Als das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in diesem Juni den Standort einer neu geplanten Fabrik für Batteriezellenforschung bekannt gab, waren Branchenexperten überrascht: Das Ministerium entschied sich für das Batterieforschungszentrum an der Universität Münster (MEET). Dabei hielten viele Fachleute das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Ulm für besser geeignet.
Bei der Entscheidung geht es um viel Geld: 500 Millionen Euro will die Bundesregierung in den Aufbau und Betrieb der "Forschungsfertigung Batteriezelle" stecken. Damit möchte sie der heimischen Industrie helfen, Fabriken für Batteriezellen aufzubauen.
Dass die Wahl auf Münster fiel, ist pikant. Der Wahlkreis von Ministerin Anja Karliczek (CDU) liegt in Ibbenbüren - das ist in unmittelbarer Nachbarschaft. Dort könnten durch das Forschungsprojekt 200 bis 300 neue Stellen entstehen. Die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen mutmaßten deshalb in einem Brief an Bundeskanzlerin Merkel, dass bei der Entscheidung nicht nur forschungs- und innovationspolitische Gesichtspunkte von Bedeutung gewesen seien.
Um Transparenz in die Angelegenheit zu bringen, hat Karliczek den Mitgliedern des Bundestagsausschusses für Bildung und Forschung kürzlich zahlreiche Dokumente für eine Standortentscheidung zur Verfügung gestellt. Das sollte Entlastung bringen - doch das Gegenteil ist der Fall: Die Papiere erhärten den Verdacht, dass das Auswahlverfahren nicht sauber lief.
Sie zeigen, dass die den Auswahlprozess begleitende Fraunhofer-Gesellschaft in einer ersten Analyse der Bewerbungen ein klares Votum für Ulm ausgesprochen hat. Dort heißt es: "In der Bewertung erhält der Standort das beste Ergebnis mit einer Zielerreichung von 86 Prozent." Über das Münsteraner Angebot schrieben die Wissenschaftler dagegen: "Die Bewerbung liegt mit 78 Prozent im Mittelfeld."
Auf Intervention des Bundesforschungsministeriums hat die Fraunhofer-Gesellschaft das Ranking aus dieser sogenannten Nutzwertanalyse jedoch wieder herausgenommen.
Das BMBF begründet dies damit, dass mit diesem Instrument ein aussagekräftiges Ranking gar nicht möglich sei. Es sei Aufgabe gewesen, die eingereichten Konzepte tabellarisch darzustellen - nicht jedoch, eine Bewertung vorzunehmen, erklärt Herbert Zeisel, der im Forschungsministerium für den Auswahlprozess verantwortlich war. Er verweist auf die hohe Sensitivität der Analyse: Ändere man einzelne Einträge in den Tabellen, habe das sofort Auswirkungen auf die Bewertung. Solche Änderungen sind seinen Angaben zufolge aber notwendig gewesen, weil die Bewerber ihre Angebote mit unterschiedlicher Detailtiefe abgegeben haben. Offen bleibt dabei allerdings, warum die Fraunhofer-Experten in der ersten Fassung dann überhaupt ein Ranking vorgenommen haben.
Empfänger der bereinigten Fassung war die Gründungskommission. Sie bestand aus acht Industrievertretern und wurde von je einem Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums und der Fraunhofer-Gesellschaft geleitet. Sie sollte bei der Standortwahl beraten.
Eine offizielle Empfehlung sprach die Gründungskommission aber nicht aus - dem BMBF zufolge wegen Interessenkonflikten der Mitglieder aus der Industrie. Die Kommission beschränkte sich darauf, die Eignung aller Standorte zu bescheinigen.
Die erste Fassung der Fraunhofer-Analyse ist jedoch nicht das einzige Dokument, das für Ulm spricht. So hat auch der Projektträger Jülich - eine weitgehend selbständige Einheit des Forschungszentrums Jülich, eine Auswertung vorgenommen, in der die Bewerbung aus Baden-Württemberg sehr gut abschneidet. Darin wird unter anderem vermerkt, dass das Forschungscluster im Südwesten - zu dem auch das Karlsruher Institut für Technologie gehört - bereits heute den international zweitgrößten wissenschaftlichen Output auf dem Gebiet der Batterieforschung habe.
Bei der Bewerbung aus Münster klingt das Urteil hier deutlich verhaltener: Die federführenden Institute seien "im Bereich der Batterieforschung etabliert und kompetent", schreiben die Autoren.
Diese Auswertung hat das BMBF selbst in Auftrag gegeben. Aus Ministeriumskreisen heißt es, dass dies geschehen sei, um die Informationsbasis für die Standortwahl zu verbreitern - für die Entscheidung spielte die Analyse aus Jülich dann allerdings keine Rolle.
In den Dokumenten aus dem BMBF findet sich zudem ein Gutachten zu den Gebäuden, die an den einzelnen Standorten für die Forschungsfertigung genutzt werden können oder die neu errichtet werden müssen. Erstellt hat es ein Experte der Fraunhofer-Gesellschaft. Auch diese Analyse fällt für Ulm sehr positiv aus: Dort könne die zukunftsgerichtete, integrale Struktur einer Forschungsfabrik "in nahezu idealer Weise erreicht werden." Ein Gebäude steht bereits zur Verfügung. Zu Münster heißt es, dass ein vorgesehener Neubau optimale Bedingungen bieten kann. Bis dieser steht, muss jedoch eine Übergangslösung genutzt werden, was Einschränkungen mit sich bringt.
Ministerin nicht an der Entscheidung beteiligt
Aus den Dokumenten geht allerdings nicht hervor, dass Ministerin Karliczek persönlich in die Standortwahl eingegriffen hat. Sie hatte erklärt, dass sie sich wegen der Nähe Münsters zu ihrem Wahlkreis befangen fühle. Die Entscheidung übernahm daher die zuständige Fachabteilung in Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium und der Fraunhofer-Gesellschaft.
Das BMBF rechtfertigt die Wahl Münsters damit, dass die Bewerbungen gleichrangig gewesen seien. Daher hat es Kriterien wie die Kompetenz der führenden Köpfe in den einzelnen Forschungseinrichtungen, die volkswirtschaftliche Bedeutung und das ökologische Konzept stärker gewichtet. Hier hat MEET nach Einschätzung des Ministeriums die Nase vorn gehabt.
Experten dürften das immer noch anders sehen. Der Vorwurf, dass bei der Vergabe nicht objektiv entschieden wurde, erhärtet sich nach Beurteilung der Dokumente eher noch - die Prozesse von Karliczeks Ministerium bleiben undurchsichtig. Auch wenn sie selbst nicht direkt an der Entscheidung für Münster beteiligt war, trägt sie als Ministerin die Verantwortung. Zudem hatte sie nicht transparent gemacht, dass externe Fachleute andere Empfehlungen gegeben hatten.
"Das Verfahren hat gehörig zur Skepsis der Bürger gegenüber intransparentem Regierungshandeln beigetragen", kritisiert Alexander Kulitz, FDP-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Ulm. Nach Ansicht von Anna Christmann, Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Stuttgart, ist der Auswahlprozess vollständig aus dem Ruder gelaufen. "Das Ministerium hat sich entgegen der Einschätzung von Fraunhofer und weiteren Mitgliedern der Gründungskommission für den Standort Münster entschieden, ohne dafür plausible Sachgründe vorweisen zu können", erklärt sie.
Ausgestanden ist die Sache für Karliczek noch nicht. Demnächst dürfte das Thema im Forschungsausschusses des Bundestags erneut diskutiert werden.