Pablo Escobar war der König des Kokains in Kolumbien und auf der Welt. Sein Sohn sagt: Weil Deutschland sich den USA beugte, tötete sein Vater sich selbst. Seiner Familie schenkte er das Leben. Eine beispiellose Jagd war zu Ende.
Von Roland Peters, Buenos Aires
Schützenpanzer stehen vor der deutschen Botschaft in Bogotá. Jetzt, da die Jagd vorbei ist, rechnet man in Bonn mit dem Schlimmsten. Seit zwei Tagen ist Pablo Escobar tot. Kurz zuvor, als er den kolumbianischen Präsidenten César Gaviria Trujillo aus seinem Versteck anruft, droht der berüchtigte Drogenboss noch durch den Hörer: "Dafür werden die Deutschen bezahlen!" So berichtet es der Korrespondent der "Zeit" Ende des Jahres 1993 aus dem südamerikanischen Land. Den Kopf des Medellín-Kartells zur Strecke zu bringen, war schon längst nicht mehr nur im nationalen Interesse. Er versorgt die internationalen Drogenmärkte, bekämpft durch die Industrienationen. Die USA unterstützen die kolumbianischen Behörden mit Ausbildung, Ausrüstung und Personal.
Etwa ein Jahrzehnt zuvor ist Pablo Escobar der einflussreichste Mann Kolumbiens. Im Jahr 1982 wird er zum Abgeordneten gewählt. Er ist so populär, dass niemand daran zweifelt, dass das Volk ihn auch zum Präsidenten wählen würde. Dass der Milliardär auf dem Terrain der korrupten Politiker wildert, macht ihn zum Ziel. Es tauchen Beweise für seine Aktivität als Drogenschmuggler auf. Als er 1984 Justizminister Rodrigo Lara Bonilla ermorden lässt, ist er zu weit gegangen. Die offene Konfrontation mit Polizei und Streitkräften beginnt.
Pablo flieht aus seiner luxuriösen Hacienda Nápoles. Im Jahr 1989 lässt er den Präsidentschaftskandidaten Luis Carlos Galán ermorden. Die Regierung reagiert unter anderem mit der Gründung der militärischen Spezialeinheit "Bloque de Busqueda", um Pablo zu finden. Einer Razzia im November entkommt er nur knapp. Wenige Tage später explodiert eine Bombe an Bord des Linienflugs Avianca 203. Alle 107 Insassen sterben, hinzu drei weitere Menschen durch herabstürzende Trümmerteile.
Im Jahr 1991 lässt er sich schließlich auf einen Waffenstillstand mit Gavirias Regierung ein. Er baut sich sein eigenes Luxusgefängnis bei Medellín und führt von dort seine Geschäfte weiter. Als ihn das Justizministerium im Jahr 1992 aus "La Catedral" in ein Sicherheitsgefängnis verlegen will, entkommt er. Seine finale Flucht beginnt. Fast eineinhalb Jahre wird sie dauern. Warum aber drohte er kurz vor seinem Ende den Deutschen? Und was hatten sie mit seinem Tod zu tun? Sein Sohn sagt nun im Gespräch mit n-tv.de in Buenos Aires mehr als zwei Jahrzehnte später: "Mein Vater beendete sein Leben, damit wir frei sein konnten."
Abseits des GesetzesDeutschland ist im November 1993 vielleicht der einzige Ausweg aus dem Dilemma von Pablo Escobar, und er weiß es. Böte die Bundesrepublik seiner Frau Maria, Tochter Manuela und seinem Sohn Juan Zuflucht, hätte er wieder freie Hand. Er könnte Kolumbien erneut gnadenlos mit Terror überziehen, ohne Furcht vor Konsequenzen für seine Liebsten. Seit fast eineinhalb Jahren hält er sich ohne sie versteckt vor den kolumbianischen Kräften und der US-Antidrogenbehörde DEA. Dass er in Kolumbien die Fäden aus der Hand verloren hat, ist nicht die Folge der offiziellen Aktivitäten der Behörden und der Hilfe der USA; sondern die Folge einer verbotenen Allianz: "Los Pepes".
