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Die Überlebenskünstler

Was ihn nicht umbringt, macht Jeff Tweedy zu einem besseren Künstler


Die Frau des Wilco-Sängers Jeff Tweedy erkrankte schwer. Beide tröstet seine Musik


Es war die schlimmste Zeit in meinem Leben", sagt Jeff Tweedy. Einer wie er behauptet so etwas nicht leichtfertig. In seinem Leben hat der 47-jährige Sänger von Wilco schon viel durchgemacht. Mit 23 verfiel er dem Alkohol. Später litt er jahrelang unter schweren Depressionen und Angstzuständen. Um nicht den Verstand zu verlieren, nahm er Medikamente, die ihn süchtig machten und erst recht an den Rand des Wahnsinns trieben. Im September vergangenen Jahres starb auch noch sein Bruder Greg im Alter von 55 Jahren an Herz- und Nierenversagen. Das alles hat Jeff Tweedy überstanden. Doch seine schwerste Prüfung lag noch vor ihm.


Im Mai wurde seine Frau Sue Miller mit einer seltenen Krankheit diagnostiziert. "Vier qualvolle Monate lang wussten wir nicht, was los ist", erinnert sich Tweedy. "Sie musste fünf Biopsien über sich ergehen lassen. Die Ergebnisse waren immer negativ, aber die Ärzte waren trotzdem sicher, dass irgendwas nicht stimmt - zum Glück! Denn sie hatten Recht."

Sue und Jeff sind seit 19 Jahren verheiratet. 1996 kam ihr erster Sohn Spencer zur Welt, vier Jahre später folgte der zweite, Sam. Kennengelernt haben sie sich Ende der 80er, als Jeff in der Alternative Country-Gruppe Uncle Tupelo spielte. Sue war damals Bookerin.


Sie engagierte die Band für Auftritte in ihrem Club Lounge Ax in Chicago. Irgendwann fingen Jeff und Sue an, miteinander auszugehen. Als sie ein Paar wurden, war er auf dem Höhepunkt seiner Alkoholsucht. Sie half ihm davon loszukommen, wie sie ihm von da an immer durch die Krisen in seinem Leben half. Wenn er manchmal glaubte, vor Angst verrückt zu werden, war Sue da, um ihm beizustehen. "Zu sehen, wie er einen Zusammenbruch hatte, war sehr schmerzhaft. Für ihn, für mich, für die Kinder", sagte sie einmal dem "Chicago Tribune". Trotzdem blieb sie stets an der Seite ihres Mannes.


Ohne sie wäre Jeff heute vermutlich längst tot. Und nun ist Sue es, die plötzlich Hilfe braucht. Was die Ärzte in ihren Knochen entdeckten, waren Non-Hodgkin-Lymphome, Symptome einer seltenen Form von Lymphdrüsenkrebs. Nach unzähligen Röntgenaufnahmen, Computertomographien und schmerzhaften Lumbalpunktionen musste Sue eine Chemo-Therapie über sich ergehen lassen. Wenn er über die Therapie spricht, klingt es, als wäre er selbst genauso Patient wie seine Frau. "Es könnte eine chronische Erkrankung sein, mit der wir lernen müssen, umzugehen, aber erst mal sind wir über den Berg." Nicht nur Jeff und die Kinder stehen Sue bei. Die gemeinnützige Organisation "LLS Light The Night Walk", die sich der Erforschung und Behandlung von Knochen- und Blutkrebs widmet, gründete die Initiative "Walk For Sue": Am 18. Oktober versammeln sich Chicagoer im Grant Park, um auf Sues Krankheit aufmerksam zu machen und Spenden zu sammeln.


Um die vergangenen Monate zu ertragen, hat Jeff auf ein erprobtes Heilmittel zurückgegriffen. Stets suchte und fand er Erlösung in seiner Kunst. Einige der besten Wilco-Alben entstanden, als es Jeff besonders dreckig ging. Und nun, da sein Glück wieder einmal an der Kippe steht, nutzt er die Musik als Therapie für seine ganze Familie. Unter dem Namen Tweedy hat er eine Familien-Band gegründet. So sind 20 schlichte Folk-Songs entstanden, die nun als Doppel-Album erscheinen: "Sukierae" ist nicht nur Titel der Platte, sondern auch Jeffs Spitzname für seine Frau.


Und es geht nicht ausschließlich um Familienthemen, doch wer sie sucht, wird fündig. Seinen größten Wunsch formuliert er in "Where My Love": "I want to watch you growing old and dumb/I want to see what you and I become". Möge dieser Wunsch Erfüllung gehen.

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