Neulich bin ich beim Lesen auf das Wort „Rückführer" gestoßen. Wussten Sie, dass es den Beruf des Rückführers gibt? Zugführer, Kranführer, ja, aber Rückführer? Ich wusste das nicht. Dabei weiß ich seit meiner Kindheit, was ein Rückführer macht. Man weiß das, wenn man mit einem Vater aufwächst, der als Flüchtling nach Deutschland kam. Da lernt man früh ein gewisses Vokabular: Gefängnis, Folter, Diktatur, Regime, Geheimdienst, Asyl, Duldung, Abschiebung. Ein Rückführer macht Abschiebungen. Rückführer ist eigentlich nur ein anderes Wort für Abschiebepolizist. Aha. Die deutsche Sprache hält einige wunderliche Wortneuschöpfungen für das Thema Flucht bereit.
Kein anderes hat in den vergangenen Jahren stärker polarisiert. Allein die Wortwahl: Flüchtling (verniedlichend, paternalistisch), Geflüchteter (suggeriert, die Flucht sei irgendwann abgeschlossen, was so nicht stimmt). Dann die Diskursverschiebung, rechte Hetze - Kinder an der Grenze abknallen wollen und so, wozu man einfach nur sagen sollte: nein. Es erscheint mir fast albern, hier nochmals auf die Einhaltung grundlegender Menschenrechte zu pochen, aber man hat ja einiges gehört und gesehen. Deswegen sei hier nochmals gesagt: Dass es Lager wie Moria weiterhin gibt, ist eine humanitäre Katastrophe; dass überfüllte Schlauchboote zurück ins Meer getrieben werden und es unterlassene Seenotrettung gibt, ist ein Verbrechen.
Flüchtlinge sind kein monolithischer Block. Sie kommen vom Dorf oder aus der Stadt, sind Zahnärztinnen oder Gärtner, Literaturliebhaber oder Analphabeten, humorlose Spießbürger oder unverbesserliche Hedonisten. Die Flucht macht auch nicht alle gleich. Wem das Geld ausgeht, der kommt nicht weiter. Frauen sind viel häufiger von sexualisierter Gewalt betroffen als Männer. Homosexuelle Flüchtlinge und religiöse Minderheiten müssen mitunter ihre Identität verstecken, um sich zu schützen. Das alles setzt sich in den Aufnahmeeinrichtungen fort.
Viel wurde die letzten Jahre über Flüchtlinge gesprochen, wenig darüber, wie sie zu solchen wurden, dass es manchmal so wirkt, als wären sie einfach so am Rande des Mittelmeers aufgetaucht. Flucht ist nur ein Symptom für eine anderswo stattfindende Krise. Es ist Zeit, die Fluchtursachen mehr in den Blick zu nehmen.
Dänemark plant, Syrer in die Region um Damaskus abzuschieben, das wieder unter der Herrschaft des Assad-Regimes steht. Auch hier werden gewisse Stimmen dazu lauter. In einigen Landesteilen sei es jetzt ja ruhig, also: Es fallen einem keine Bomben mehr auf den Kopf. Doch die Ruhe gleicht einer Friedhofsruhe. Der Geheimdienst foltert und mordet weiter. In Deutschland hat die Innenministerkonferenz im Dezember ein Ende des Abschiebestopps nach Syrien beschlossen. Das ist vorerst nur eine populistische Geste. Faktisch müssten erst einmal diplomatische Beziehungen zum syrischen Regime aufgenommen werden, was ein fatales Signal wäre, weil Assads Regime auf diese Weise Anerkennung fände.
Besonders laut wird die Forderung nach Abschiebung immer nach islamistischen Anschlägen. Doch wer glaubt, den Terror so in den Griff zu bekommen, irrt gewaltig. Islamismus ist eine menschenverachtende Ideologie, der nicht nur Flüchtlinge anhängen, sondern auch Leute mit Namen wie Jennifer oder Christian. Die meisten islamistischen Gefährder hierzulande haben sowieso einen deutschen Pass. Außerdem ist es bedenklich, Islamisten in Staaten ohne ein funktionierendes Rechtssystem zu schicken, wo sie mir nichts dir nichts wieder aus dem Gefängnis freikommen und schwuppdiwupp wieder Leute köpfen wollen, die in ihren Augen Ungläubige sind.
Besser wäre es, in Europa gegen sie vorzugehen. In Prozessen gegen IS-Täter wie derzeit in Frankfurt oder gegen Folterknechte des Assad-Regimes wie in Koblenz zeigt sich der Rechtsstaat von seiner schönsten Seite. Wir sollten sie noch viel öfter zu sehen bekommen. Überlebende des IS und Opfer des Assad-Regimes, die hierher geflüchtet sind, haben Anteil an der Aufklärung dieser Verbrechen.
Neulich las ich von der Abschiebung zweier politischer Flüchtlinge, die in letzter Sekunde nur durch einen Hungerstreik und durch passiven Widerstand im Flugzeug verhindert wurde. Kavan Heidari engagierte sich in der Kurdischen Demokratischen Partei Iran und wurde vom iranischen Regime gefoltert - in Iran droht ihm die Hinrichtung. Nazdar Ecevit gehört der demokratischen HDP-Partei an, in der Türkei würde sie aus politischen Gründen inhaftiert werden. Es ist nahezu unbegreiflich: Menschen, an denen Verbrechen begangen wurden, sind in Abschiebehaft, die verbrecherischen Regime aber auf freiem Fuß, so in etwa.
Zum europäischen Selbstverständnis gehören Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte. Diese Werte sollten endlich Grundbedingung europäischer Außen- und Flüchtlingspolitik werden, sowohl hinsichtlich der Opfer als auch der Täter dieser Regime.