Adel Tawil im FOCUS-Online-Interview : "Zeichen für Europa": Sänger über Umgang mit Sprache, Social Media und Vatersein
Nachdem Adel Tawil in den vergangenen Jahren mit einem Genickbruch und dem Ende einer langjährigen Beziehung zu kämpfen hatte, steht er mit seinem neuen Album "Alles lebt" wieder voll im Leben. Dafür mitverantwortlich ist auch ein positives Ereignis: Der Sänger ist Vater geworden. Mit FOCUS Online sprach er über seine neue Rolle als Vater, seine Leidenschaft für Sneakers und verrät, was Europa musikalisch vereint.
FOCUS Online: Dein letztes Album „So schön anders" ist 2017 erschienen. Was ist denn bei deiner neuen Platte „Alles lebt" (Anzeige) so schön anders?
Adel Tawil: „So schön anders" ist ein Motto, das ich mir zur Aufgabe gemacht habe, immer weiterzuführen. Das heißt, dass ich einfach immer versuchen möchte, ein bisschen anders zu sein - und das in einer guten Art und Weise. Das habe ich jetzt bei „Alles lebt" so ein bisschen radikaler probiert. Einerseits steht für mich eine gewisse Weiterentwicklung im Vordergrund, die für mich klar war, weil ich immer wieder neue musikalische Herausforderungen suche. Andererseits bin ich mit dem Album auch ein Stück weit zu meinen Wurzeln zurückgekehrt. Ich bin mit Hip Hop, R'n'B und Soul-Musik großgeworden und das waren auch die ersten Sachen, die ich gemacht habe. Ich wollte diesmal einfach, möglichst urbane und moderne Beats haben und trotzdem große Pop-Melodien mit emotionalen Texten versehen.
"Was ich an Rappern bewundere, ist der Umgang mit Sprache"FOCUS Online: Du hast in der Vergangenheit ja auch immer wieder mit Rappern zusammengearbeitet. Was kann man sich von ihnen am besten abschauen?
Tawil: Was ich an Rappern wirklich sehr bewundere, ist der Umgang mit der Sprache. Wenn man zum Beispiel Sido sieht, in welchen Kategorien er denkt, wie er Reime miteinander kombiniert und auf was für Ideen er kommt - der sitzt ja vor dir und hat innerhalb von zehn bis 15 Minuten seinen Part fertig. Und das auch noch richtig gut. Das nötigt mir schon sehr großen Respekt ab. Das ist für mich schon wesentlich schwieriger. Ich sitze ewig an Texten - auch oft mit Leuten zusammen und habe irgendwie immer irgendetwas auszusetzen. Was mir auch gefällt ist die entspannte Herangehensweise. Das habe ich jetzt auch ein bisschen mehr für mich übernommen. Nicht jedes Album entscheidet über Leben und Tod eines Künstlers. Ich habe mich bei den letzten beiden Alben schon sehr, sehr fertig gemacht und bin durch mehrere Gefühlswelten gegangen.
FOCUS Online: „Alles lebt" ist als sehr positiver Albumtitel zu verstehen. Woraus ziehst du aktuell deine ganze Lebendigkeit?
Tawil: Einfach aus dem Leben. Ich bin Vater geworden. Und ich bin aus einem tiefen Loch wieder herausgekommen. Das ist sowas, wo ich unendlich dankbar für bin. Ich hatte einen Unfall, bei dem ich einen Genickbruch erlitten habe und auch privat hatte ich turbulente Zeiten. Irgendwie hat man das Gefühl alles geht schief und man kommt nicht mehr raus, sondern sitzt in einem tiefen Loch. Und dann hatte ich bei dem letzten Album den Song „Ist da jemand". Es war wirklich in einer nicht ganz einfachen Zeit jemand für mich da und ich hatte diesen Lichtblick. Dann ging es Schritt für Schritt wieder in die richtige Richtung und wurde besser. Das alles zusammen hat mir einen ganz neuen Blick aufs Leben und auf die Welt gegeben.
"Wir steuern auf eine wirkliche Krise zu"FOCUS Online: Im Song „Liebe to go" kritisierst du die schnelllebige Gesellschaft. Was müsste dringend im Leben entschleunigt werden?
