Ein großer düsterer Sumpf breitet sich über Deutschland aus - das könnte man denken, wenn schon Experten von Depressionsepidemien sprechen. Da entsteht der Eindruck immer mehr Menschen hätten psychische Krankheiten. Und jetzt auch noch die Kinder.
Heute ist ein Bericht der Krankenkasse DAK erschienen, der sagt: Jedes vierte Schulkind über zehn Jahren in Deutschland hat psychische Probleme. Bei mehr als vier Prozent der Kinder und Jugendlichen wurde eine Depression oder Angststörung festgestellt.
(dpa/Patrick Pleul) Depression: Diagnose bei kleineren Kindern "oft gar nicht möglich" Wenn Eltern Depression haben, hätten Kinder ein zwei- bis dreifach höheres Risiko, selbst zu erkranken, sagte Ulrich Hegerl von der Deutschen Depressionshilfe im Dlf. Eine schnelle Behandlung sei wichtig, erst ab dem Jugendlichen-Alter sei eine Diagnose jedoch gut möglich. Zudem fehlten Fachärzte.
Das schmerzt. Denn es scheint als hätte die Gesellschaft das Wohl der Kleinen aus den Augen verloren. Als ob im Zeitalter des Online-Mobbings und der Leistungsgesellschaft die Kinder im dunklen Sumpf versinken.
Keine monokausalen ErklärungenLeistungsdruck in der Schule, Eltern, die in Vollzeit arbeiten und zu gehetzt sind, um ihren Kindern genug Aufmerksamkeit zu schenken. Solche Faktoren spielen bei psychischen Störungen von Kindern sicherlich eine Rolle. Genau wie Drogensucht, körperliche Krankheiten, soziale Medien und genetische Faktoren. Aber, auch wenn die Versuchung groß ist, sich eine dieser Gründe herauszupicken: Psychische Krankheiten wie Depressionen lassen sich nie monokausal erklären. Die Zahlen machen aber deutlich, dass psychische Probleme schon jetzt ein größeres Thema in unserer Gesellschaft sind.
Der Bericht sagt nämlich auch, dass mehr Kinder wegen Depressionen in eine Klinik eingewiesen werden als früher. Das könnte man auch so lesen, dass Eltern und Lehrer*innen reagieren, wenn sie Anzeichen an einem Kind wahrnehmen.
Diesen Effekt diskutieren Epidemiologen schon länger: Ein größeres Bewusstsein führt dazu, dass mehr Menschen Probleme erkennen und behandeln lassen. So werden mehr psychische Krankheiten diagnostiziert, die früher unerkannt blieben. "Mental Health Literacy" nennt sich das. Wir werden langsam von Analphabeten zu Alphabeten - was psychische Störungen angeht.
Depressionen sind keine SchwächeLangsam. Denn die psychische Versorgung im Gesundheitssystem muss noch ausgebaut werden. Mehr Prävention in der Schule, mehr psychologische Nachsorge nach dem Krankenhausaufenthalt. Und mehr Fachärzte, mehr Psychotherapeuten, auch auf dem Land.
Grund für Panik gibt es allerdings nicht. Selbst wenn wirklich zwei Prozent der Schulkinder an Depressionen leiden: Psychische Krankheiten gehen vorbei, können vorbei gehen, wenn sie behandelt werden. Die meisten halten nicht ewig an.
Wir sollten sie ernst nehmen, besonders bei Kindern. Depressionen sind keine Schwäche. Es gibt aber keinen düsteren Sumpf in Deutschland. Und die Angst davor trägt sicher auch nicht dazu bei, dass wir besonnener mit psychischen Krankheiten umgehen.