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Gelehrte Gesellschaften des 18. Jahrhunderts und ihre Rolle als Foren des wissenschaftlichen Austausches

Im 18. Jahrhundert entstanden in ganz Europa gelehrte Gesellschaften. Sie widmeten sich der Forschung und der Verbreitung von Wissen. Diese Gesellschaften wurzelten noch im Ancien Régime, ihre Vertreter waren Mitglieder der oberen Stände, des Adels oder - wie in der Schweiz - der städtischen Bürger-Aristokratie. Doch die Wirkung ihres Tuns trug nicht nur zu einer Professionalisierung der Wissenschaften bei. Sie verfolgten mitunter auch ganz praktische Reformziele wie die Vermittlung von landwirtschaftlichem Wissen an die Bevölkerung. Pioniercharakter für die helvetischen Sozietäten hatte die Naturforschende Gesellschaft Zürich.

Das 18. Jahrhundert - das Jahrhundert der Aufklärung - war ein geselliges Jahrhundert, wie es der Historiker Ulrich Im Hof formulierte. 1 Gesellig jedoch nicht (nur) in dem Sinne, dass man sich gerne in gemütlicher Runde versammelte. Vielmehr entstanden in ganz Europa in grosser Zahl "neuartige gesellschaftliche Vereinigungen - eine Art Frühform von Vereinen" (Baumgartner 2018, S. 14). Diese Gesellschaften oder Sozietäten hatten sich bestimmten Zielen verschrieben. Zu diesen gehörte nicht zuletzt die Förderung der Wissenschaften: das Sammeln von Naturalien, die Schaffung von Bibliotheken, die Durchführung von Experimenten und die Organisation von Vorträgen, also das Verbreiten von (naturwissenschaftlichem) Wissen. Die Mitglieder dieser Gesellschaften, die aufgeklärte Elite, waren inspiriert von der Machbarkeit der Welt (Im Hof 1982, S. 106). Man war davon überzeugt, dass durch Beobachtung und Experimente die Natur entschlüsselt werden könnte und die Erkenntnisse zu einer Verbesserung der Zustände führen würden. Das grösstmögliche Glück für die grösstmögliche Zahl, lautete die Formel, die dieses Ziel zusammenfasste. 2

Johannes Gessner (1709-1790) wurde zum ersten Präsidenten der Gesellschaft gewählt. Während die meisten Gesellschafter naturwissenschaftliche Forschung sozusagen als Freizeitbeschäftigung betrieben, hatte sich Gessner diesem Feld vollständig verschrieben. Wir begegnen ihm in einem Porträt, das der Maler Johann Rudolf Dälliker um 1749 geschaffen hat. Es orientiert sich ganz am Stil der Zeit und ist an die Ikonografie des Herrscherporträts angelehnt, freilich mit deutlich anderen Attributen. Die Figur ist zwar eindeutig ein Repräsentant der Zürcher Zunftaristrokatie des Ancien Régimes, gekleidet in einen kragenlosen, goldbetressten Gehrock und in ein Hemd mit Rüschenmanschetten. Das offene, lächelnde Gesicht wird von einer weissen Perücke eingerahmt, wie es der Mode entsprach. Wer oder besser was dieser Mann ebenfalls war, erfährt der Betrachter durch die Gegenstände, die um ihn herum angeordnet sind: So ruht die linke Hand auf einem aufgestellten, etwas aufgeklappten Buch. Man erkennt auf den Seiten die systematische Darstellung von Pflanzen. Auf dem Tisch davor stehen in einem Glas mehrere Stängel einer Blume. Dahinter ein Fernrohr und ein Globus. Von einem Vorhang halb verdeckt, entdeckt man mehrere Bände einer Enzyklopädie.

Für Gessner gehörten forschen und lehren eng zusammen: "Der Wissenschaftler beobachtet, ordnet und klassifiziert die Natur, beobachtet nützliche und schädliche Wirkungen nicht nur für sich, sondern um sie seinen Lesern und Hörern mitzuteilen." (ebd.). Und das in einem Umfang, der das ganze bürgerliche Zürich und später über dieses hinaus erfassen sollte, der aber auch den Widerspruch zwischen aufklärerischen Reformbemühungen und dem Machterhalt der städtisch-bürgerlichen Elite nur zu deutlich zutage förderte.