Tawil: Da gibt es ganz viel. Wir steuern ja auf eine wirkliche Krise zu, in der die Menschen nur noch auf Sinnsuche sind. Das ist ja zum Großteil jetzt schon so, weil sie sich irgendwann von ihrem Job oder in ihrem Leben total überfordert fühlen. Auch die sozialen Medien und die Digitalisierung tragen ihren Anteil dazu bei, dass viele Menschen einfach auf der Strecke bleiben. Bei dem Song hatte ich eigentlich im Sinn, all diese augenscheinlich perfekten Menschen anzusprechen. Jeder von uns kennt solche Leute, denen es auf der Karriereleiter nicht schnell genug gehen kann. Aber wenn man sich diese Menschen mal näher betrachtet, bleibt auch da immer irgendwas auf der Strecke. Und meistens ist das dann die Liebe. Dann hatte ich dazu die Idee im Kopf, dass es wahrscheinlich irgendwann so sein wird, dass wir in schwebenden Autos an einem Coffeeshop halten und uns dort so einen Kaffeebecher mit Liebe bestellen können, weil wir es sonst nicht mehr aushalten.
FOCUS Online: Kann man als Musiker überhaupt die Gesellschaft verändern?
Tawil: Ich finde, mit Popmusik ernsthafte und wichtige Inhalte zu vermitteln, schließt sich überhaupt nicht aus. Ich finde es sogar zwingend notwendig. Und ich spiele ja auch damit: Ich werfe die Angel aus und der Köder ist natürlich ein Song über Liebe und das große Gefühl. Weil die Liebe das Wichtigste für uns ist und das, was uns alle beschäftigt. Am Ende des Tages gehen wir alle nach Hause und entweder sind wir einsam und sehnen uns nach Liebe oder wir haben die Liebe zu Hause. Wenn ich diesen Köder ausgeworfen habe, dann will ich natürlich auch ein paar Dinge ansprechen, wo ich denke: Da muss was zu gesagt werden oder da lohnt es sich, ein Lied drüber zu schreiben.
"Ich bin auch nicht immer frei von Vorurteilen"FOCUS Online: Es heißt ja bekanntermaßen „Adel verpflichtet": Wozu fühlst du dich im Leben verpflichtet?
Tawil: Ich fühle mich verpflichtet, erstmal allen Menschen gegenüber offen und tolerant zu sein. Ich bin auch nicht immer frei von Vorurteilen, muss mich selber auch immer wieder daran zurückerinnern, dass man Menschen nicht aufgrund von Äußerlichkeiten beurteilen sollte, sondern wirklich komplett vorurteilsfrei aufeinander zugehen sollte. Meistens erlebt man dann wirklich große Überraschungen.
FOCUS Online: Deine Single „Tu m'appelles" hat einige Verse in französischer Sprache zu bieten. Ist französisch die schönste Sprache der Welt?
Tawil: Ja, weil französisch die Sprache der Liebe ist. Ich komme aus Tunesien und da sind wir zu Hause natürlich auch immer mit französisch aufgewachsen. Das war für mich einfach ein Thema, was ich gerne machen wollte. Sprache ist ja auch nochmal so ein Zeichen für Europa. Ich meine, wir sind in einem Europa und es wäre doch top, wenn man es hinbekommt, dass man eine italienisch-deutsche Nummer oder eine spanisch-deutsche Nummer hat und die dann auch überall läuft. Das wäre doch ein Traum.
"Ich bin der Typ Vater, der witzige Sachen mit seinen Kindern macht"FOCUS Online: Apropos „Sprache der Liebe": Du bist Vater geworden. Welche Aufgaben fallen dir als Vater leicht - und welche nicht?
Tawil: Spielen und Quatsch machen fällt mir sehr, sehr leicht. Ich bin schon so der Typ Vater, der witzige Sachen mit seinen Kindern macht. Ich habe mal so eine tolle Fotostrecke gesehen, wie Mütter mit ihren Kindern umgehen und wie Väter mit ihnen umgehen. Bei den Vätern waren es halt immer so chaotisch-witzige Dinge, also alles Mögliche, wo man sich denkt: Was macht der denn da? Den Hang habe ich auch und den muss ich ein bisschen kontrollieren. Nachts aufzustehen dagegen fällt mir auf jeden Fall richtig schwer.
