Seit über 75 Jahren ist Cyril Mintz Fan von Manchester City, sein Freund Martin Allweis seit über 60 Jahren. Ein Gespräch über Freud und Leid, Bert Trautmann und David Silva.
Das ist mal wieder typisch City. Seit 44 Jahren sehnt sich dieser Klub nach der Meisterschaft, am 13. Mai 2012 sollte das Warten ein Ende haben. Der Mannschaft reicht gegen die um den Klassenerhalt kämpfenden Queens Park Rangers daheim ein Sieg, um die Premier League zu gewinnen. Doch an diesem Tag gelingt nichts - wie immer, wenn es drauf ankommt. Nach neunzig Minuten ist United Meister, der große Stadtrivale, der auf einem Transparent in Old Trafford die Jahre von City ohne Meisterschaft auflistet. Der Klub, dessen Fans zu singen pflegen: "This is how it feels to be City, this is how it feels to be small. This is how it feels when your team wins nothing at all." So fühlt es sich an, City zu sein, wenn du klein bist und dein Team absolut nichts gewinnt. Typical City, das ist das geflügelte Wort für einen Verein, der es in den sechziger Jahren fertigbrachte, als Meister abzusteigen und auch danach im Stile von Laurel und Hardy durch die Ligen zu torkeln.
City hat im Spiel gegen QPR nach einem Platzverweis einen Mann mehr auf dem Feld, sie rennen blindwütig an. Es ist, als würde Vitali Klitschko gegen Herbert Feuerstein boxen und sekündlich ins Leere schlagen. Die Zeit verrinnt, die reguläre Spielzeit ist abgelaufen, City braucht noch zwei Tore. Auf den Tribünen wanken die Zuschauer zwischen Agonie und Wut. Ein Fan drischt auf einen Sitz ein, ein anderer schickt ein Stoßgebet gen Himmel. Im "Collin Bell Stand" hockt Martin Allweis, seit 60 Jahren Fan von Manchester City, und vergräbt sein Gesicht in den Händen. "Sie versauen es, sie versauen es tatsächlich wieder", murmelt er. Einige Meter weiter sitzt Cyril Mintz, ein Mann von 85 Jahren mit einem rundlichen Gesicht. Er ist der Ruhepol in dieser sich windenden Masse. Während dem Fan vor ihm Tränen die Wangen herunterlaufen, seine Sitznachbarn Flüche und Schreie von sich geben, blickt er ruhig und konzentriert auf den Rasen.
Seit einem Dreivierteljahrhundert geht Cyril Mintz zu Manchester City, oft sagte er im Scherz, dass er nicht wisse, ob er eine Meisterschaft noch einmal erleben werde. Als sein Arzt ihm mitteilte, dass er einen Herzschrittmacher tragen müsse, antwortete er: "Das ist keine gute Idee, ich bin City-Fan." Ein Leben mit einem Verein wie den Blues trainiert den Galgenhumor ungemein. Doch die Frage im Bob-Dylan-Stil blieb: Wie viele Wege muss ein Mann zum Stadion gehen, bevor er den größten Moment erlebt?
Cyril Mintz, wann waren Sie das erste Mal im Stadion?
Das war am Ostermontag 1937, ich war zehn Jahre alt. Wir fuhren mit der Straßenbahn hin, mein Vater setzte mich auf einen Wellenbrecher. Manchester City schlug Liverpool mit 5:1, im gleichen Jahr haben sie die Meisterschaft gewonnen. Und so wie City nun mal ist, stiegen sie in der folgenden Saison ab.
Wie sahen die Stadionbesucher damals aus?
Es waren meist gewöhnliche Arbeiter. Überall sah man nur dieses Meer von Filzhüten, zu besonderen Spielen wie dem Pokalfinale trug man eine Rosette in den Vereinsfarben. Einige Zuschauer hatten eine Rassel in der Hand, später kamen Tröten hinzu. Ich selbst habe mich nie in den Vereinsfarben gekleidet, wahrscheinlich weil ich schon immer etwas schüchtern war. Doch gerade in den Jahren nach dem Krieg musste man sowieso aufpassen, seine Habseligkeiten heil aus dem Stadion zu bekommen.
Weil der Andrang so groß war?
Andrang ist noch harmlos umschrieben. Im Krieg wurde das Stadion von Manchester United, das Old Trafford, nahezu komplett von den Bomben zerstört. Das hieß, dass United die Spiele auch in Maine Road, dem Stadion von City, ausgetragen hat. Damals existierte noch nicht so eine Feindschaft wie heute, man schaute die Spiele zusammen. Nach dem Krieg wollten alle zum Fußball, da waren 80 000 Zuschauer in einem Stadion mit einer Kapazität von 60 000. Bei einem Spiel gegen Stoke City stand ich als kleiner Junge oben in der Menge, ich sah absolut nichts. Doch durch das Gedränge dieser tosenden Masse rutschte ich immer weiter runter. Plötzlich stand ich unten vor der Barriere und wurde auch darüber geschubst. Ich saß also auf dem Rasen an der Linie. Von dort aus hatte ich dann eine wunderbare Sicht.
Woran erinnern Sie sich als Erstes, wenn Sie an die Fankurve von damals denken?
An "Onkel Joes Pfefferminzkugeln". Vor den Stehrängen lief jemand hin und her, der Süßigkeiten verkaufte. Doch da man nicht so schnell nach unten durchkam, gab man einfach seine Bestellung und sein Geld durch. Die Münzen wanderten nach unten, von einem zum anderen, teilweise über 30 Reihen. Danach wurden die Süßigkeiten und das Wechselgeld nach oben durchgereicht. Aber wahrscheinlich nur die Hälfte des Geldes, oder? Nein, das gesamte Rückgeld kam oben an. Ich habe in all den Jahren nie gehört, dass etwas gefehlt hätte. Niemand hätte im Traum daran gedacht, Geld zu nehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas heute noch möglich wäre, aber bis Mitte der sechziger Jahre funktionierte es. Es herrschte schlicht eine unglaubliche Gemeinschaft derer, die zusammen im Fanblock standen.