Als ich zum ersten Mal davon hörte, dass Better Call Saul eine eigene Serie werden sollte, war ich von der Idee direkt fasziniert. Das Konzept ist eigentlich ein No-Brainer, doch vor allem fand ich interessant, dass in diesen ersten Ankündigungen davon die Rede war, aus diesem Spin-Off zu Breaking Bad eine Comedy zu machen. In meinem Kopf hatte ich gar die Vision einer klassischen Multi-Camera Sitcom, so mit Studiopublikum, Live-Gelächter und allem drum und dran. Sauls Büro wäre quasi das "Hauptset" und jede Woche dürfte sich Saul dann mit den witzigen Problemen seiner kleinkriminellen Kundschaft herumplagen, begleitet von einer liebenswerten Sitcom-Darstellerriege im Hintergrund. Ich weiß nicht genau warum, aber irgendwie gefiel mir die Idee. Allein schon unter dem Aspekt, dass ich gespannt war, ob man einen Charakter aus einer wertigen Dramaserie in ein anderes Genre transferieren könnte und ob so ein Genre-Stilwechsel überhaupt funktionieren kann.
Mittlerweile ist Better Call Saul angelaufen und es ist klar - aus dieser Vision ist nichts geworden. Better Call Saul ist kein Sprung in ein anderes TV-Metier, der Sprung ins neue, erstmal kalte Wasser geworden. Es ist eher das angenehme Hineingleiten in ein perfekt temperiertes Wohlfühlbad, welches die letzten eineinhalb Jahre auf Sparflamme warmgehalten wurde.
Zum Start von Better Call Saul ist zunächst die Beobachtung zu machen, wie frappierend ähnlich sich der Auftakt dieses Spin-Offs und der Pilot von Breaking Bad sind. Ja nahezu deckungsgleich läuft das ab, abgesehen von dem "Prequel-Faktor": So wie damals den unglückseligen Walt treffen wir Zuschauer auch Saul, der allerdings bisher Jimmy heißt, in einer misslichen Lage. Seine Karriere als Anwalt läuft denkbar schlecht, als Pflichtverteidiger bleiben ihm nur die Brotkrumen im Justiz-Business. Den finanziellen Druck im Nacken brennend, lässt sich Jimmy auf eine krumme Nummer ein und löst damit eine Verkettung von Ereignissen aus, durch die er sich am Ende der ersten Folge in einer äußerst brenzligen Lage wiederfindet, welche seine bisherigen Problem wie Kinderspiel erscheinen lässt. Eine Situation, durch die er sich nur mit seinem besonderen Talent und einem Quäntchen Glück geradeso wieder herauswinden kann. Ersetzt "Pflichtverteidiger" durch "Chemielehrer" und "Jimmy" durch "Walt" und schon hat man im Grunde den Plot der ersten Folge von Breaking Bad. Als dann in den darauffolgenden Folgen der Plot langsam ins Rollen kommt, fühlt sich der alteingesessene BB-Fan gleich zurecht. Und auch in der Präsentation ist alles so, wie man es gerne hätte.
Um es kurz zu machen: Es gibt derzeit kein Team, das Fernsehen so spannend und interessant gestalten kann, wie der Rennstall rund um Vince Gilligan. Der Meister führt bei der ersten Folge von Better Call Saul selbst Regie und zieht direkt sämtliche Register, um diese Stunde Fernsehen so großartig zu gestalten, wie nur möglich. Was hier allein auf einem inszenatorischen Level aufgefahren wird, ist eine einzige Wonne. Gilligan ist ein ungeheuer selbstsicherer Filmemacher, der genug Vertrauen in sein Material hat, um Szenen gerade mit der richtigen visuellen Finesse anzureichern, so dass die Narrative dadurch gestärkt, aber nie überschattet wird. Besonders Weitwinkelaufnahmen haben es ihm angetan, was aus Breaking Bad bekannt ist, aber auch der perfekte Einsatz von Close-Ups oder langen, perfekt choreographierten Einstellungen begeistern den TV-Konsumenten mit Anspruch. Alleine die Sequenz, in der Jimmy seinen Frust an einem blechernen Mülleimer auslässt, nur um dann raus in die Nacht zu treten und von seiner Kollegin die Zigarette "auszuleihen", ist so wunderbar durchkomponiert, da will man wirklich ausrufen: "Warum kann Fernsehen nicht immer so großartig aussehen?"
In Folge 2 übernimmt Michelle MacLaren den Regiestuhl, die wieder einmal ihren Ruf als einer der besten TV-Regisseure im Business unter Beweis stellt. Auch in der zweiten Episode finden sich wieder großartige visuelle Momente, unter anderem eine Montage, in der Jimmy McGill als ehrlicher Strafverteidiger, den krummen Geschäften vermeintlich abgeschworen, bei seiner Schwerstarbeit vor Gericht gezeigt wird. Erstklassige Montagen waren ja auch schon bei Breaking Bad eine feste Größe und zählen meines Erachtens sogar zu den besten Momenten der Serie. Schön, dass man sich bei Better Call Saul auf ähnliches freuen darf. Immer mal wieder ist das Geschehen mit interessanten Momenten gewürzt, mein persönliches Highlight war mit Sicherheit die Network-Szene, in der Jimmy aus Sidney Lumets oscargekrönten Meisterwerk von 1976 zitiert, genauer gesagt aus der "Money Speech"-Szene mit Ned Beatty. Für mich ohnehin der größte Monolog der Filmgeschichte. Und natürlich ist Jimmy McGill in der Szene auch genauso platziert, wie damals der krakelende Kapitalistengott Arthur Jensen - 1000 Punkte dafür!
