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Anpassung an Klimafolgen: Wie hessische Städte zu Schwämmen werden wollen

Städte müssen wegen des Klimawandels immer häufiger mit Wetterextremen wie Hitze oder Starkregen umgehen. Eine Lösung: Oberflächen, die Wasser aufnehmen, speichern und auch wieder abgeben können - wie ein Schwamm. Doch mit der Umsetzung solcher Schwammstadt-Konzepte hinken Hessens Kommunen hinterher.


Lutz Weilers Job ist es eigentlich, Flächen zu versiegeln. Seit etwa 30 Jahren entwickelt der Tief- und Straßenbau-Unternehmer aus Offenbach Asphalt für verschiedene Zwecke, baut Straßen und Plätze und trägt dazu bei, dass Grün dem Grau weicht.

Versiegelte Flächen, Straßen, Beton, zugepflasterte Flächen, Autobahnen, dicht an dicht gebaute Häuser: Vor etwa zwei Jahren habe Weiler sich dann gesagt, dass es so angesichts überhitzter Städte durch den Klimawandel nicht weitergehen könne. "Einfach alle Städte abreißen? Geht auch nicht." Seine neue Lösung lautet nun: versickern statt versiegeln.

2019 hat Weiler ein Patent auf "Klimaphalt" angemeldet: Mehrere Asphaltschichten aus kleinen Steinchen und Bindemittel lassen das Wasser vollständig durch und halten es damit in seinem natürlichen Wasserkreislauf.

Statt über die Kanalisation weggespült zu werden, speichert der Boden das Regenwasser. Bei Hitze verdunstet es wieder und kühlt dabei die Umgebung ab. Das Prinzip macht sich auch die Stadtplanung zunutze, um Städte an die Folgen des Klimawandels anzupassen.

"Wir werden Schwammstadt!", heißt es in einer Pressemitteilung der Grünen der Stadt Offenbach im November. Auch Darmstadt, Marburg und Frankfurt erklären auf Anfrage, dass sie Schwammstadt-Maßnahmen in vielen Bereichen verfolgen.


Konzept gegen heiße Städte und Starkregen

Was das bedeutet, kann Anna-Christine Sander vom Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) erklären. "Bei Starkregen soll die Stadt in der Lage sein, Wassermassen aufzunehmen und zu speichern", sagt sie. "Bei Hitze soll dann wieder Wasser zur Verfügung stehen, dass verdunsten kann und so die Stadt abkühlt." Wie ein Schwamm, der viel Wasser aufsaugen kann und sich später wieder auswringen lässt.

"Aus ökologischer Sicht ist diese Anpassung auf jeden Fall ein notwendiger Schritt", sagt Sander. Denn durch den Klimawandel werde es immer öfter zu wenig oder zu viel Wasser geben.


Bauvorhaben, Satzungen und Masterpläne

Davon ist auch die Bürgermeisterin der Stadt Offenbach, Sabine Groß (Grüne), überzeugt: "Nur wenn wir es schaffen, unsere Stadt zu einer Schwammstadt zu verwandeln, können wir den Gefahren durch den Klimawandel etwas entgegensetzen." Im November beschloss das Offenbacher Stadtparlament deshalb eine neue Entsiegelungsrichtlinie, der Beschluss einer Niederschlagswassersatzung ist außerdem geplant.

Wer in Offenbach private zugepflasterte oder asphaltierte Flächen wieder entsiegelt und zum Beispiel begrünt, kann dafür nun Zuschüsse beantragen. Niederschläge auf neu gebauten Dachflächen sollen künftig nur noch dezentral aufgefangen werden: entweder durch begrünte Dächer, durch Zisternen oder durch Regenrückhaltebecken - aber unbedingt abgekoppelt von der städtischen Kanalisation.


Kommunen zu zögerlich

Ähnliche Bausteine des Schwammstadt-Konzepts verfolgen auch Frankfurt, Marburg und Darmstadt. Die Städte arbeiten an verschiedenen Satzungen, Masterplänen und Bauvorhaben. Das alles ist bisher jedoch viel mehr auf dem Papier als wirklich schwammgewordene Stadt.

