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Wahre Lieben

Das Symbol für Polyamorie: ein Herz, das vom Unendlichkeitszeichen umschlossen wird

Wer polyamor lebt, liebt mehrere Menschen gleichzeitig. Für viele ist das der einzige Weg zum Glück - oft aber auch der Beginn eines langen Kampfes.


So hat sich Atman den Abend nicht vorgestellt: Daniela legt ihr Bein auf seinen Schoß. Mit der linken Hand fasst sie Zoe-Kahrín liebevoll an die Hüfte. So sitzen die drei da: ein Menschenknäuel. „Jetzt haben sich alle lieb", sagt Daniela. Da bricht Atman in Gelächter aus. „Gott, ist das klischeehaft!", kichert er. Dann beginnen auch die Frauen zu lachen.

Eigentlich wollte der 48-Jährige genau diese Szene vermeiden. Als wir am Telefon darüber sprechen, dass wir die erste Begegnung seiner beiden Geliebten begleiten dürfen, bittet er nur um eines: keine Aufnahmen von gemeinsamem Händchenhalten oder Gruppenschmusen. Das sei eine Szene, die zu oft in den Medien gezeigt werde, wenn es ums Thema Polyamorie geht. Dabei habe es mit der Realität wenig zu tun.


Und nun ist es doch passiert, ganz von selbst. Aber das ist auch nicht weiter schlimm. Im Gegenteil: Atman ist froh, dass sich seine Geliebten auf Anhieb gut verstehen. Wahrscheinlich werden sie sogar Freundinnen. Platonische Freundinnen. Denn nur weil beide eine Liebesbeziehung mit Atman führen, heißt das nicht, dass auch sie sich ineinander verlieben werden.


„Ihr wollt doch nur ficken!"


In den 90ern hat man einen Begriff für das gefunden, was Atman, Daniela und Zoe-Kahrín leben: Polyamorie, die Vielliebe, ist ein Lebensentwurf für Menschen, die ihr Glück nicht in monogamen Partnerschaften suchen, sondern mehr als einen Partner gleichzeitig lieben. Von den Hippies der 60er, die in Kommunen wohnten und freie Liebe predigten, unterscheidet sie ein Bedürfnis nach Verbindlichkeit. Ihre Liebschaften sollen nicht beliebig sein, sondern genauso ernsthaft wie monogame Beziehungen.


„Das Vorurteil, das man am häufigsten hört, ist: ‚Ihr wollt doch nur ficken!'", sagt Christopher Gottwald. Er ist Pressebeauftragter des PolyAmoren Netzwerkes, einem Verein, der Treffen für polyamore Menschen organisiert und Seminare anbietet, bei denen die Besucher sich durch Ausdruckstänze näher kommen sollen. „Natürlich ist Sexualität eine wichtige Sache, aber es geht um viel, viel mehr. Sex ist überhaupt nicht mehr so wichtig für mich wie früher."

Immer mehr Menschen versuchen den neuen Lebensstil. Genaue Zahlen lassen sich nicht eruieren, aber allein bei Facebook finden sich bereits tausende Menschen in geschlossenen Polyamorie-Gruppen zusammen. Trotzdem gehen viele diskret mit ihrem Lebensstil um, weil sie fürchten müssen, von der Gesellschaft missverstanden zu werden. Auch Atman möchte nicht, dass sein Nachname genannt wird.


Welchem System man sich auch anschließt, fest steht, dass die Monogamie ein Konzept ist, an dem viele Menschen scheitern: Laut dem Statistischen Bundesamt wurden im Jahr 2012 knapp 180.000 Ehen geschieden. Der häufigste Trennungsgrund ist, dass einer der beiden Partner fremdgeht - für viele Menschen immer noch ein unverzeihlicher Vertrauensbruch.


Es gibt kein Fremdgehen mehr


Atman hat eine Beziehung, in der Sex gar keine Rolle spielt, die aber trotzdem über eine platonische Freundschaft hinausgeht. Die Frau lebt wie er polyamor. Bei dem Treffen mit Daniela und Zoe-Kahrín ist sie allerdings nicht dabei. „Sie möchte nur wissen, ob da jemand ist und dass ich ehrlich in Bezug auf meine Beziehungen bin", erklärt Atman. „Am liebsten möchte sie mich für sich alleine haben. Aber das geht halt nicht. Zumal sie ja auch noch einen Liebhaber hat."


Eifersucht lässt sich auch in polyamoren Beziehungen nicht verhindern. Doch man kann lernen, damit umzugehen, indem Gefühle und Bedürfnisse offen angesprochen werden. „Es gibt kein Fremdgehen mehr und keine Heimlichtuerei", sagt Christopher Gottwald. „Im Prinzip lernt man durch die Polyamorie, zu kommunizieren. Alle Beteiligten wissen Bescheid. Das bedeutet große Verbundenheit."


Allerdings erfordert diese Art der Verbundenheit emotionale Disziplin: Wer Freiheit haben möchte, muss auch lernen, sie seinem Partner zuzugestehen. „Es geht darum, das Dilemma in sich selbst zu lösen und Ängste zu thematisieren. Das erreiche ich nicht, wenn ich meinen Partner kontrolliere", erklärt Holger Lendt, Diplom-Psychologe und Paarberater aus Hamburg. In seinem Buch „Treue ist auch keine Lösung", das er zusammen mit der Psychologin Lisa Fischbach geschrieben hat, beschäftigt er sich genau damit. „Die Frage ist nicht, ob mein Partner auch andere liebt, sondern wie verbindlich und tief er sich auf unsere Liebe einlässt."