Aber es ist nicht nur die Optik, auch das Drehbuch ist hier auf hohem Niveau ausgefuchst und Gilligan und sein Skriptpartner Peter Gould behalten ihren altbekannten Erzählstil bei, immer gerade das nötige in einer Szene zu verraten, damit der Zuschauer seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen kann. Man muss hier schon am Ball bleiben, wenn man alle Details mitbekommen möchte. Vieles funktioniert über Andeutungen oder wird nur vage oder indirekt ausgesprochen und hebt sich damit herrlich von dem handelsüblichen TV-Expositionsblabla ab, das man leider immer noch zu oft im Fernsehen findet. Auch diverse Zeitsprünge werden eingebaut, wie etwa eine kurze Eröffnungsszene, die offensichtlich nach den Ereignissen aus BB spielt, bevor die Serie wieder zurück in eine Zeit einige Jahre vor den Ereignissen aus dem Meth-Epos springt.
Dabei ist übrigens interessant zu sehen, wie wandlungsfähig Bob Odenkirk optisch als Darsteller ist. Er ist Anfang 50, aber zwischen 30 und 70 kann man ihm eigentlich jedes Alter glaubwürdig anschminken. Es ist ohnehin wunderbar zu sehen, wie der alte Haudegen jetzt seinen Moment im Rampenlicht bekommt, schließlich ist Odenkirk schon seit Jahrzehnten im Showgeschäft. Dabei war er bisher stets der verlässliche Teamplayer bei u.a. Saturday Night Live, der Ben Stiller Show, Larry Sanders, Entourage, How I Met Your Mother oder erst kürzlich in FX's brilliantem Fargo, dazu unzählige Gastauftritte und Nebenrollen in jeder erdenklichen TV-Show. Den charismatischen Schmierlappen Saul Jimmy McGill Goodman zieht sich Odenkirk hier an wie einen eingelaufenen Schuh und schafft es dennoch, dem Zuschauer eine neue Seite der Figur zu präsentieren. Denn noch ist Jimmy nicht Saul. Und da es in der Natur der Sache eines Prequel liegt, ist bei Better Call Saul ja ohnehin der Weg das Ziel - was schon endlich mal einen fundamentalen Unterschied zu Breaking Bad ausmacht. Auch die Riege an Nebenfiguren verspricht interessantes, besonders Michael McKean als Jimmys älterer Bruder mit exzentrischer Psychose. Und natürlich ist es großartig, alte Bekannte in Form von Raymond Cruz als Tuco Salamanca und Jonathan Banks als Mike Ehrmantraut wiederzusehen. Wobei ich hier sagen muss, dass sich der Gag um den sturen Parkplatzwächter Mike und seine Zero-Tolerance Politik gegenüber unzureichender Parkscheinbezahlung bereits in Folge 3 abgenutzt hat. Ich hoffe die Serie lässt sich in Zukunft etwas clevereres einfallen, um Mike in das Geschehen einzubinden.
Fazit: Better Call Netflix!
Für die Zukunft von Better Call Saul würde ich mir wünschen, dass sich die Serie mehr auf in sich abgeschlossene Geschichten konzentriert, anstatt sich an einer großen staffelübergreifenden Handlung abzuarbeiten. Ich würde viel lieber die hundert kleinen Crime-Storys miterleben, die aus dem findigen Jimmy McGill den Justiz-Ganoven Saul Goodman gemacht haben, als diesen Werdegang in einer epischen Saga präsentiert zu bekommen. Das passt besser zu dieser Figur, besser zu dem witzigeren Ton der Serie und es ist außerdem eine Möglichkeit, sich von dem schweren Breaking Bad-Erbe etwas abzusetzen. Auch wenn der Auftakt von Better Call Saul ernsthafter war, als viele, unter anderem auch ich, erwartet hatten: Ich hoffe in dieser Serie bleibt deutlich mehr Raum für Humor, als bei BB. Nach drei Episoden habe ich auf alle Fälle große Lust auf mehr und wenn Better Call Saul weiterhin so konsequent auf Qualität setzt, könnte es dem Spin-Off Fluch, dem leider viele Ableger erliegen (I'm looking at you, „Joey"!) entkommen. Insgesamt bleibt aber nur zu konstatieren: Großartig, weitermachen, bitte! Da lohnt sich so ein 8€-Abo für einen Monat Netflix ja im Grunde schon alleine hierfür.
Erwähnens- und lobenswert ist in dem Zusammenhang zuletzt noch der ausgezeichnete Vertriebs-Deal, den man für die Serie gefunden hat. Montag abend läuft die aktuelle Episode im amerikanischen TV bei AMC, bereits ab Dienstag ist die Folge dann synchronisiert oder im Originalton im deutschen Netflix verfügbar - so muss das. Sollte diese Vertriebsstrategie konsequent weiter verfolgt werden, könnte Netflix seinem Ruf als VOD-Vorreiter weiter gerecht werden und aus der grauen Anbieter-Masse herausragen. Für Serienvergnügen auf dem Niveau lohnt sich auch ein Abo alleine dafür bereits meines Erachtens. Ich habe jetzt allein zum Serienstart von Better Call Saul meines wieder reaktiviert und Netflix: Solltet ihr das bei kommenden Staffeln von Fargo, Penny Dreadful, The Americans oder Orphan Black ebenfalls hinbekommen, wäre auch zumindest meine Abo-Kohle auf lange Frist sicher!