Die Paramilitärs behaupten, Interessen der Opfer des Drogenbosses zu vertreten ("Perseguidos por Pablo Escobar"), agieren abseits des Gesetzes, wo sie ihn mit seinen eigenen Waffen bekämpfen: Bestechungen, Entführungen, Bombenattentate. Die kolumbianische Polizei arbeitet mit ihnen zusammen, das mit Escobar verfeindete Cali-Kartell finanziert sie mit. Und die DEA, die ebenfalls in Kolumbien agiert, schaut bestenfalls weg. Rund um den Drogenbaron sterben Anwälte, Verbündete und Verwandte in den 1990er-Jahren wie die Fliegen. Das Kalkül: Ist Pablo Escobar selbst nicht zu fassen, müssen die Personen, die ihn unterstützen und ihm helfen, sterben, um ihn hervorzulocken. Dass seine Familie ständig um ihr Leben bangt, soll ihn emotional zermürben.
Das Cali-Kartell will Escobar zu Fall bringen, weil er ein Konkurrent im Drogengeschäft ist. Für die USA ist er nicht nur ein Kollaborateur mit linksregierten Staaten in Mittelamerika, die auf seinen Schmuggelrouten liegen, sondern auch verantwortlich für das Kokain-Problem im eigenen Land. Und dem kolumbianischen Präsidenten Gaviria geht es neben den politischen Zielen schlicht ums nackte Überleben. Bereits vor seinem Einzug in den Präsidentenpalast von Bogotá war er haarscharf einem Attentat entgangen, das Escobar befohlen hatte. Gaviria starb nur nicht an Bord von Flug Avianca 203, weil er die Maschine nicht wie geplant bestiegen hatte.
Flug nach FrankfurtHinter dem Rücken des kolumbianischen Präsidenten verhandelt Kolumbiens Generalstaatsanwalt Gustavo de Greiff im Jahr 1993 mit dem Drogenboss. Um den Druck zu erhöhen und Pablo zur Aufgabe zu zwingen, zieht de Greiff die 50 Personenschützer zurück, die sich seit drei Monaten um Escobars Frau und Kinder kümmern. Mehr als je zuvor können sie nun jeden Moment ihr Leben verlieren. Kurz darauf, am 26. November, erfahren die kolumbianischen Behörden, dass die Familie Flüge nach London und Frankfurt gebucht hat. Pablo bietet an: Sind meine Angehörigen im Ausland, sicher vor "Los Pepes", ergebe ich mich. Weder Gaviria, noch die US-amerikanische Botschaft glauben ihm. Sie setzen alle diplomatischen Hebel in Bewegung, dass seine Familie nirgendwo auf der Welt unterkommt.
Bereits eine Stunde, nachdem die Escobars in Richtung Frankfurt in der Luft sind, lässt das deutsche Innenministerium ankündigen: Die Einreise werde verweigert. Das ist der Moment, in dem Pablo Escobar das erste Mal seine Vorsicht verliert und den Präsidenten, die deutsche Botschaft und die Lufthansa mit Drohanrufen überzieht. Einen Bus voller Dynamit werde er vor dem Präsidentenpalast in Bogotá und Bomben vor der Bonner Vertretung hochgehen lassen. Und er werde anfangen, gezielt Deutsche töten zu lassen, wenn seiner Familie nicht Unterschlupf gewährt werde. Das deutsche Außenministerium nimmt die Ankündigungen ernst und warnt, deutsche Staatsangehörige mit Ziel Kolumbien könnten Opfer von Vergeltungsmaßnahmen werden.
Escobars Frau und seine Kinder sind nun in Frankfurt. Sie werden getrennt von den anderen Passagieren in den Transitbereich des Flughafens eskortiert. Sicherheitskräfte sind vor Ort und auch Mitarbeiter des Innenministeriums. Die Familie beantragt Asyl wegen politischer Verfolgung in Kolumbien. Trotz der vorherigen Drohungen verweigert ihr der Bundesgrenzschutz am 28. November die Einreise. Ihre Lebensgefahr sei Folge von Pablos kriminellen Aktivitäten, sagen ihnen die deutschen Beamten.
