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Die emotionalen Grenzen der Vielliebe

Konstantina und Pedram waren zu zweit glücklich. Dann verliebte sie sich in einen anderen

Wenn man sich verliebt, will man die ganze Welt umarmen, ist überglücklich. Doch Liebe kann sehr wehtun. Wie im Fall von Konstantina: Sie liebte einen Mann, dann einen zweiten, beide gleich. Sie wollte offen damit umgehen, doch am Ende wollte einer von beiden sie ganz für sich allein.


Als sich Konstantina im Urlaub in Max* verliebte, war sie bereits in einer glücklichen Beziehung mit Pedram. Sie beschloss, ihm von ihrer neuen Liebe zu erzählen. "Ich kam nach Hause und habe mich zu ihm ins Bett gelegt", erinnert sie sich. "Wir haben uns gesagt, wie schön es ist, sich wiedersehen. Dann hab ich ihm von Max erzählt."


Pedram reagierte anders als es die meisten Männer tun würden: Er freute sich für seine Freundin. "Er wollte sich nicht von mir trennen, sondern es versuchen - zu dritt", sagt die 25-jährige Schauspielerin. Pedrams Reaktion ließ sie hoffen, dass alles gut werden würde. Stattdessen wurde es kompliziert.


In den 90er-Jahren hat man einen Begriff für das gefunden, was Konstantina, Pedram und Max versucht haben zu leben: Polyamorie, die Vielliebe, ist ein Lebensentwurf für Menschen, die ihr Glück nicht in monogamen Partnerschaften suchen, sondern mehr als einen Partner gleichzeitig lieben. Von den Hippies der 60er, die in Kommunen wohnten und freie Liebe predigten, unterscheidet polyamore Menschen ein Bedürfnis nach Verbindlichkeit. Es geht nicht nur um Sex. Ihre Liebschaften sollen genauso ernsthaft sein wie monogame Beziehungen, nicht beliebig.


Ob man diesem Konzept etwas abgewinnen kann oder nicht: Fest steht, dass viele Menschen an der Monogamie scheitern. Laut dem Statistischen Bundesamt wurden im Jahr 2012 knapp 180.000 Ehen geschieden. Der häufigste Trennungsgrund ist, dass einer der beiden Partner fremdgeht - für viele immer noch ein unverzeihlicher Vertrauensbruch.


Einen geliebten Menschen teilen

Trotzdem versuchen immer mehr Menschen den neuen Lebensstil, bei dem man mehr als einen Partner hat. Genaue Zahlen lassen sich nicht eruieren, aber allein bei Facebook finden sich bereits Tausende in geschlossenen Polyamorie-Gruppen zusammen. Viele gehen jedoch diskret mit ihrem Lebensstil um, weil sie fürchten müssen, von der Gesellschaft missverstanden zu werden. Für die meisten Menschen hat Polyamorie etwas Befremdliches, ja Bedrohliches. Denn mehrere Partner zu lieben bedeutet gleichzeitig, dass man die geliebten Menschen teilen muss - und das kann beängstigend sein.


Max fiel es nicht leicht zu akzeptieren, dass Konstantina bereits in einer glücklichen Beziehung mit Pedram war. Aber auch er wollte es versuchen. Anfangs funktionierte die Dreierkonstellation. "Ich wohnte mit Pedram zusammen und traf mich regelmäßig mit Max", sagt Konstantina. "Wir waren sehr verliebt."


Doch nach der anfänglichen Verliebtheit kehrte der Alltag ein, und die Situation zu dritt wurde immer schwieriger. Bald stellte Konstantinas neuer Freund Besitzansprüche und wollte sie für sich allein. "Max hat mir immer wieder vorgeworfen, dass Pedram omnipräsent in unserem Leben sei. Er wollte irgendwann nicht mehr, dass ich seinen Namen erwähne. Das ging natürlich nicht. Wenn ich von meinem Tag erzählte, konnte ich Pedram ja nicht einfach ausklammern und weglassen."