Die Naturforschende Gesellschaft begann als Gelehrtenzirkel, als wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft mit Aktiv- und Passivmitgliedern. Sie schuf ein Forum zur Diskussion naturkundlicher Themen und stellte die Mittel für die dazu notwendige Infrastruktur zur Verfügung (Baumgartner 2019, S. 16). "Sorgfältige Beobachtungen und Versuche sollen `zu genauer Erkenntniß der Natur` führen; als Hilfsmittel werden Sammlungen von Instrumenten und Naturalien sowie eine Bibliothek aufgebaut." (Boschung 1996, S. 20). Die Bibliothek enthielt dabei auch kostspielige Tafelwerke und Zeitschriftenreihen. Ein besonderes Anliegen Gessners war das Anlegen eines botanischen Gartens, was durch die Mittel der Gesellschaft ebenfalls ermöglicht wurde. Die Zürcher Gesellschaft orientierte sich dabei an grossen Vorbildern, etwa der "Royal Society" in England oder der "Académie des Sciences" in Frankreich. Dabei gab man sich aber bescheiden und betonte, sich mit diesen berühmten Gesellschaften nicht messen zu können.

Einen Beitrag "fürs Vaterland" wollte man dennoch leisten, zunächst durch die Vermittlung der Wissenschaften (Graber 1991, S. 82f). In der Folge der Hungerkrise in den Jahren 1757/1758 beschäftigte sich die Gesellschaft jedoch immer stärker mit praktischen Anliegen, in erster Linie mit der Modernisierung des Landbaus. 1759 wurde die "Ökonomische Kommission" geschaffen, die sich der Sammlung, Erprobung und Verbreitung landwirtschaftlicher Erkenntnisse widmete (Baumgartner 2018, S. 75). Die wissenschaftliche Neuorientierung führt auch zu einer Verschiebung der Vortragsthemen, landwirtschaftliche und volkswirtschaftliche Themen werden wichtiger (Graber 1991, S. 85). Um aber überhaupt etwas verbessern zu können, musste zunächst eine Bestandsaufnahme vorgenommen werden. 1756 führte die Gesellschaft eine erste Volkszählung durch "und erhebt Daten über die landwirtschaftliche Produktion und die sozioökonomischen Verhältnisse auf der Landschaft." (ebd., S. 85).

Im Zuge der landwirtschaftlichen Reformbemühungen der Naturforschenden Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sollten die Landbevölkerung und ihre Tätigkeit jedoch nicht nur zahlenmässig erfasst und beschrieben werden. Es galt auch, die Landwirte für die neuen Erkenntnisse zu gewinnen, von neuen Anbaumethoden zu überzeugen, sie aber auch zum Mitdenken zu animieren und damit die Produktivität zu steigern (ebd., S. 88). Zudem wollte man die Bauern zu moralisch-sittlichen Wesen erziehen. Es ging um Volksaufklärung. Dazu nutzte die Gesellschaft neue Kommunikationsformen wie etwa Preisfragen oder das Bauerngespräch.

Universitäten als neuer Hort der Naturwissenschaften

In seinem 1982 erschienenen Buch "Das gesellige Jahrhundert" gibt Ulrich Im Hof einen Gesamtüberblick über die verschiedenen Sozietäten in Europa und beschreibt ihren Beitrag zur aufklärerischen Reform. Die berühmte Formulierung "the greatest happiness of the greatest number" geht auf den englischen Juristen, Philosophen und Sozialreformer Jeremy Bentham zurück. Ulrich Im Hof weist allerdings darauf hin, dass vor Bentham bereits verschiedene andere Aufklärer Ähnliches formuliert haben. Der Naturforschenden Gesellschaft voraus gingen das "Collegium Insulanum" (1679-1696) und die Gesellschaft der Wohlgesinnten (1693-1709), tatsächlich die ersten derartigen Gesellschaften überhaupt in der Schweiz. Sie wurden von Johannes Gessners Lehrer und Vorbild Johann Jakob Scheuchzer initiiert. Vgl. Finke 2014, S. 25: "Neben der allgemeinen, von Anfang an existierenden Wissbegierde des Menschen gibt es zwei Perioden, in denen die Wissenschaft der Bürger konkrete Wurzeln schlagen konnten: zu Zeiten der Aufklärung im 18. Jahrhundert und heute, im Internetzeitalter." Die Lesegesellschaften von Stäfa und Pfäffikon wurden just deshalb verboten, weil sie die Rechtsungleichheit zwischen Stadt und Land anfochten. Jeremy Benthams Glücksformel "greatest happyness for the greatest number" von 1788. Dies unterstreicht die Gesellschaftsforscherin Boscani Leoni auf Nachfrage des Autors. Webseite der Naturforschenden Gesellschaft Zürich: www.ngzh.ch
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