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Ran ans Immobilienvermögen

Der Immobilienboom der letzten Jahre hat die Vermögensungleichheit verschärft. Dazu kommen nun die Pandemie und ihre Kosten. Um die Krisengewinner zur Kasse zu bitten, brauchen wir die richtigen Werkzeuge. Etwa eine Vermögensabgabe und eine Hauszinssteuer.

Der Immobilienbesitz spielt für die Vermögensbildung - und dadurch für die Verteilung von Reichtum in der Gesellschaft insgesamt - eine herausragende Rolle. Während die überwiegenden Vermögenswerte der unteren Hälfte der Bevölkerung aus Fahrzeugen bestehen, stellt für die oberen Teile der Mittelschicht das selbstgenutzte Wohneigentum den größten Vermögenswert dar. Bei den Millionären dominiert das Betriebsvermögen, doch auch hier kommt das nicht selbst genutzte Immobilieneigentum auf einen Anteil von respektablen 20 Prozent.

Zählt man die Vermögen aus vermieteten und selbstgenutzten Immobilien zusammen, so wird deutlich: Der meiste Reichtum in Deutschland existiert in Form von Immobilien - und er ist sehr ungleich verteilt. Laut einer vielbeachteten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem vergangenen Jahr vereint das reichste Prozent der Bevölkerung rund 35 Prozent des Vermögens auf sich. Die oberen 10 Prozent besitzen gut zwei Drittel. Das Immobilieneigentum ist dabei nicht allein Resultat des Reichtums, sondern eine der wichtigsten Quellen seiner Vermehrung.

Die Immobilienpreise in Deutschland sind seit 2011 im Durchschnitt um 50 Prozent gestiegen. Der Boom machte Immobilienbesitzer insgesamt um etwa 3 Billionen Euro reicher. "Diese Vermögenszuwächse entsprechen in etwa dem deutschen Bruttoinlandsprodukt eines Jahres und übersteigen die gesamte deutsche Staatsverschuldung um gut eine Billion Euro", heißt es in einer Studie der Uni Bonn.

Die immense Anhäufung privaten Reichtums ist auch Folge unzureichender Besteuerung. Seit der Abschaffung der Vermögenssteuer im Jahr 1997 fehlt eine Abschöpfung der stark gestiegenen Immobilienwerte. Gewinne aus Immobilienverkäufen sind nach Ablauf von zehn Jahren nach dem Erwerb außerdem von der Steuer befreit. Die Vererbung oder Schenkung von selbstgenutzten Immobilien ist bis zur Höhe von 400.000 Euro ohnehin steuerfrei. Viele Unternehmen nutzen beim Kauf und Verkauf zudem Steuervermeidungsstrategien wie Share Deals oder leiten ihre Gewinne in Steueroasen. Die jährliche Grundsteuer zielt zwar auf den Grundbesitz selbst, sie darf aber paradoxerweise auf die Betriebskosten der Mieterinnen und Mieter umgelegt werden.

Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich

Die Kehrseite der Vermögenszuwächse für eine kleine Schicht sind die steigenden Wohnkosten für die Mehrzahl der in Deutschland zur Miete lebenden Menschen. Die ärmsten 20 Prozent der Haushalte geben mittlerweile fast 40 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen aus. 1993 betrugen ihre Wohnkosten noch etwa ein Viertel. Selbst für Haushalte mit mittleren Einkommen sind die Ausgaben fürs Wohnen seit den 1990er Jahren um fast 20 Prozent gestiegen. Etwa zeitgleich zog sich der Staat aus seiner aktiven Rolle in der Wohnungspolitik zurück und überließ den Marktkräften das Feld. Seit den 1990er Jahren wurde der Wohnungsmarkt dereguliert und der öffentliche Wohnungsbestand privatisiert. Den Neubau überließ man weitestgehend privaten Investoren, die heute angesichts niedriger Zinsen und stetig steigender Erträge kaum Interesse an den Förderprogrammen des sozialen Wohnungsbaus zeigen. Als Resultat ist in den stark wachsenden Städten in Deutschland eine eklatante Unterversorgung mit günstigem Wohnraum zu beobachten.

Der vorsichtige Wiedereinstieg in den kommunalen und genossenschaftlichen Neubau kommt dem sozialen Bedarf nicht hinterher. In Deutschland fehlen heute etwa eine Million Wohnungen. Die offiziellen Projektionen gehen von einem notwendigen Neubau von bis zu 400.000 Wohnungen pro Jahr aus, was ein Investitionsvolumen im hohen zweistelligen Milliardenbereich bedeutet. Die zunehmende Anspannung der Wohnungsmärkte setzte wiederum erst die enormen Steigerungen der Mieten und Immobilienpreise in Gang. Dies führt zu der völlig irrwitzigen Situation, dass im Immobiliensektor trotz stetig steigender Erträge ein unglaublicher Investitionsbedarf besteht, der sich privatwirtschaftlich und ohne öffentliche Investitionssteuerung nicht decken lassen wird. Beide Missstände nachhaltig zu beseitigen - also die Mietsteigerungen zu stoppen und den Wohnungsmangel zu beheben - wird nur in großen und aufeinander abgestimmten Anstrengungen möglich sein. Und es wird sehr viel Geld kosten.

Die Immobilienwirtschaft als Krisengewinnerin

Die Corona-Krise hat die ohnehin prekäre Situation vieler Mieterinnen und Mieter zusätzlich verschärft. Zahlreiche Haushalte sind mit Einkommenseinbußen konfrontiert. Die Eigentümerseite hingegen hat kaum nennenswerte Ausfälle zu beklagen. Nach Angaben von Vermieterverbänden und großen Immobilienkonzernen bewegten sich die Mietausfälle seit Ausbruch der Pandemie im Bereich weniger Promille. Die Miet- und Immobilienpreise zogen dagegen auch im vergangenen Jahr deutlich an.

In einem Vergleich von 126 deutschen Städten errechnete das Analyseunternehmen Bulwiengesa eine durchschnittliche Steigerung der Neuvertragsmieten von 2 Prozent - einen Wert deutlich über dem Anstieg des Verbraucherpreisindexes und der Inflation. Die Deutsche Bank kommentierte entzückt: "Der Anstieg der Wiedervermietungsmieten ist angesichts der größten Wirtschaftskrise in der Nachkriegszeit und des regulatorischen Gegenwindes bemerkenswert." Eine Ausnahme bilden lediglich die dank des Mietendeckels stagnierenden Angebotsmieten in Berlin.

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