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Kurt Cobain wollte schon als Schüler Suizid begehen

Quelle: Cobainfilm.com


Der junge Kurt Cobain sitzt auf den Schienen und wartet auf sein Ende. Vor ein paar Tagen war er bei einer jungen Frau. In der Schule sagen alle, sie sei geistig zurückgeblieben. Vielleicht stimmt das auch. Kurt war bei ihr, um mit ihr zu schlafen. Irgendwie haben die Idioten aus der Schule das herausbekommen. Jetzt lachen sie über ihn, und das erträgt er nicht mehr. Deswegen sitzt er hier auf den Schienen und wartet auf den Tod.

Der kündigt sich schon an. Er ist ein brüllender Zug. Er kommt schnell näher. Seine Scheinwerfer werden größer. Und dann - wusch! - rasen die Waggons vorbei. Kurt sitzt zitternd am falschen Gleis. Sein erster Selbstmordversuch ist gescheitert.


Regisseur Brett Morgen war vielleicht der erste Mensch, der diese Geschichte gehört hat. Kurt Cobain selbst hatte sie Ende der Achtzigerjahre auf ein Band gesprochen. Morgen fand es in einem Archiv, zusammen mit unzähligen anderen Kassetten mit Songs und Memos des Nirvana-Frontmannes. Daraus sollte ein Film entstehen - so lautete der Wunsch von Courtney Love, der Witwe und Nachlassverwalterin Cobains.


Sie hatte Morgens Dokumentation "The Kid Stays in the Picture" aus dem Jahr 2002 gesehen. Der Film handelt vom Leben des Hollywoodproduzenten Robert Evans ("Der Pate", "Chinatown"). Morgen vermischt dabei Archivmaterial mit animierten Sequenzen. Die Erzählweise faszinierte Love. Sie wollte, dass der Regisseur einen Film im selben Stil über ihren toten Ehemann dreht. Dafür gewährte sie ihm Zugriff auf Berge von unveröffentlichtem Bild- und Tonmaterial.


Bis alle Rechte geklärt waren, vergingen allerdings sechs Jahre. Erst als Cobains Tochter Frances Bean sich als ausführende Produzentin hinter das Projekt stellte, konnte Morgen loslegen. Dabei ist Frances Bean kein Fan der Musik ihres Vaters. "Ich stehe nicht wirklich auf Nirvana", sagte sie dem "Rolling Stone" kürzlich. Und doch hat sie Verständnis für seine Entscheidung.


Kurt Cobain sei nicht einfach nur ein weiterer Typ gewesen, der seine Familie auf die schlimmste Art und Weise verlassen hat. Sein Selbstmord sei in dem Gefühl entstanden, alles für seine Kunst opfern zu müssen. Er sei der Meinung gewesen, dass die Welt das von ihm verlange und daher ohne ihn alle glücklicher seien, glaubt seine Tochter. "Aber wäre er am Leben geblieben, dann hätte ich einen Vater gehabt. Und das wäre eine tolle Erfahrung gewesen."


Für die Mitarbeit an der Dokumentation verlangte sie von Morgen, dass er nicht zur romantischen Verklärung ihres Vaters beitrage. Der Regisseur ordnete akribisch die vielen Bild- und Tonschnipsel in chronologischer Reihenfolge und führte Interviews mit den engsten Verwandten und Freunden des Künstlers. Je mehr er sich in die Arbeit stürzte, desto mehr hatte er das Gefühl, dass die Öffentlichkeit den wahren Kurt Cobain gar nicht kannte.


Sein Porträt beginnt mit verwackelten Super-8-Bildern eines amerikanischen Vorstadtidylls: Aberdeen, Washington. Hier kommt Kurt zur Welt. Er ist ein überdrehter Junge, und die Kamera immer zur Stelle, um bedeutungsvolle Momente einzufangen: Wenn der kleine Kurt seine Schwester Kim auf die Wange küsst und sich dann theatralisch hinsetzt, um die Zeitung zu studieren, sieht es aus, als wollte er schon damals klassische männliche Rollenbilder parodieren.


Als sich die Eltern scheiden lassen, bricht die Familie auseinander und mit ihr Kurts heile Welt. Er wird zum Nomaden zwischen Großeltern und Onkeln. Vielleicht begründet das seinen Minderwertigkeitskomplex, so mutmaßen seine Eltern und seine Schwester schuldbewusst vor der Kamera.


Die Kunst rettet Cobain. Vorerst. Er fetzt misanthropische Gedichte und makabre Skizzen in seine Notizbücher. Im Film werden sie eindrucksvoll animiert zum Leben erweckt. Wir werden Zeuge, wie Kurt erste Lieder schreibt, wie er jene krude Sound-Collage erstellt, die dem Film den Titel gibt: "Montage Of Heck", ein Wirrwarr aus Songfetzen und Lärm. Ausdruck eines ruhelosen, kreativen Geistes und Zeugnis des wohlinformierten Musikgeschmacks des damals gerade einmal 21-Jährigen.

Nirvana spielen kleine Konzerte in Wohnzimmern vor drei Zuschauern. Plötzlich drängen Journalisten ins Bild. Der Erfolg kommt so schnell wie am Anfang der Zug - nur dass Cobain diesmal überrollt wird.


Er verschanzt sich mit Love in einem Appartment vor der Öffentlichkeit, versucht, mit Heroin vor Magenschmerzen und Erwartungsdruck zu entfliehen. Am Ende ist er ausgemergelt, nur noch ein Schatten seiner selbst. Die einjährige Frances Bean auf seinem Schoß, kann er die Augen kaum noch offenhalten. Wie Irre plärren Love und er sinnlose Lieder für die Kleine. Zwei Junkies und ihre bemitleidenswerte Tochter. Es sind hässliche Szenen aus privaten Home-Videos. Kim Cobain und ihre Eltern wollten nicht, dass Morgen sie verwendet. Doch der bestand darauf.


Kurt Cobain jagte sich am 5. April 1994 eine Ladung Schrot in den Kopf. Heute ist er eine Person der Zeitgeschichte. Das rechtfertigt wohl die Veröffentlichung dieser Videos, auch wenn sie keine wirklich neuen Rückschlüsse zulassen, sondern höchstens ein paar explizite Details hinzufügen.


Vielleicht hätte Cobain selbst nichts dagegen gehabt, dass wir uns 21 Jahre nach seinem Selbstmord noch einmal so genau mit ihm beschäftigen. Wenn Morgens Film eines verdeutlicht, dann, dass sich der angebliche Anti-Rockstar zeitlebens nach Aufmerksamkeit sehnte: Er las die meisten Artikel, die über ihn geschrieben wurden. Auch seine Tagebücher schienen darauf angelegt gewesen zu sein, von der Nachwelt studiert zu werden.


Und doch bleibt ein komischer Beigeschmack: Schon als er noch lebte, konnte Kurt Cobain dem Rampenlicht nicht entkommen. Im Tod gelingt ihm das anscheinend noch weniger.

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