FOCUS Online: Welche Frage stellst du anderen Vätern?
Tawil: Impfen war so ein großes Thema bei uns, wo man sich natürlich auch Gedanken gemacht hat. Impft man und wenn ja, was impft man und wieviel auf einmal. Für mich ist das alles so spannend, weil es eine komplett neue Welt ist. Sobald du ein Kind bekommst, öffnet sich diese Tür und da ist eine Riesenwelt. Und dann geht es um vermeintlich banale Dinge wie: Welchen Kindersitz kaufe ich? Welcher ist der richtige Kindergarten? Alles Fragen, die auf einmal super wichtig werden. Am allerwichtigsten ist natürlich die Frage: Welche Werte will ich meinem Kind vermitteln?
FOCUS Online: In der Anfangszeit deiner Karriere hat man Privates entweder in seinen Songs preisgegeben oder eben in Interviews zur aktuellen Platte. Heute kann das im Prinzip jeder Künstler über seine eigenen Kanäle steuern. Wie gehst du mit Social Media - vielleicht auch im Vergleich zu früher - um?
Tawil: An sich ist das eine gute Sache und ich finde das natürlich schön, dass ich so einen direkten Zugriff habe, Leute an meinem Leben teilhaben zu lassen. Ich kann Leute in meinen Instagram-Stories mitnehmen und das mache ich jetzt auch, dass die Leute zum Beispiel sehen, wenn ich eine Tour mache oder im Studio bin. Ich finde nur, dass man als Künstler natürlich auch schauen muss, was man da alles zeigt. Ich will mich da auch nicht komplett verlieren, weil mir es immer noch wichtiger ist, ein Live-Erlebnis mit meinem Publikum zu haben.
"Schuhe sind die neuen Kopfhörer"FOCUS Online: Du zeigst gerne deine verschiedenen Sneakers bei Instagram. Sind Sneakers für dich das Statussymbol im Leben?
Tawil: Früher konnten sich meine Eltern keine teuren Sneakers für mich leisten. Da waren es immer die Sneakers von C&A und so weiter. Da hat man natürlich auf die anderen geguckt, die Nike und Adidas getragen haben. Bei mir ging die Leidenschaft wirklich los mit dem Erfolg von Michael Jordan. Und als ich hier in Berlin auf den Basketballplätzen unterwegs war, war es das Allergrößte, wenn du einen Jordan-Schuh hattest. In den letzten drei, vier Jahren gehen Sneakers ja wieder so richtig ab. Schuhe sind die neuen Kopfhörer. Es sind nicht mehr die Beats, sondern jetzt sind es die Sneakers.
FOCUS Online: Wären eigene Sneakers für dich neben der Musik das perfekte Side-Business?
Tawil: Ja, ganz klar. Ich träume auf jeden Fall davon, einen eigenen Turnschuh zu machen. Ich bin an der ganzen Sache auch schon ein bisschen konkreter dran.
"'Ahnma' von den Beginnern hat mich sehr geprägt"FOCUS Online: Das letzte Ich + Ich-Album „Gute Reise" ist vor zehn Jahren erschienen. Dürfen die Fans nochmal mit einer gemeinsamen Platte rechnen?
Tawil: Ich kann es mir nicht vorstellen, dass Annette (Anm. d. Red.: Annette Humpe) sich nochmal ins Studio begibt, um ein ganzes Album zu machen. Aber das wir gemeinsam ins Studio gehen und nochmal ein bisschen Musik zusammen machen, das wird bestimmt passieren.
FOCUS Online: 2013 hast du den Song „Lieder" veröffentlicht. Darin finden sich etliche Referenzen an Songs, die dich in deinem Leben geprägt haben. Welche Lieder sind da in den letzten sechs Jahren dazugekommen?
Tawil: Auf jeden Fall würde „Ahnma" von den Beginnern dazukommen, das hat mich sehr geprägt. Ed Sheeran wäre dabei mit „I see fire". Ich würde dann wohl sowas texten wie: „Ich saß mit Ed Sheeran am Feuer" und vielleicht: „Ich hab mit Rammstein „Radio" gehört." - die wären auch dabei.
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