Es ist schwer, alte Denkmuster abzulegen. Für Atman dauert der Prozess immer noch an. Als er seine ersten Gehversuche mit der Vielliebe unternahm, hatte er ein Schlüsselerlebnis: Auf einer Party beobachtete er, wie seine damalige Freundin mit einem andern Mann herumknutschte. „Ich bin fast gestorben", erzählt Atman. „Aber ich bin dageblieben, weil ich wissen wollte, ob ich das aushalte. Ob meine Liebe stark genug ist. Und irgendwann ist dann das Eis gebrochen." Während Atman dastand und die Frau, die er liebt, einen anderen küsste, wurde ihm klar, dass seine Eifersucht nichts weiter war als das Ergebnis von Verlustangst und Besitzdenken - und er beschloss, beides hinter sich zu lassen.


Zu dritt ging es nicht

Konstantina hatte ebenfalls mit Eifersucht zu kämpfen, allerdings nicht mit ihrer eigenen. Als sich die 25-jährige Schauspielerin vor zwei Jahren im Urlaub verliebte, war sie bereits in einer glücklichen Beziehung mit Pedram. Sie beschloss, ihm von ihrer neuen Liebe zu erzählen. Pedram reagierte anders als die meisten Männer: Er freute sich für sie. „Er wollte sich nicht von mir trennen, sondern es versuchen - zu dritt", sagt Konstantina.


Für den Neuen war die Situation nicht leicht, aber auch er wollte es versuchen. Doch als nach der anfänglichen Verliebtheit der Alltag einkehrte, wurde es immer schwieriger. Bald stellte Konstantinas neuer Freund Besitzansprüche und wollte sie für sich allein. Konstantina kämpfte um beide Männer, und Pedram unterstützte sie - obwohl er wusste, dass er sie dadurch verlieren konnte. „Es kamen keine Glücksgefühle dabei auf, sie zu jemandem zu schicken, der mich weghaben wollte oder Konstantina wehtun wird", sagt er. „Aber ich habe halt gesehen: Ohne ihn geht es ihr nicht gut. Also habe ich gesagt: ‚Fahr zu ihm!'".


Nach langem Hin und Her traf Konstantina eine Entscheidung: Sie wählte den Mann, der sie so nimmt, wie sie ist und ihr keine Grenzen setzt: Pedram. „Ich habe den andern trotzdem wahnsinnig vermisst", sagt sie heute. „Es war ja kein Ende, weil wir uns nicht mehr geliebt haben, sondern weil diese Beziehung zu dritt nicht funktioniert hat.


Kann Polyamorie gutgehen?

Gabriele Aigner, Paar- und Sexualtherapeutin in München, bezweifelt, dass Liebesbeziehungen zwischen mehr als zwei Menschen funktionieren: „Auf Dauer geht das meist nicht gut. Ein Partner ist die treibende Kraft, die Beziehung für weitere Liebschaften zu öffnen. Und der andere zieht dann halt mit, um den anderen nicht zu verlieren. So entsteht ein Ungleichgewicht - und dadurch häufig Leidensdruck, Verlustangst und Eifersucht. Paare trennen sich oder gehen nach einiger Zeit wieder zur geschlossenen Beziehung über."


„Es ist kapitalistisch, zu sagen: ‚Ich bin was Besonderes, ich bin die Eine, und nur meine Bedürfnisse werden befriedigt'", meint Konstantina. Wie viele polyamore Menschen stellt sie Besitzdenken infrage. Sie ernährt sich vegan und hat einen Hang zur Spiritualität. „Ich glaube, Polyamorie führt dazu, dass man sich ein Bewusstsein über sich selbst und andere Lebewesen schafft. Das führt oft zu Veganismus", sagt sie. „Das Spirituelle kommt mit dem Verlangen, dass alles im Einklang ist. Das klingt sehr esoterisch, aber eigentlich ist es etwas Natürliches, das Bedürfnis zu haben, dass es mir und den Menschen um mich herum gut geht. Ich glaube, Kapitalismus zielt nicht darauf ab, dass es allen gut geht."

Die Liebe wird größer, wenn man sie teilt

Atman ist überzeugt davon, dass Polyamorie für ihn eher zum Glück führt als die traditionelle Zweierbeziehung. „Wenn ich monogam mit jemandem bin, dann hab ich nur den. Und wenn er mir meine Wünsche nicht erfüllt, dann haben wir ein Problem", sagt er. „Dann müssen wir zum Therapeuten, dann musst du zum Fitnessstudio, dann musst du, dann musst du, dann musst du. Wenn man polyamor lebt, dann wirft man nicht alle seine Wünsche auf einen."


Auch seine Ängste projiziert Atman heute nicht mehr auf seine Freundinnen. Wenn sie ihm von erfüllendem Sex mit anderen Männern erzählen, kann er sich für sie freuen. Mit Liebe, sagt er, sei das wie der bei der Zellteilung: Sie wird nicht weniger, sondern mehr, wenn man sie teilt. In sein altes, sein monogames Leben möchte Atman genauso wenig zurückkehren wie Konstantina und Christopher Gottwald. „Das ist so wie jemand, der eine Reise gemacht hat in ein anderes Land und verändert wiederkommt", erklärt er. „Der bleibt trotzdem der Mensch, der er ist, aber er sieht die Welt von da an mit anderen Augen."


Text: Larissa Krüger und Reiner Reitsamer



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