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Nur die Gewinne zählen | enorm Magazin

Fairness und Umweltverträglichkeit kommen bei der Herstellung elektronischer Geräte immer noch zu kurz – auch, weil die Verbraucher sich kaum dafür interessieren. Ein neues Gesetz soll jetzt immerhin die Produzenten in die Pflicht nehmen

Tim Cook ist begeistert von seinem neuen Produkt. Der Apple-Chef schreitet, mit den Armen wild gestikulierend, auf der Bühne hin und her. „Das iPhone 7 ist das beste iPhone, das wir jemals erschaffen haben", ruft er. Dann kommt sein Marketing-Vize Phil Schiller dazu und erklärt, warum das neue viel besser ist als das Vorgängermodell 6s. Das gerade mal ein Jahr jung ist. Die Zuschauer auf den Rängen jubeln frenetisch.

Es ist der 7. September 2016 und Apple stellt im kalifornischen Cupertino mit dem üblichen Getöse das neueste Modell seines Bestsellers vor. Das Siebener ist die elfte Version in nur neun Jahren. Dass einer der Apple-Jünger in Cupertino darauf verzichtet - undenkbar. Auch hierzulande gab es wieder lange Schlangen vor den Apple-Stores. Und die alten Modelle? Werden weiterverkauft oder weggeworfen. Viele landen auch voll funktionstauglich in irgendeiner Schublade. Allein in Deutschland sind das: über 100 Millionen Handys.

Jedes elektronische Gerät hat auch soziale und ökologische Kosten

Das Problem: Jedes neugekaufte Gerät, sei es Smartphone, Laptop oder Fernseher, ist nicht nur für den Kunden teuer, es hat auch soziale und ökologische Kosten zur Folge. Eine neue Erkenntnis ist das nicht. „Nachhaltigkeit ist seit den 90er-Jahren ein Thema in der Elektronikbranche", sagt Roland Strehle, Sprecher der Gesellschaft für Unterhaltungselektronik. Die technische Entwicklung habe für Fortschritte gesorgt. „Die Geräte haben sich verbessert, sie sind beim Energieverbrauch sparsamer geworden." Außerdem würden die großen Unternehmen wie Apple, Samsung, Philips und Sony zunehmend auf Recycling achten und erneuerbare Energien in der Produktion einsetzen.

Auf die Reparierbarkeit achten sie nicht. Frühe Handy-Nutzer werden sich erinnern: Machte etwa der Akku schlapp, setzte man selbst einen neuen ein. Heute hilft da oft nur eine teure Reparatur, viele kaufen auch deshalb gleich ein neues Gerät.

Das viel größere Problem der Unterhaltungselektronik liegt allerdings am Anfang der Produktionskette, dort gibt es seit Jahren keinen wirklichen Fortschritt: weder bei den Bauteilen, für die man die Seltenen Erden benötigt, noch bei der Herstellung in Billiglohnländern.

Die Metalle kommen oft aus Konfliktminen

Zinn, Wolfram, Tantal und auch Gold sind essentielle Bestandteile von Produkten wie Smartphones, Laptops und Flachbildschirmen. Diese Rohstoffe kommen aber häufig aus sogenannten Konfliktminen, zum Beispiel im Kongo. Dort richtet der exzessive Bergbau nicht nur großen Schaden in der Umwelt an, er finanziert auch gewalttätige Milizen, die den Abbau und Verkauf der Metalle kontrollieren. Zwar sind fast alle großen Elektronikunternehmen Teil der Electronic Industry Citizens Coalition (EICC), die sich der Nutzung ausschließlich konfliktfreier Mineralien verschreibt. Doch eine Garantie ist das nicht: Wo die einzelnen Ressourcen genau herkommen, lässt sich nur schwer überprüfen. Oft sind zwischen dem Elektronik- Hersteller und den Minen bis zu sieben weitere Unternehmen geschaltet.

„Faire Rohstoffe und Minen in sicheren Ländern gibt es eigentlich genug", sagt Susanne Jordan. Die Gründerin des kleinen Unternehmens Nager IT produziert nachhaltige Computermäuse und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Rohstoffe und deren Herkunft. „Das Problem ist nur: Wie bekommen wir die Lieferanten unserer Vorprodukte dazu, etwa konfliktfreie Ressourcen auch zu verwenden?"

Arbeitbedingungen haben sich nicht gebessert

Dazu kommen noch: schlechte Arbeitsbedingungen, lausige Bezahlung und teils sogar Kinderarbeit in Billiglohnländern, in denen Apple, Samsung und Co. produzieren lassen. Oft im Fokus: China. Foxconn zählt zu den bekanntesten Fällen. Das multinationale Unternehmen steht seit 2006 wegen seiner unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der Kritik. 2010 sorgte eine Reihe von Suiziden von Mitarbeitern für Aufsehen.

