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Pyjamaparty für die "Techies"

Das sind die Menschen, die die Tonträger der Zukunft entwickeln: Auf der Berlin Music Week zeigten Programmierer und Techniker 24 Stunden lang Innovationen für die Musikwelt (Foto: Tobias Kaufmann CC)

"Hallo, mein Name ist Zsolt", sagt der junge Mann ins Mikrofon. "Ich möchte Online Web Services wie SoundCloud bei Ableton Live integrieren." Ein Mitarbeiter von SoundCloud jauchzt und applaudiert. Zsolt lächelt verlegen. "Wenn euch das interessiert, kommt nachher zu mir." Er reicht das Mikrofon weiter. Neben ihm stehen andere Menschen in einer Schlange und warten darauf, ihre Idee ebenfalls vorstellen zu dürfen.


Silvester hat drei modulare Synthesizer mitgebracht, die er mit dem Internet verbinden möchte. Oliver will Streaming-Plattformen entwickeln, bei denen die Künstler ihre eigenen Songs anmoderieren können. Vladimir hat weniger konkrete Vorstellungen. "Wenn hier jemand klassische Musik mag, lasst uns miteinander reden", sagt er. "Wir könnten zum Beispiel eine App für Notenblätter programmieren."


Der Music Hack Day der Berlin Music Week ist eine Spielwiese für junge Erfinder aus aller Welt. Über 200 Programmierer und Techniker ("Techies") - vor allem Männer in ihren mittleren Zwanzigern - sind gestern in den Axel Springer Plug & Play Accelerator in Berlin-Mitte gekommen, um neue Produkte für die Musikwelt zu entwickeln: Sie programmieren Apps, bauen Musikinstrumente oder basteln an Jeansjacken mit LED-Leuchten herum, die auf Beats reagieren. Solange es mit Musik zu tun hat, sind alle Ideen willkommen.


Es geht darum, Ideen aufzubrechen

"Es geht nicht darum, dass am Ende ein marktreifes Produkt herauskommt", erklärt Kurator Eric Eitel. "Das Stichwort heißt 'Disruption'. Das bedeutet, Ideen aufzubrechen, neue Aspekte in bestehende Formate zu bringen." Dafür stellen Unternehmen wie Universal, Spotify und Deezer Programmierschnittstellen zur Verfügung, die den Hackern als Basis für neue Software dienen sollen.


SoundCloud war eines der ersten Unternehmen, die erkannt haben, wie wertvoll die Innovationslust junger Techniker sein kann. "Es gibt viele verschiedene Applikationen, die man sich ausdenken könnte, aber wir haben einfach keine Zeit dafür", erklärt SoundCloud Developer Evangelist Erik Michaels-Ober. "Deswegen ist diese Veranstaltung eine gute Möglichkeit für uns, zu sehen, was sich die Leute so ausdenken. Wir wollen die Plattform für ihre Ideen schaffen."


Nur eine zeitliche Grenze wird den Entwicklern gesetzt: Ihre Projekte müssen binnen 24 Stunden fertig sein. Sollten jemandem während dieses Hack-Marathons die Augen zufallen, ist im sechsten Stock ein Zimmer mit Matratzen eingerichtet. Doch an Schlaf denkt hier ohnehin niemand, es herrscht eine Stimmung wie bei einer Pyjamaparty. Die meisten Entwickler wollen die Nacht durcharbeiten. "Es ist ein Wettbewerb. Da gibt es immer Zeitdruck", sagt Jan Bechler, der bei Axel Springer die Initiative Media Entrepreneurs leitet. "Aber der Anspruch ist ja nicht, dass am Ende ein fertiges Produkt herauskommt, sondern ein Prototyp."


Berlin ist der ideale Austragungsort

Das Konzept ist bewährt. Seit einiger Zeit werden mehrere Music Hack Days pro Jahr veranstaltet. 2014 gab es bereits Veranstaltungen in Tokyo, Cannes und Barcelona. Einer der ersten Music Hack Days wurde 2009 im Berliner Kulturzentrum Radialsystem abgehalten. Eric Eitel hält die Hauptstadt wegen ihrer lebhaften Start-up-Szene für den idealen Austragungsort: "Es ist kein Zufall, dass Firmen wie SoundCloud, Native Instruments oder Ableton aus Berlin kommen. Hier gibt es viele Techies einerseits und eine große Kreativ- und Musikszene andererseits."


Bei der Berlin Music Week treffen die beiden Welten nun aufeinander: Erstmals haben Musiker konkrete Wünsche für Innovationen an die Hacker gerichtet. Der House-DJ Henrik Schwarz sucht einen Computer, der sich unmittelbar als Musikinstrument einsetzen lässt, die englische Sängerin Emika bittet um die Entwicklung neuer elektronischer Drum Sounds, und der DJ Phon.o möchte bei seinen Auftritten über Visuals mit dem Publikum interagieren. "Ich interessiere mich nicht für Geld", entschuldigt sich Phon.o mit ironischem Unterton bei der Vorstellung seiner Idee. "Ich bin mehr an nützlichen Dingen interessiert."


Wenn man Gleichgesinnte trifft, entsteht etwas völlig Neues

Damit ist er hier nicht allein. Auch den Technikern geht es nicht um monetäre Anreize oder um die Preise, die sie für ihre Erfindungen gewinnen können. Für sie ist die Community wichtig, der Austausch mit anderen Entwicklern, die Lust am kreativen Prozess.


Murilo Polese ist für den Music Hack Day extra von Stockholm nach Berlin gereist. "Hier hat man Ressourcen, Zeit und Energie, um das zu entwickeln, was man immer schon umsetzen wollte", sagt der ursprünglich aus Brasilien stammende 25-Jährige. "Hier triffst du Gleichgesinnte. Man brainstormt und daraus entsteht etwas völlig Neues."


Auch Adam Szeptycki hat einen weiten Weg hinter sich. Er ist mit dem Auto aus Breslau gekommen - nicht zum ersten Mal in diesem Jahr: Bereits im März hat er beim Media Hack Day den Spiegel Award gewonnen. "Es geht nicht um Geld oder Preise", sagt der Softwareentwickler. "Man kann hier etwas lernen. Und es macht Spaß. Das ist der Hauptgrund."

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