"Wir wurden auf Druck der kolumbianischen und der US-Regierung abgewiesen", erinnert sich Sohn Juan. "Wir sagten den deutschen Behörden, dass uns die kolumbianische Polizei töten wolle und wir unsere Rückkehr garantiert mit unserem Leben bezahlen würden." Doch die Deutschen bleiben hart. Der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther sagt danach: "Verwandte von Drogenbossen sind in Deutschland nicht willkommen."
Da die Familienmitglieder selbst offiziell nicht gesucht wurden, hätten sie nicht als Touristen einreisen können? Wurde die Entscheidung souverän in Deutschland oder wegen des Drucks der USA und Kolumbiens getroffen, wie Escobars Sohn sagt? Eine Anfrage von n-tv.de beantwortet Kanther mehr als 20 Jahre später mit dem Hinweis, er erinnere sich nicht an den Vorfall. Der damalige Außenminister Klaus Kinkel will sich zu dem Thema nicht äußern.
Entscheidung für den TodSo wie heute weiß auch damals jeder, wer sie sind: die Escobars, die Angehörigen des meistgesuchten Kriminellen der Welt. Auf seinen Kopf sind über fünf Millionen US-Dollar ausgesetzt. "Wir wurden mit Gewalt auf die Heimreise geschickt", erinnert sich Juan. Nach fast 24 Stunden in Frankfurt muss er mit seiner Schwester und seiner Mutter an Bord einer Lufthansa-Maschine wieder nach Hause fliegen. Im Zentrum Bogotás kommen sie ab 30. November in einem Fünf-Sterne Hotel unter. Diesmal lässt Pablo all seine Vorsicht fahren. Drei Tage lang ruft er immer wieder seine Frau und Kinder an.
"Viel Glück", das ist am 2. Dezember das Letzte, was Juan zu seinem Vater am Telefon sagt, und was er auch von ihm hört. Kurze Zeit später ist Pablo tot. Die kolumbianische Polizei findet ihn in einem unscheinbaren zweistöckigen Wohnhaus in Medellín, im Stadtteil Los Olivos. Sie hatte seine Anrufe zurückverfolgt. "Zehn Jahre lang war er der meistgesuchte Mann der Welt und zehn Jahre lang benutzte er das Telefon nicht", sagt sein Sohn heute.
Natürlich wusste Pablo Escobar, dass er abgehört wurde. Trotzdem wählte er in diesen Tagen immer wieder die Nummer des Hotels, identifizierte sich sogar mit Namen, wenn er mit der Vermittlung sprach. Sein Sohn zieht aus dem plötzlichen Verhaltenswechsel einen eindeutigen Schluss. Er sei überzeugt, dass sein Vater eine bewusste Entscheidung getroffen hatte, sagt er n-tv.de. Pablo habe sterben wollen.
Nach der Abweisung der Familie aus Deutschland gab es nur zwei Auswege, auch für den ehemals mächtigsten Drogenboss der Welt: Entweder er selbst würde sterben müssen - oder Mitglieder seiner Familie durch die Paramilitärs "Los Pepes". Die Ärzte, die die Obduktion an Pablo durchführten, hätten ihm bestätigt, dass sein Vater Selbstmord begangen habe, sagte Juan der "FAZ".
Fast ein Jahrzehnt lang hatte Pablo Escobar die Welt an der Nase herumgeführt, seit er 1984 seinen luxuriösen Landsitz, die Hacienda Nápoles, mitsamt seiner Familie verlassen hatte. Nun rasieren die Jäger dem verformten und blutverschmierten Gesicht des Toten einen Hitlerbart. Polizisten posieren für Fotos mit seiner Leiche. Viele wollen in diesem Moment in Medellín etwas vom Ruhm abhaben: die kolumbianische Polizei, die Spezialeinheit "Bloque de Busqueda" und die USA.
Offiziell wurde der meistgesuchte Mann der Welt erschossen, als er versuchte, über das Dach des Wohnhauses zu fliehen. Drei Kugeln trafen ihn laut Autopsiebericht: eine unterhalb des Knies. Eine weitere unterhalb des rechten Schulterblattes. Aber nur eine war sicher tödlich: Sie durchschlug den Kopf, eingetreten direkt ins rechte Ohr, ausgetreten kurz vor dem linken. In welcher Reihenfolge ihn die Schüsse trafen, ist unklar.
Quelle: n-tv.de
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