewählt. Vural? Ich weiß nicht. Außerdem ist meine Hand schon ans Wählen der SPÖ gewöhnt", resümiert der ältere der beiden. Beide grinsen. "Aber wer so spät kommt, der macht sich halt auch keine Freunde", sagt der Jüngere der beiden. Schließlich stehen beide auf und gehen zur Kantine. Als sie wieder da sind, ist der Star des Abends und seine Entourage immer noch nicht da.
Scheinbar aus Verzweiflung lassen währenddessen die Vereinsverantwortlichen spontan junge Sänger auftreten, die ihre große Chance allerdings vermasseln, weil sich zuvor niemand um den Soundcheck gekümmert hat. Man applaudiert aus Höflichkeit, doch die Unruhe unter den Wartenden nimmt zu. Die beiden älteren Herren nehmen ihre Plätze wieder ein. Noch immer kein Hasan Vural, aber ihre gute Laune ist geblieben: "Wär das eine Hochzeit und der Bräutigam hätte sich dermaßen verspätet, hätten wir bereits Blutrache geschworen."
"Einer von euch!"17:51, der Konvoi der Gäste des Abends hat endlich den Weg vom Brunnenmarkt in den 23. gefunden. Bei der Eröffnung des Vural’schen Bürgerlokals am Brunnenmarkt hatte man sich offensichtlich ordentlich Zeit gelassen. Als die Gäste endlich eingetroffen waren, hatten die ersten Gäste die Veranstaltung bereits wieder verlassen. Dennoch war der Saal noch gut gefüllt. Eilig machten sich die Verantwortlichen daran, die geladenen Gäste zu platzieren und simultan die Redner ans Pult zu holen. Nevzat Basdogan, der Obmann von "Akdag-YarDer" hält seine Rede auf Türkisch und soll anschließend an Manfred Juraczka übergeben. Doch der Moderator will die Menge noch etwas einpeitschen. Er lässt den ÖVP-Landesparteiobmann – auf Türkisch – wissen, dass er mit Hasan Vural nicht nur den Liebling der Menschen aus Yozgat nominiert hätte, sondern auf die Zuneigung aller Türken weltweit vertrauen könne. Und mit dieser frohen Botschaft, die ihm dann schnell ins Deutsche übersetzt wird, redet der ÖVP-Politiker von Familie. Und im Grunde nur davon. Und damit kündigt er im Grunde das Programm Vurals an.
Hasan Vurals Rede auf Türkisch
Vural kommt ans Rednerpult, alle warten gespannt und er überrascht. Mit donnernder Stimme zitiert er aus der türkischen Nationalhymne: "Welch Verrückter will mich in Ketten legen…" Die Menge ist jetzt auf Betriebstemperatur, die Verspätung scheinbar vergessen. Und dann überrascht Vural ein zweites Mal. Die Auseinandersetzungen zwischen dem Milli Görüs Lager um den SPÖ-Kandidaten Resul Ekrem Gönültas und dem AKP-affinen Lager um Vural hatten sich zugespitzt. Unter den geladenen Gästen war mit dem Anwalt Ümit Vural (nicht verwandt mit Hasan Vural, Anm.) einer der wichtigen Namen der Milli Görüs in Wien zugegen. "Ich hoffe, wir werden in Zukunft alle miteinander erfolgreich Politik machen können", sagte Hasan Vural in Richung Ümit Vurals. Schließlich stammen beide Herren aus Yozgat.
"Ja, mein Deutsch ist nicht gut, ich mache auch viele Grammatikfehler", fährt der ÖVP-Kandidat fort, "aber warum sagt keiner, dass ich Kurdisch, BKS, Polnisch und Slowakisch kann?" Die Diskussionen um seine Deutschkenntnisse haben den Unternehmer offenbar verärgert. Er sei 2008 in die Politik gegangen im Zuge der Wirtschaftskammerwahlen und habe konsequent gearbeitet. Dass seine politische Karriere beim Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband (SWV) begonnen hatte, den er erst Ende 2009 verließ, erwähnt er nicht. Dennoch weiß er, was "seine" Leute hören wollen. Er spricht von rassistischen Jugendämtern im roten Wien, die türkische Kinder bewusst aus ihren Familien reißen würden. Er repliziert dabei offenbar die Kampagne, die der türkische Staatssekretär für Auslandstürken und Vize-Premier Bekir Bozdag lanciert hatte, als er europäischen Ländern vorgeworfen hatte, bewusst türkisch-muslimische Kinder in nicht-muslimische Familien zu geben. Vural und Bozdag stammen beide aus Akdagmadeni. Er sei für verpflichtenden Religionsunterricht und gegen die Pläne der SPÖ. Auch die Verkehrspolitik der rot-grünen Regierung kritisierte er lange, wohlwissend, dass sein Zielpublikum Auto-affin ist.
Vural, der sich selbst im Wahlkampf als authentisch beschrieben hat und auf eine Art "Street-credibility" zu setzen scheint, ließ es sich auch nicht nehmen, einen Jugendfreund aus der Menge zu nennen, mit dem er auch schon gemeinsam Raufereien überstanden hätte. "Ich sage euch nicht, ihr könnt auch andere wählen, nein, ich will alle eure Stimmen – für euren Jungen aus Yozgat," schließt er schließlich seine Rede ab. (Rusen Timur Aksak, 17.9.2013, daStandard.at)