James Dean Bradfield, Sänger der Manic Street Preachers, über den ständigen Krieg gegen sich selbst
Es war der Sommer, in dem England sein Selbstvertrauen wiederfand. Nachdem jahrelang dröger Grunge aus den USA die Charts dominiert hatte, holten nun junge Musiker mit Moptops den Rock 'n' Roll zurück auf die Insel: Oasis veröffentlichten ihr Debütalbum und feierten sich selbst als beste Band der Welt, Blur verteidigten das englische "Parklife" und Jarvis Cocker von Pulp verhalf dem Dandy zum Revival. Pop-Musik durfte wieder stolz sein und das Leben umarmen.
Und dann standen beim Glastonbury-Festival 1994 plötzlich vier Männer in Tarnanzügen und Sturmmasken auf der Bühne. Sie sangen Textzeilen wie: "There ain't no black in the Union Jack" und spielten dazu lauten Punkrock. Manic Street Preachers hieß diese Band. Sie war davor eher als walisische Version von Guns N' Roses aufgefallen. Dann erschien ihre dritte Platte, "The Holy Bible", ein zorniges Manifest gegen Faschismus, die Todesstrafe und andere wenig hitparadetaugliche Themen. Kurze Zeit später verschwand ihr Gitarrist Richey Edwards spurlos. Er wurde später für tot erklärt, ohne dass je seine Leiche gefunden wurde. Die Manic Street Preachers machten ohne ihn weiter, erfanden sich als Brit-Pop-Band neu und sind vielen Kritikern zum Trotz bis heute weit davon entfernt, sich aufzulösen. Am 7. Juli, fast genau 20 Jahre nach "The Holy Bible", erscheint nun ihr zwölftes Studioalbum "Futurology". Im Interview spricht James Dean Bradfield über die Last alter Songs und erklärt, warum die Manic Streets Preachers ständig im Krieg mit sich selbst stehen.
Die Welt: Ihr neues Album ist zur selben Zeit entstanden, wie das vor einem Jahr veröffentlichte "Rewind The Film". Trotzdem sind die beiden Platten sehr unterschiedlich.
James Dean Bradfield: Das stimmt. Auf "Rewind" geht es darum, die Vergangenheit zu bewältigen und in der Gegenwart anzukommen. Uns ist klar geworden, dass wir über 40 sind und immer noch in einer Rock-Band spielen. Für viele ist das lächerlich. Manchmal erscheint es mir ja selbst lächerlich. Bei "Futurology" sehen wir dem ins Auge und sagen: "Ja, wir sind alte Mistkerle. Scheiß drauf! Es gibt immer noch Dinge, für die es sich zu kämpfen lohnt."
Wofür zum Beispiel?
Auf der Platte ist ein Song mit dem Titel "Let's Go To War". Der ist eine Reaktion auf alles, was um uns herum passiert. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die immer die Labour Party gewählt hat. Ich habe selbst mein Leben lang Labour gewählt, aber seit Blair ist diese Partei so verdammt korrupt geworden, dass ich sie wohl nie wieder wählen kann. Es bringt mich zur Verzweiflung, denn ich will natürlich auch nicht die Konservativen oder Ukip wählen. Gleichzeitig frustriert mich, dass keine junge Band dieses Problem in ihrer Musik aufgreift. "Let's Go To War" handelt genau davon: Ich bin von meiner Partei im Stich gelassen worden, und in der Musik passiert auch nichts mehr. Also ziehen wir selbst in den Krieg - auch gegen uns selbst und unsere Selbstzweifel. Wir brauchen diesen Krieg mit uns selbst, um kreativ zu bleiben.
Im Song "Walk Me To The Bridge" singen Sie "Old songs leave long shadows" - "Alte Songs werfen lange Schatten". Trifft das auch auf Ihre alten Songs zu?
Ja, alte Songs sind manchmal eine Last. Sie erinnern dich an Ideale, die du verloren hast und an falsche Entscheidungen. Je mehr Songs man schreibt, desto mehr wird einem bewusst, wie viele Fehler man gemacht hat.
"Futurology" ist eine sehr politische Platte. Sie wirkt thematisch fast wie eine Fortsetzung von "The Holy Bible".
Ja, es gibt einige Songs, die auch auf "Holy Bible" sein könnten: "Europa geht durch mich", Mayakovsky", "Dreaming A City". Das hat nicht so sehr mit der Musik zu tun, sondern eher mit der Erzählweise. Wir haben erstmals seit 1994 wieder mit meinem guten Freund Alex Silva zusammengearbeitet. Er lebt seit einigen Jahren in Berlin und schlug vor, hier in den Hansa-Studios aufzunehmen.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Schauspielerin Nina Hoss, die auf "Europa geht durch mich" zu hören ist?
Nina kenne ich über Alex, sie ist seine Freundin. Ich wollte eine weitere Stimme auf "Europa", also habe ich ihn gefragt, ob sie singen kann, und Alex meinte: "Ja, sie hat eine tolle Stimme." Ich war ein bisschen nervös, weil ich dachte: Was wenn es nicht funktioniert? Dann hätte ich meinem Freund sagen müssen: "Sorry, deine Freundin kann leider doch nicht auf unserer Platte singen!'" Aber Nina hat perfekt gepasst. Am Ende hab ich mir gewünscht, sie hätte mehr Songs auf dem Album gesungen.
Hätten Sie vor 20 Jahren gedacht, dass Ihre Band 2014 noch existiert?
Ich schon, aber Nicky (Wire, Bass - Anm.) und Richey wohl nicht. Ich hatte immer Bands wie The Clash vor Augen. Hätten die nach dem ersten Album aufgehört, hätten wir "London Calling" und "Combat Rock" nicht bekommen. Ich liebe die Idee einer Band, die sich über die Jahre verändert, mutiert, reift. Aber Nicky und Richey waren da immer etwas... nun ja... nihilistischer. (lacht)