"In Hessen stehen wir bei diesem Kapitel echt noch am Anfang", sagt Anna-Christine Sander vom HLNUG mit Blick auf andere Städte wie Berlin oder Hamburg, die schon wesentlich weiter seinen.


"Oft muss es erst sichtbare Probleme geben, damit gehandelt wird", sagt sie. Auch in Frankfurt und habe es bereits Kapazitätsprobleme der Kanalisation südlich des Mains gegeben. So erklärt sich Sander, dass die beiden Städte im hessischen Vergleich schon recht weit mit der Anpassung an Hitze und Starkregen seien.

Insgesamt seien hessische Kommunen jedoch zögerlich mit Schwammstadt-Umsetzung. Einen Grund sieht sie auch darin, dass es "planerisch und rechtlich anspruchsvoll" sei, die Maßnahmen auf schon bestehende Häuser, Straßen und Plätze anzuwenden. Sander spricht von eingefahrenen Strukturen, strikten Gesetzen und überlappenden Zuständigkeiten.


Hauptsache bauen, benutzen egal?

Probleme, die Florian Weber vom Hessischen Städte- und Gemeindebund kennt. Der Jurist berät Kommunen unter anderem zu Fragen im Umwelt- und Baurecht. Fragen nach Umsetzungen der Schwammstadt-Maßnahmen seien häufiger geworden, berichtet er, auch von kleineren, kreisangehörigen Gemeinden. Die Gemeinden machen die Satzungen, ob diese dann aber eingehalten werden, müsse jedoch der jeweilige Kreisausschuss überwachen. So komme es regelmäßig zu "Reibungsverlusten", sagt Weber.

Ein weiteres, "aberwitziges" Problem liegt aus Webers Sicht im hessischen Wassergesetz. Das Landesgesetz ermächtigt Gemeinden, eigene Satzungen zu erlassen, die beispielsweise den Bau von Zisternen vorschreiben. Die Satzungen dürfen aber nicht vorschreiben, wie diese Zisternen dann verwendet werden. "So kann es sein, dass sich jemand eine kleine Zisterne in den Garten baut, die dann aber gar nicht benutzt", sagt Weber.


Jahre zwischen Erlass und Umsetzung

Ein grundsätzliches Problem bei allen Bestrebungen der Kommunen: Die öffentliche Hand hat grundsätzlich erstmal nur Zugriff auf öffentliche Flächen. Bebauungspläne können zwar vorschreiben, wie private Flächen zu gestalten sind - aber nie rückwirkend. "Wo aber einmal legal ein Schottergarten errichtet wurde, kann der bis in alle Ewigkeit bleiben", erklärt Weber, "auch wenn ein neues Gesetz Schottergärten verbietet." Zwischen dem Erlass von Bebauungsplänen und deren Umsetzung liegen somit oft Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.

Nicht erst in Jahren oder Jahrzehnten, sondern schon jetzt sind die Folgen des Klimawandels auch in Hessen "gravierend", wie Anna-Christine Sander vom HLNUG sagt. Der Grundwasserspiegel sei nach der Trockenheit in den Jahren 2017, 2018 und 2019 immer weiter gesunken. "Unter Hitze wird künftig jede Stadt leiden", so die Prognose der Klimaexpertin.


Schwammstadt-Maßnahmen wie der "Klimaphalt" von Lutz Weiler können die Temperaturen zumindest örtlich etwas herunterkühlen. Weiler hat nach einer Teststrecke in Offenbach in diesem Frühjahr auch die erste Fläche mit wasserdurchlässigem Asphalt an einen Kunden in Dietzenbach (Offenbach) verkauft. Sein Fazit: "Das hält, trotz hoher Belastung durch Lkw und Gabelstapler."


Mit seiner Erfindung könne man 80 bis 90 Prozent der asphaltierten Flächen in Deutschland wasserdurchlässig machen, sagt er. "Bis das gebaut ist, bin ich lange nicht mehr auf der Erde." Dann könnten andere weitermachen. Interessierte Nachfragen bekomme er zu seinen Produkten jedenfalls immer mehr.

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