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Räumungsaktion


Räumungsaktion

Nach dem Aus für den Mietendeckel droht Berlin ein Rollback in der Wohnungspolitik. Von Philipp Möller

 
Aus Konkret 06/2021

„Ein Segen für die Stadt, eine Befreiung vom Phlegma, das ihr auferlegt wurde“, kommentierte der Journalist Sebastian Engelbrecht im Deutschlandfunk die Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, den Mietendeckel für nichtig zu erklären. Der gesetzliche Mietenstopp, die Mietobergrenzen bei Neuvermietung und die Absenkung überhöhter Mieten als Bestandsteile des Gesetzes verlieren damit rückwirkend ihre Geltung. „Der Mietendeckel war ein Rückschritt in dieser dynamischen Entwicklung der Stadt“, führte Engelbrecht weiter aus.

 

Die „dynamische Entwicklung“ hat die Angebotsmieten in Berlin in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. An jeder freien Ecke in der Stadt entstehen Luxuswohnungen, während viele Wohnungssuchende mit kleinem Geldbeutel keine Bleibe mehr finden. Der Mietendeckel sollte dieser Entwicklung etwas entgegensetzen. Er entkoppelte Mietpreis und Marktgeschehen, ließ die Angebotsmieten seit seiner Einführung um drei Prozentpunkte sinken und sollte das Mietniveau durch die Absenkungsmöglichkeit auf ein „sozialverträgliches“ Maß zurückführen. Von Beginn an war das Unterfangen scharfen Angriffen und mehreren Verfassungsklagen ausgesetzt - die Normenkontrollklage von CDU und FDP hat schließlich zum Erfolg geführt. Laut Urteil des Bundesverfassungsgericht, dass das konkrete Gesetz nicht bewertete, besitzen die Länder keine Gesetzgebungskompetenz bei der Mietpreisregulierung.

 

Die Entscheidung birgt sozialen Sprengstoff und droht eine neue Verdrängungswelle auszulösen. Laut Schätzung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen haben 40.000 Haushalte den Differenzbetrag zwischen gedeckelter Miete und Marktmiete nicht zurückgelegt. Mit dem Wegfall der Mietobergrenzen für Neuvermietungen lastet nun ein massiver Druck auf älteren Mietverträgen mit vergleichsweise günstigen Mieten. Die durch den Beschluss nun rückwirkend entstehenden Mietschulden bieten vielen Vermietern einen willkommenen Anlass unliebsame Altmieter loszuwerden. Nicht wenige Berliner/innen hatten bereits wenige Stunden nach der Urteilsverkündung E-Mails mit Rückforderungen seitens ihrer Vermieter im Postfach. Mit einem eilig aufgelegten Hilfefallfonds versucht der Senat zwar säumige Mieter mit öffentlichen Darlehen und Zuschüssen zu unterstützen, aber diese Hilfen dürften gerade bei denen, die dringend auf staatlichen Gelder angewiesen sind, nicht ankommen.

 

Rückkehr zum Normalvollzug

Politisch ist das Urteil ein herber Rückschlag für all jene, die sich spürbare Verbesserungen in der Wohnungspolitik durch rot-rot-grüne Regierungsprojekte auf Länderebene versprechen. „Das Mietendeckel-Urteil schafft die dringend benötigte Rechtsklarheit und ist eine gute Nachricht für die gesamte Immobilienwirtschaft – für Investoren, Projektentwickler und Finanzierer, für Vermieter – und auch für die Mieter. Es lässt vor allem den Berliner Immobilienmarkt aufatmen, hat zugleich aber auch Signalwirkung für den gesamtdeutschen Immobilienmarkt“, feierte Jens Tolckmitt, Hauptgeschäftsführer des Verbands deutscher Pfandbriefbanken VDP, die Rückkehr zum kapitalistischen Normalvollzug auf dem Berliner Wohnungsmarkt.

 

Die Befürchtungen des Immobilienkapitals, andere Bundesländer könnten es Berlin gleichtun und ihre Wohnungsmärkte mit eigenen Gesetzen regulieren, haben sich als unbegründet erwiesen. Stattdessen herrscht Aufbruchstimmung: „Wir erwarten mit Abstand die größten Preissteigerungen in Berlin“, verkündete Axel Schmidt vom Immobilienportal Immoscout24 mit Blick auf die kommenden Monate. Auf den Immobilienportalen tauchten bereits kurz nach dem Urteil viele Wohnungsangebote zu horrenden Mieten auf. Nach der Einführung des Mietendeckels war das Wohnungsangebot um mehr als ein Drittel eingebrochen, was von der Immobilienlobby als Argument gegen staatliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt ins Feld geführt wurde. Dieser Vermieterstreik war jedoch vor allem ein Beweis für die Unfähigkeit des Marktes, bedarfsgerechten Wohnraum bereitzustellen.

