Im Ofen backt ein Kuchen, auf dem Herd kocht Kakao, der Wäschetrockner läuft - vier, fünf Kilowatt Leistung kommen schnell zusammen, wenn die Stromfresser im Haushalt zur gleichen Zeit in Betrieb sind.
Doch die sind nichts gegen eine Elektroauto-Ladestation in der Garage: Je nach Modell ziehen die Anlagen bis zu 22 Kilowatt aus dem Netz. Auf solche Lasten sind die örtlichen Stromnetze meist nicht ausgelegt.
Wenn, wie die Bundesregierung anstrebt, in Zukunft aber immer mehr Menschen auf Elektroautos umsteigen und daheim Ladestationen installieren, könnten viele Niederspannungsnetze in den Ortschaften an die Grenze ihrer Kapazität geraten - dann nämlich, wenn die Fahrzeuge dort zur gleichen Zeit, etwa nach Feierabend, mit hoher Leistung laden.
Punktuelle Engpässe schon in fünf bis zehn Jahren möglich
Ab wie vielen Elektroautos auf deutschen Straßen Engpässe in den Netzen drohen, lässt sich allerdings nicht pauschal sagen, sagt Netzexperte Bernhard Ernst vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE). "Das hängt unter anderem davon ab, wie viele Autos in den einzelnen Netzen parallel laden. Und von deren Zustand - manche sind gut ausgebaut, andere weniger", erklärt Ernst.
Mancherorts wird es einer Studie der Unternehmensberatung Oliver Wyman und der TU München zufolge bereits in fünf bis zehn Jahren eng, wenn nichts unternommen wird. Das gilt etwa für Leitungen im Speckgürtel der Großstädte, wo viele umweltbewusste Gutverdiener leben - typische Käufer von Elektroautos.
Intelligentes Laden spart Ausbaukosten
Was tun? Die Netzbetreiber können die Situation entschärfen, indem sie zusätzliche Leitungen verlegen und neue Transformatoren installieren. Bis zu elf Milliarden Euro müssten laut der Oliver-Wyman-Studie investiert werden, um die Strominfrastruktur für eine Elektroauto-Quote von fünfzig Prozent zu rüsten.
Doch es gibt noch einen weiteren, kostengünstigeren Hebel: "Wenn die Netzsituation im Lademanagement berücksichtigt wird, können die Netzausbaukosten deutlich sinken", sagt Fraunhofer-Forscher Ernst. Dazu müssen die Ladevorgänge automatisch an die Auslastung der Netze angepasst werden. Wie sich das bewerkstelligen lässt, erprobt die EnBW-Tochter Netze BW - die für die Verteilnetze in weiten Teilen Baden-Württembergs verantwortlich ist - derzeit in Ostfildern bei Stuttgart.
Strategien zur Steuerung der Ladevorgänge
Dort hat das Unternehmen zehn Einfamilienhäuser mit Ladestationen ausgestattet und den Bewohnern Elektroautos zur Verfügung gestellt. Netze BW testet hier mehrere Ladestrategien. So können die Teilnehmer zum Beispiel über eine App angeben, bis wann die Akkus voll sein sollen. Das Unternehmen erstellt dann für alle Autos einen Ladefahrplan, der die Netze möglichst wenig belastet.
Eine andere Strategie: Die Ladeleistung wird automatisch gesenkt, sobald in den Leitungen Spannungsabfälle auftreten. Das passiert, wenn zu viele Autos zur gleichen Zeit am Netz hängen. Zudem hat Netze BW stationäre Batteriespeicher installiert, die tagsüber geladen werden. Wenn abends mehrere Fahrzeuge gleichzeitig mit leerem Akku zu ihren Auftankstationen kommen, speisen sie den Strom in die lokale Leitung zurück.
"Unser Pilotprojekt zeigt, dass sich Lademanagement und Speicher gut eignen, um die Netze zu entlasten", zieht Projektleiterin Selma Lossau eine erste Bilanz.
Doch ganz ohne Ausbau der Infrastruktur wird es nicht gehen, sagt die Expertin. Denn manche heute schon gut ausgelastete Netze kämen an die Grenze ihrer Kapazität, wenn dort nur drei Elektroautos zur gleichen Zeit mit 22 Kilowatt laden. "Gesteuertes Laden und Speicher reichen da nicht aus, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten", erklärt Lossau. Insgesamt 500 Millionen Euro will das Unternehmen bis 2025 investieren, um seine Netze auf die Elektromobilität vorzubereiten.
"Elektrofahrzeuge sind kein Problem, sondern eine Lösung"
Elektroautos - eine Bürde für die Netze? Diese Haltung geht Marcus Fendt, Geschäftsführer des Münchner Elektromobilitäts-Dienstleisters The Mobility House, mächtig gegen den Strich. "Elektrofahrzeuge sind für die Netze kein Problem, sondern eine Lösung", ist Fendt überzeugt.
So will das Unternehmen jetzt zusammen mit dem Netzbetreiber Tennet in einem Pilotprojekt zeigen, dass Elektroautos helfen können, Engpässe im Übertragungsnetz - die Stromautobahnen, die Energie von Nord nach Süd transportieren - zu beseitigen: Wird im Norden mehr Windstrom erzeugt als die Leitungen aufnehmen können, werden dort Fahrzeuge geladen. Gleichzeitig speisen Elektroautos in Süddeutschland Strom ins Netz. "Auf diese Weise entsteht eine virtuelle Stromleitung", sagt Fendt.
Ebenso könnten die Netzbetreiber Fahrzeugbatterien nutzen, um Frequenzschwankungen auszugleichen. Sie entstehen, wenn Stromerzeugung und -verbrauch nicht exakt im Gleichgewicht sind. Wenn nun Elektroautos in solchen Situationen Strom laden oder abgeben, tragen sie dazu bei, die Versorgung zu stabilisieren. Dass dies funktioniert, hat The Mobility House zusammen mit den Netzbetreibern Amprion und Enervie sowie Nissan demonstriert.
"Die Energiebranche ist sich noch kaum bewusst, welche Chancen die Batterien der Elektrofahrzeuge bieten", sagt Fendt. "Mich erinnert das an die Zeit, in der Apple sein iPhone auf den Markt brachte - damals konnte sich auch niemand vorstellen, was dank der Apps damit einmal möglich sein wird."
Zusammengefasst: Je nach Modell ziehen Ladesäulen für E-Autos bis zu 22 Kilowatt aus dem Netz - ein Vielfaches üblicher Haushaltsgeräte. Für diese Leistungen sind Netze nicht richtig ausgelegt. Bei immer mehr Elektroautos könnten schon in fünf Jahren in bestimmten Regionen Engpässe entstehen. Ein Ausbau der Niederspannungsnetze ist zwar möglich, aber teuer. Forscher arbeiten daher jetzt an alternativen Ansätzen: Sie wollen das Laden in Abhängigkeit von der Belastung des Netzes intelligent steuern. Eine weitere Idee sieht vor, parkende E-Autos sogar zur Entlastung des Netzes zu verwenden, indem diese beispielsweise Strom zur rechten Zeit wieder abgeben.