Andreas trägt sehr gerne weiße Turnschuhe. Das wirkt so dynamisch und unterstreicht seinen rebellischen Geist, findet er. Wir haben seinen Namen geändert, aber Sie werden ihn trotzdem erkennen. Andreas sagt sehr viel und sehr oft etwas in irgendwelche Mikrofone hinein. Und gerne spricht er laut das aus, was man seiner Meinung nach heute nicht mehr sagen darf. Andreas hat zu allem eine Meinung, fast könnte man meinen, er sei Kolumnist.
Früher war er ein Mann der Bücher, aber er geht mit der Zeit und hat neuerdings einen Podcast. Und da kommentiert er auch das Weltgeschehen. Zum russischen Angriffskrieg hat auch er eine Meinung, schlimm sei das natürlich. Aber Andreas meint, Krieg sei keine Lösung, er fordert: Waffenstillstand, jetzt. Wie dieser Waffenstillstand aussehen soll, das sollen sich mal lieber andere überlegen. Andreas findet westliche Werte gut. Und man fragt sich, was er damit meint.
Freiheit und Menschenrechte sicherlich nicht, denn die sind ja bekanntlich universell. Und Ländern wie China, findet Andreas, sollte man nicht reinreden. Etwas Ähnliches hat auch sein Kollege Richard David Precht kürzlich in einem Podcast gesagt: China sei eine Kulturnation, und die solle man bitte schön nicht mit westlichen Werten missionieren. Denkt man das weiter, könnte man auch fragen, ob demnach die Lager in Xinjiang, in denen Hunderttausende Uiguren interniert sind, im Grunde nichts anders als eine kulturelle Eigenart sind? Aber weitergedacht wird nicht.
Welterklärer, die Welterklärer nicht mögenAndreas hat noch eine Kollegin. Und die soll hier Susanne heißen. Susanne trägt nicht so schnittige Turnschuhe wie Andreas, dafür gerne bunte Halstücher. Auch sonst ist sie nicht so auf Andreas' Wellenlänge. Susanne hält ihn für einen dieser weißen Männer, die einem die Welt erklären. Und von weißen Männern mit Welterkläreritis hält Susanne nicht viel. Susanne hat ihre publizistische Karriere den Verdammten dieser Erde gewidmet. Und da ist sie ganz großzügig und unfreiwillig fast wieder bei Andreas, weil sie findet, man solle Länder wie Iran und Saudi-Arabien nicht mit den eigenen Vorstellungen von Frauenrechten behelligen.
Anfang der Nullerjahre wurde Susanne als erbitterte Gegnerin der westlichen Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Die Tyrannei Saddam Husseins und der Taliban findet man in ihren Texten nur in Nebensätzen. Zwar geht Susanne nicht so weit wie Judith Butler, die die Burka zum Bollwerk gegen die westliche Moderne stilisiert, findet Kritik an ihr aber rassistisch. Und der Islamismus sei ja sowieso nur eine Reaktion auf den Kolonialismus. Als in Iran die Frauen dann begannen, ihre Kopftücher zu verbrennen, passte das nicht so sehr in ihr Konzept. Aber egal. Susanne macht weiter. Es gibt nämlich viel zu tun, auch beim Thema Meinungsfreiheit - gerade was Kritik an Israel betrifft, die artikuliert sie auch ziemlich laut, obwohl man sie ihrer Meinung nach in Deutschland kaum mehr äußern dürfe.
Auch Udo sieht die Meinungsfreiheit in Deutschland bedroht, wobei bedroht noch untertrieben ist. Udo wähnt sich schon in einer Diktatur. Udo passt eigentlich nicht so ganz in diese Reihe. Denn Udo hat in den vergangenen Jahren den Boden des Grundgesetzes vollständig verlassen, wie das eben oft ist, wenn mal wieder einer abdreht und man sich fragt: War der schon immer so? Aber Udo schreibt und spricht wie eh und je, in einschlägigen Youtube-Kanälen, in Blogs und Magazinen. Dort warnt er vor dem Kriegstreiber USA, der links-grünen Umerziehung und faselt vom Reproduktionsverhalten der Afrikaner.
Flüchtlinge, findet Udo, sollten lieber draußen bleiben. Für einen Herrn Erdogan, einen Herrn Putin, einen Herrn Assad - so nennt er sie in seinen Beiträgen - hat er hingegen Verständnis. Und ein bisschen bewundert er sie auch, diese starken Männer. Und er findet, in die Geschäfte dieser souveränen Staatsmänner solle man nicht reinreden. Schließlich halten sie einem die Flüchtlinge vom Leib. Ja, selbst gegen die Mullahs hat er nichts, wenn sie ihre „kulturellen Sitten" wie Auspeitschen und dergleichen nur in ihren Ländern praktizieren. Auch wenn Andreas Udos Phrasen als geschmacklos und Susanne sie als gefährlich bezeichnet, lässt sich doch eine gewisse Parallelität in den kulturrelativistischen Äußerungen erkennen.
Und dann ist da noch Alina. Auch Alina schreibt, bis zu acht Slides pro Thema, auf Instagram. Wenn sie noch ein paar mehr Follower hat, dann hoffentlich bald auch ein Buch. Irgendwas mit Feminismus, das Thema wird sich noch finden. Alina findet, man solle Andreas keine Plattform geben. Deswegen regt sie sich auf, dass sein neues Buch in den Feuilletons überall besprochen, wenn auch meist verrissen wird. Darüber hat sie schon getwittert.
Auch die bunten Halstücher von Susanne sind nicht so ihr Ding. Ihre Bücher hat sie zwar durchaus mit Interesse gelesen. Alina findet jedoch, man solle vorrangig Betroffene sprechen lassen. Und Susanne ist eben eine weiße Frau. Wer über etwas spricht, findet Alina eine wichtige Frage unserer Zeit. Dann ist auch gar nicht mehr so wichtig, was gesagt wird.