 

Bei aller Anerkennung für den politischen Vorstoß zum Mieterschutz sollte nicht vergessen werden, dass der rot-rot-grüne Senat bis auf den Mietendeckel wenig gegen steigende Mieten und Wohnungsknappheit getan hat. Zwar verbesserte die Berliner Landesregierung den Schutz des Wohnungsbestandes durch die Ausweitung von Milieuschutzgebieten und den vermehrten Einsatz von Vorkaufsrechten in den Bezirken. Doch diese Instrumente sind kaum in der Lage, dem nach Anlagemöglichkeiten auf dem Berliner Wohnungsmarkt suchenden Kapital Grenzen zu setzen.

 

Unzureichend sind auch die Antworten des Senats auf die große Nachfrage nach Wohnraum in der boomenden Metropole.  Das Immobilienkapital verschmäht die Anreize der öffentlichen Wohnungsbauförderung angesichts lukrativer Alternativen im freifinanzierten Immobiliensegment. Der dringend benötigte soziale Wohnungsbau wird nahezu ausschließlich von den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften übernommen - vorgegebene Zielmarken werden dabei regelmäßig um mehrere tausend Wohneinheiten verfehlt. Vor einen Umbau der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften zu öffentlich-rechtlichen Trägern einer sozialen Wohnungspolitik mit auskömmlicher Finanzierung schreckt der Senat zurück.

 

Im Gegensatz zu Darstellungen der konservative Presse, erlebte der private Neubau trotz des Mietendeckels einen Boom. Allerdings tragen private Neubauten zur Entspannung des Wohnungsmarktes kaum etwas bei. Laut einer Studie des Forschungsinstituts Empirica werden fast zwei Drittel der Neubauwohnungen für eine Kaltmiete von 14 Euro pro Quadratmeter vermietet, 46 Prozent werden sogar für 16 Euro pro Quadratmeter und mehr angeboten. Die  strukturellen Problemen auf dem Wohnungsmarkt sind auch nach knapp fünf Jahren rot-rot-grüner Regentschaft in Berlin alles andere als gelöst.

 

Drohendes Rollback

Nach dem Aus für den Mietendeckel droht Berlin ein wohnungspolitisches Rollback. Bereits vor dem Urteil sprach sich Franziska Giffey (SPD), Bundesfamilienministerin und Kandidatin für das Bürgermeisteramt in Berlin, gegen den Mietendeckel aus und kündigte an, ihn nach der geplanten fünfjährigen Wirkungsdauer auszusetzen. Giffeys Parteigenosse und Regierender Bürgermeister Michael Müller lud die private Wohnungswirtschaft kurz nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einem Runden Tisch ein. Die klammen Haushaltskassen nach der Corona-Pandemie könnten der Kumpanei mit der privaten Wohnungswirtschaft neuen Auftrieb verleihen, denn die öffentlichen Investitionsspielräume dürften bei der Wohnungsbauförderung enger werden.

 

Aber auch die Kampagne Deutsche Wohnen enteignen!, die die Bestände großer Wohnungsunternehmen vergesellschaften will, erhielt nach dem Aus für den Mietendeckel neuen Zulauf. In einer Umfrage von Infratest Dimap sprach sich Ende April eine knappe Mehrheit der Berliner/innen für die Enteignung aus. Die Stimmung hat sich seit der letzten Umfrage im Februar gedreht. Auch die Mieterbewegung reagierte auf die Entscheidung des Gerichts noch am gleichen Abend mit einer Spontandemonstration, an der sich mehr als 20.000 Menschen beteiligten. Außerdem übt die Bewegung mit einem Volksbegehren zur Enteignung weiter Druck auf die Politik aus.

 

Seit der gerichtlichen Entscheidung gegen den Mietendeckel auf Landesebene mehren sich die Rufe nach einer stärkeren Regulierung des Wohnungsmarktes durch den Bund. Dabei gilt es, sich vor Illusionen zu hüten. Zwar fordert ein Bündnis aus Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und Mieterorganisationen einen bundesweiten Mietenstopp, und auch die schwächelnde Linkspartei und die abgeschlagene SPD versuchen mit der Übernahme dieser Forderung im Bundestagswahlkampf zu punkten. Doch zittern muss das Immobilienkapital deshalb noch lange nicht. Außerhalb der großen Städte ist die Wohnungsfrage kaum wahlentscheidend. Und tatsächlich wirksame Regelungen beim Mieterschutz wären ohnehin nur ohne eine Regierungsbeteiligung von CDU und FDP umsetzbar.

 

Auch auf die Grünen sollten sich Mieter/innen nicht verlassen. Teile der Partei plädieren zwar für die Aufnahme einer Öffnungsklausel ins Wahlprogramm, die es den Bundesländern erlauben würde, eigene gesetzliche Regelungen wie den Mietendeckel zu erlassen. Bei schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen dürfte das Thema Mieterschutz aber schnell unter den Tisch fallen - vielleicht schafft es am Ende noch eine wohlklingende Floskel ins Regierungsprogramm.