Wie im September dieses Jahres Recherchen der NGO Good Electronics gezeigt haben, hat sich in China nicht viel geändert. Wegen fehlender Sicherheitsvorkehrungen im Umgang mit Chemikalien erkrankten Arbeiter in einigen Fabriken und starben in Extremfällen sogar - es sind Betriebe, die unter anderem auch die Riesen der Elektronikbranche beliefern.

Gewerkschaften haben in China wenig zu sagen, die Beschäftigten allein können sich nicht wehren. „Die chinesische Politik macht uns die Arbeit nicht gerade leicht", sagt Susanne Jordan von Nager IT.

Das musste auch das Unternehmen Fairphone feststellen, das sich gute Bezahlung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für die Fabrikarbeiter auf die Fahnen geschrieben hat. Bei der Überprüfung eines Betriebes in China stellte man fest, dass die Angestellten dort teilweise deutlich mehr als die erlaubten 60 Wochenstunden arbeiteten. Fairphone intervenierte, erst daraufhin wurden die Arbeitszeiten reduziert.

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„Händler wollen oft keine Abstriche bei ihrer Gewinnmarge machen, fair hin oder her."

Ein Weg auch für die großen der Branche? Die verweisen auf Vorschriften für ihre Zulieferer, die solche Fälle verhindern sollen. „Der Fortschritt ist nicht so schnell, wie wir uns das erhoffen, aber wir glauben, dass ein gemeinschaftlicher Ansatz, der zusammen Druck aufbaut, effektiver ist als individuelle Handlungen", heißt es zum Beispiel bei Philips. Deshalb hätten Mitglieder der Industrie-Koalition EICC gemeinsam Programme initiiert, die für bessere Arbeitsbedingungen sorgen sollen.

Susanne Jordan ist vom guten Willen der Unternehmen nicht überzeugt, denn bessere Bedingungen seien auch mit höheren Produktionskosten verbunden. Sie sagt: „Händler wollen oft keine Abstriche bei ihrer Gewinnmarge machen, fair hin oder her."

Eine umfassende Untersuchung der Lieferkette nehme kaum ein Unternehmen vor, ergänzt Johanna Sydow, die sich bei der Umweltorganisation Germanwatch mit Ressourcenpolitik und der IT-Branche beschäftigt. Audits etwa würden meistens vorher angekündigt und nicht von unabhängigen Organisationen durchgeführt.

Einen Eigenantrieb der Unternehmen, etwas zu ändern, sieht Sydow nicht. „Die machen nur etwas, wenn sie müssen", sagt sie. Zum Beispiel dann, wenn der Gesetzgeber einschreitet, wie 2010 in den USA, als der Dodd-Frank-Act verabschiedet wurde. Dieser verpflichtet alle börsennotierten Unternehmen unter anderem dazu, offen zu legen, ob sie Konfliktmineralien bei ihrer Produktion nutzen.

Von der Ideen verbindlicher Regeln ist in Deutschland nur eine Reihe von Empfehlungen geblieben

Die Europäische Union hat im Juni dieses Jahres ähnliche Rahmenbedingungen festgelegt, die bis Ende 2016 bindend werden sollen. Unternehmen, die Zinn, Wolfram, Tantal und Gold importieren, sind dann auch in Europa verpflichtet, ihre Lieferketten zu überprüfen und Pläne vorzulegen, wie sie eine konfliktfreie Herkunft der Mineralien sicherstellen wollen.

Allerdings verdeutlicht die aktuelle Diskussion in Deutschland über den „Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte", dass auch Gesetzgeber nicht die perfekte Lösung liefern wollen oder können: Ursprünglich wollte die große Koalition mit dem Aktionsplan deutsche Unternehmen verpflichten, die Wahrung der Menschenrechte entlang der Lieferketten sicherzustellen. Doch mittlerweile ist in den Verhandlungen von verbindlichen Regeln für die Wirtschaft keine Rede mehr, sondern lediglich von Empfehlungen. Die Grünen und einige NGOs werfen nun dem beteiligten Finanzministerium vor, es erliege dem Druck der Konzerne. Der neue Entwurf beinhalte nicht mehr als schöne Worte.

Letztendlich müssen auch die Verbraucher Verantwortung für die sozialen und ökologischen Kosten ihres Konsums übernehmen. Das heißt zum Beispiel, ein Gerät solange zu benutzen, wie es funktioniert. Das heißt, beim Kauf auf Energieverbrauch und Reparierbarkeit zu achten. Und das heißt auch, mal eine Version des iPhones auszulassen.

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