Die Frau am Schalter würdigt mich kaum eines Blickes. Ich habe extra meinen Reisepass mitgebracht, außerdem meinen Presseausweis und eine Bestätigung meiner Akkreditierung. Das alles interessiert sie nicht wirklich. Forsch fordert sie mich auf, meinen Namen zu sagen. Ich tue es, und sie reicht mir ein Lanyard mit meinem Zutrittspass.
Ich hatte angenommen, dass es schwerer sein würde, Zugang zum Studio zu bekommen. Immerhin werden hier heute Abend Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Herausforderer Peer Steinbrück zum "Kanzlerduell" antreten. Eineinhalb nicht ganz unwichtige Persönlichkeiten. Einen Raum weiter wird mir dann klar, warum es am Eingang so locker zugeht: Die Zuschauer befinden sich nicht im selben Studio wie Merkel und Steinbrück, sondern in einer großen Halle, in der die TV-Konfrontation auf zwei Leinwänden übertragen wird. Ich bin also eine Stunde lang mit dem Fahrrad zum Studio in Adlershof gefahren, um mir die Diskussion im Fernsehen anzusehen. Der Abend beginnt gut.
In der Halle wuseln Menschen in Anzügen umher, dazwischen Kellner, die Häppchen und Getränke servieren. Ich suche meine Kollegen A, B, C, und D und finde sie erwartungsgemäß an der Weinbar. Aufgeregt begrüßen sie mich. Ob ich schon die vielen Promis gesehen hätte, fragt mich A. "Da hinten ist Ingo Appelt, gleich hinter dir steht Uschi Glas, und der da rechts ist... na, wie hieß er noch... den kennt man doch...." Ich drehe mich um. Den Menschen neben mir habe ich in meinem Leben noch nie gesehen. Um A nicht zu enttäuschen, sage ich trotzdem ehrfurchtsvoll " Aaaahhh! ". Sie gibt sich damit zufrieden.
Die Aufregung meiner Kollegen befremdet mich ein bisschen. Über ihre Smartphones gebeugt stehen sie da und twittern ein Sammelsurium aus Hashtags, Links und Selbstportraits. Anscheinend gibt es Leute da draußen, die das interessiert, denn wenig später hält mir Kollege B triumphierend sein Handy unter die Nase: "Alter, der Branding-Manager von Ernst & Young hat meinen Tweet retweetet!!"
Kollegin C befiehlt mir, auch zu twittern. Hastig verfasse ich einen Tweet für meine 22 Follower über das Buffett beim #tvduell zur #BTW2013. Der richtige Hashtag lautet jedoch #BTW13 und Buffet schreibt man nur mit einem "t". Ob ich das jetzt noch korrigieren könne, frage ich C. "Nein", sagt sie mit strenger Miene und hackt weiter mit beiden Daumen auf die Tastatur ihres Handys ein.
"Alter, mir folgt jetzt Peter Altmaier!!!", ruft B im Vorbeigehen. Endlich beginnt das "Duell". Wir richten unsere Blicke auf die Leinwand. Ich bin zuversichtlich, dass ich heute viel über deutsche Innenpolitik lernen werde. Ich kann es kaum erwarten, mich zu entrüsten, den Kopf zu schütteln, dann wieder die Faust in die Luft zu recken und zu schreien: "Jaaaaa!! Meine Stimme habt ihr... hättet ihr... wenn ich wahlberechtigt wäre!!!!"
Nach etwa einer Minute merke ich allerdings, dass ich dem monotonen Gequatsche, das da oben von der Leinwand hallt, nicht mehr zuhöre. Steinbrück und Merkel fallen ja fast selbst die Augen zu, während sie ihre Wahlslogans herunterbeten. "Deutschland steht heute gut da" hier, "Mindestlohn einführen, Strompreise nicht erhöhen" da. Ab und zu quäkt Stefan Raab als fleischgewordene Bankrotterklärung des deutschen Polit-Journalismus dazwischen. Dann lachen die Zuschauer pflichtschuldig und sagen: "Nein, dieser Raab, solche Fragen stellt sonst keiner!"
Auch meine Kollegen schenken dem Geschehen auf der Leinwand keine Beachtung mehr. Sie scheinen diesen Abend auf einer Meta-Ebene dokumentieren zu wollen und fotografieren Menschen, die Menschen fotografieren, die gerade von Kamerateams interviewt werden. "Mobile reporting at its best", nennt B das später. Ich überlege ein Foto davon zu machen, wie Menschen Menschen fotografieren, die Menschen fotografieren, die gerade gefilmt werden und entscheide mich aus Respekt vor mir selbst dagegen.
Endlich geht das "Duell" zu Ende. Jetzt beginnt für uns die Jagd. Wie hungrige Wölfe stürzen wir uns auf Klaas Heufer-Umlauf, Peter Altmaier und Ursula von der Leyen. Vor uns ist niemand sicher. Wir haben Blut geleckt. Wir sind Interview-geil. In meiner Euphorie schlage ich ein Interview mit Uschi Glas vor. Die Reaktion meiner Kollegen muss man sich vorstellen wie die Szene im Western, wenn der Sheriff in die Bar kommt und die gute Stimmung im Saloon mit einem Mal vorbei ist. Der Pianist hört auf zu spielen. Alle sehen mich entgeistert an.
"Uschi Glas", sagt D. "Das passt irgendwie zu dir." Es ist vielleicht das Demütigendste, was je ein Mensch zu mir gesagt hat. Als wir uns zum Ausgang bewegen, um den langen Heimweg anzutreten, bekomme ich ein bisschen Heimweh. Sehnsüchtig denke ich an die lustigen Kanzlerduelle in Österreich. Daheim ist es halt doch am schönsten...