Eifersucht wurde zum Problem. Das lässt sich auch in polyamoren Beziehungen nicht verhindern. Doch man kann lernen, damit umzugehen, indem man Gefühle und Bedürfnisse offen anspricht. "Dann gibt es kein Fremdgehen mehr und keine Heimlichtuerei", sagt Christopher Gottwald. Er ist Pressebeauftragter des "PolyAmoren Netzwerks", einem Verein, der Treffen für polyamore Menschen organisiert und Seminare anbietet, bei denen die Besucher sich durch Ausdruckstänze näherkommen sollen. "Im Prinzip lernt man durch die Polyamorie zu kommunizieren. Alle Beteiligten wissen Bescheid. Das bedeutet große Verbundenheit."


"Treue ist auch keine Lösung"

Allerdings erfordert diese Art der Verbundenheit emotionale Disziplin: Wer Freiheit haben möchte, muss auch lernen, sie seinem Partner zuzugestehen. "Es geht darum, das Dilemma in sich selbst zu lösen und Ängste zu thematisieren. Das erreiche ich nicht, wenn ich meinen Partner kontrolliere", erklärt Holger Lendt, Psychologe und Paarberater aus Hamburg. In seinem Buch "Treue ist auch keine Lösung", das er zusammen mit der Psychologin Lisa Fischbach geschrieben hat, beschäftigt er sich genau damit. "Die Frage ist nicht, ob mein Partner auch andere liebt, sondern wie verbindlich und tief er sich auf unsere Liebe einlässt."

Gabriele Aigner, Paar- und Sexualtherapeutin in München, bezweifelt, dass Liebesbeziehungen zwischen mehr als zwei Menschen funktionieren: "Auf Dauer geht das meist nicht gut. Ein Partner ist die treibende Kraft, die Beziehung für weitere Liebschaften zu öffnen. Und der andere zieht dann halt mit, um den anderen nicht zu verlieren. So entsteht ein Ungleichgewicht - und dadurch häufig Leidensdruck, Verlustangst und Eifersucht. Paare trennen sich oder gehen nach einiger Zeit wieder zur geschlossenen Beziehung über."


Konstantina kämpfte um die beiden Männer, die sie liebte. Und Pedram unterstützte sie - obwohl er wusste, dass er sie dadurch verlieren konnte. "Es kamen keine Glücksgefühle dabei auf, sie zu jemandem zu schicken, der mich weghaben wollte und Konstantina wehtun könnte", sagt er. "Aber ich habe halt gesehen: Ohne ihn geht es ihr nicht gut. Also habe ich gesagt: 'Fahr zu ihm!'"


So ging das monatelang. Ein nervenaufreibender Prozess, bei dem keiner der Beteiligten glücklich war. Irgendwann wusste Konstantina nicht mehr weiter. "Ich war innerlich total zerrissen und habe mir gewünscht, dass mich einer verlässt, weil ich diese Entscheidung selbst einfach nicht treffen konnte. Ich dachte mir, wenn ich beiden nur wehtue, dann kann das nichts Gutes sein."


Polygamie kann perfekt funktionieren

Schließlich traf Konstantina eine Entscheidung: Sie wählte den Mann, der ihr keine Grenzen setzte, der sie so nimmt, wie sie ist: Pedram. "Ich habe Max trotzdem wahnsinnig vermisst", sagt sie und man merkt, wie traurig sie immer noch über den Verlust ist. "Es war ja kein Ende, weil wir uns nicht mehr geliebt haben, sondern weil diese Beziehung zu dritt nicht funktioniert hat."


Heute ist Konstantina wieder nur mit einem Mann zusammen. Doch auch wenn ihr Versuch, polyamore Beziehungen zu führen, gescheitert ist, glaubt sie immer noch daran, dass sie mehrere Männer gleichzeitig lieben kann - und wird.


"Die Menschen wollen besonders sein, wollen einen Partner, der ihnen sagt: 'Du bist der eine, und da ist sonst niemand. Und nur deine Bedürfnisse sollen befriedigt werden", erklärt sie. "Aber Monogamie zielt nicht darauf ab, dass es allen gut geht. Ich glaube, dass Polyamorie perfekt funktionieren kann. Wenn man dem anderen das Gefühl gibt, du bist wertvoll für mich, und es macht dich nicht weniger wertvoll, dass da jemand anderes ist. Das eine nimmt dem anderen nichts. "


*Name von Redaktion geändert

Text: Larissa Krüger und Reiner Reitsamer
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