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Die Pandemie als Katalysator für Veränderungen

Unternehmen entwickeln viele Ideen gegen die Pandemie. Der Sprecher von Heraeus erklärt, wie Luftfilter helfen und warum manche Technologie ungenutzt bleibt.

Der Kommunikationsleiter von Heraeus über Technologien zur Corona-Bekämpfung

Die Unternehmen der M+E-Industrie können einen großen Beitrag leisten, um aus der Pandemie herauszukommen. Das zeigt eindrucksvoll der Technologiekonzern Heraeus aus Hanau, der gleich mehrere Produkte zur Bekämpfung des Coronavirus und seiner Folgen liefert. Im Interview erklärt Kommunikationsleiter Tore Prang, welche das sind - und wie die Politik bessere Rahmenbedingungen für ihren Einsatz schaffen kann.

In welchen Bereichen ist Heraeus mit seinen Produkten bei der Corona-Bekämpfung aktiv?

Prang: Wir sind Zulieferer für medizinische Geräte, beispielsweise Beatmungsgeräte. Wir entwickeln hygienische Oberflächenbeschichtungen, auf denen sich keine Bakterien festsetzen können. Und wir haben einen Geschäftsbereich, der sich ausschließlich mit Temperatursensoren beschäftigt. Diese können Temperaturen in extremer Kälte und Hitze messen. Sie spielen also auch bei der kryogenen Lagerung und Logistik, etwa von Corona-Impfstoffen, eine wichtige Rolle. Das wichtigste Feld im Coronabereich sind aktuell aber UV-C Luftreiniger.

Wie funktionieren diese?

Prang: UV-C-Technik ist eine alte Technologie zur Bekämpfung von Krankheitserregern. Wir haben vor über 120 Jahren die künstliche UV-Lampe erfunden und nutzen sie seitdem in verschiedensten Industrieanwendungen, etwa zur Luftreinigung in Klimaanlagen, zur Wasserentkeimung, zur Reinigung von Nahrungsmittelverpackung und Oberflächen. Für uns war klar, dass auch das Coronavirus mit ihr abgetötet werden kann. Das UV-C-Licht verändert die RNA und DNA in den Viruszellen, sodass sie sofort absterben.

Wie wirksam ist die Technologie in der Virusbekämpfung?

Prang: Das haben wir vor kurzem unter Realraum-Bedingungen getestet: Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik haben wir ein Klassenzimmer nachgebaut. Darin saßen beheizte Puppen, die die Schüler und einen Lehrer simuliert haben. Eine der Puppen hat eine Stunde lang Ersatzviren mit einer Art Vernebeler ausgestoßen. Anschließend liefen unsere Luftreiniger eine halbe Stunde. Die Virenanzahl hat sich in dieser Zeit um 99,31 Prozent reduziert. Das war ein riesiger Erfolg. Mit einem Korrekturfaktor, den das Institut dann noch mit eingerechnet hat, kam am Ende eine Virenreduktion von 95 Prozent durch unsere Geräte heraus.

Wo ist die Technik bereits im Einsatz?

Prang: Wir haben bisher über 1000 Systeme ausgeliefert, beispielsweise an Schulen, Kitas, in Arztpraxen, Flughäfen, die Feuerwehr und ein Impfzentrum. Wir haben Lieferungen an Kontrollzentren für Kraftwerke oder Produktionszentren für Satellitentechnik, wo alle Mitarbeiter weiterarbeiten mussten. Die Stadt Hanau hat die Luftreiniger außerdem in den Fahrzeugen ihrer öffentlichen Busflotte installiert.

Wenn die Technologie schon lange bekannt und ihre Wirksamkeit belegt ist: Warum ist sie nicht noch viel häufiger im Einsatz?

Prang: Wir haben das Glück, dass es in Hessen eine technologieoffene Förderung für Luftreinigungsgeräte gibt. Im Bund und in anderen Bundesländern gibt es diese aber nicht. Bayern beispielsweise fördert für Schulen nur Filtergeräte, nicht UV-C-Reiniger, um Viren aus der Luft zu entfernen. Wegen der Förderung kaufen die Kreise und Kommunen für ihre Schulen dann natürlich auch nur Filtergeräte. Dabei ist ihnen aber häufig gar nicht bewusst, dass diese sehr hohe Folgekosten und Wartungsaufwand nach sich ziehen. Auf 10 Jahre gerechnet sind sie etwa fünf- bis sechsmal so teuer wie UV-C-Luftreiniger. Ich plädiere also für eine technologieoffene Förderung in ganz Deutschland.

Warum hakt es Ihrer Meinung nach bei der Zusammenarbeit mit der Politik noch?

Prang: In Deutschland sind wir darauf bedacht, Politik und Industrie strikt zu trennen. Das kann in normalen Zeiten sinnvoll sein. In Krisensituationen kann es besser sein, enger zusammenzuarbeiten. Das passiert punktuell und ist dann auch erfolgreich.Aber das Zusammenspiel könnte noch wesentlich besser funktionieren.

Inwiefern?

Prang: Die Pandemie ist ein Katalysator für Veränderungen. Das sehen wir ganz stark in den Unternehmen. Viele unserer öffentlichen Strukturen können da aber nicht mithalten. Es wird viel verwaltet, aber wenig entschieden. Das ist etwas, das wir ändern müssen. Ich kann nur alle Politiker und Behörden auffordern, sich mit den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Technologien zu befassen. Als Bürgervertreter einer der erfolgreichsten Industrienationen der Welt müssen sie Augen und Ohren aufmachen, um zu erkennen, was es noch für weitere Technologien für den Kampf gegen die Pandemie gibt. Meine Erfahrung aus vielen Gesprächen mit Behörden ist, dass wir in der Industrie wesentlich besser Bescheid wissen. Das darf eigentlich nicht sein, weil wir uns dann nicht auf Augenhöhe begegnen können.

Ist es dann nicht auch Ihre Aufgabe als Unternehmen, die Politik auf diese Themen hinzuweisen?

Prang: Das haben wir. Wir haben mit dem Bundesumweltamt und dem Bundesamt für Strahlenschutz gesprochen, mit dem Bundeswirtschaftsministerium, allen Länderchefs und Ministerien. Wir haben alle Landräte in Deutschland angeschrieben, um auf die Technologie aufmerksam zu machen. Das Feedback war gering. Ähnlich war das übrigens, als wir zu Beginn der Pandemie mit einer speziellen App auf die Gesundheitsämter zugingen. Die hatten wir eigentlich für Orthopädie-Patienten entwickelt. Zu Beginn der Pandemie, als die Gesundheitsämter mit der hohen Zahl der Neuinfektionsmeldungen überfordert waren, haben wir ihnen vorgeschlagen, diese App auch für Corona zu nutzen. So hätten sie Daten über die Symptome der Bevölkerung bekommen, gesehen wer getestet werden muss, und Rückmeldung zu Testergebnissen und Anweisungen bezüglich einer möglichen Quarantäne geben können. Es hatte aber kaum jemand Interesse.

Gibt es auch Positivbeispiele, wo die Zusammenarbeit mit Politik und Behörden gut funktioniert?

Prang: Hier in Hanau haben wir mit der Stadt einen tollen Partner gefunden, mit dem wir sehr gut zusammenarbeiten. Sie stellt Kontakt zu den Verkehrsbetrieben der Stadt her, die dann unsere Technologien nutzen. Sie hat Schulen für die Installation unserer Geräte ausgesucht. Und jeder Einzelhändler in Hanau, der ein Gerät kauft, erhält eine Förderung von der Stadt. Das wird sehr gut angenommen.



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