Kann ein Paar eine gemeinsam erlittene Gewalttat auch gemeinsam bewältigen? Das untersucht die intensive Beziehungsstudie "Das schönste Paar" - mit zwei brillanten Hauptdarstellern. Von Peter Luley
Ein Paar beim Sex unter freiem Himmel, in einer Bucht auf Mallorca. War da was, ein losgetretener Stein, beobachtet sie jemand? "Und wenn schon", feixen die Verliebten. Wenig später, als Malte (Maximilian Brückner) und Liv (Luise Heyer) ihre Ferienwohnung betreten wollen, werden sie Opfer eines Überfalls. Drei junge Männer drängen sich mit hinein und fordern die beiden auf, da weiterzumachen, wo sie gerade aufgehört hätten. Als das nicht klappt, halten die Eindringlinge Malte in Schach, und ihr Anführer Sascha (Leonard Kunz) vergewaltigt Liv.
Knapp eine Viertelstunde dauert diese höllische Eröffnung, die in ihrer abgefeimten Brutalität an Michael Hanekes "Funny Games" erinnert. Die von ihr ausgehende Beklemmung strahlt auf den gesamten Kinofilm aus - konsequenterweise, schließlich überschattet die Tat das gesamte Leben der Protagonisten. Darum geht es Drehbuchautor und Regisseur Sven Taddicken ("Emmas Glück", "Gleißendes Glück") in der Folge: zu untersuchen, wie Liv und Malte, zurück im deutschen Großstadtalltag, mit dem Trauma weiterleben. Und ob sie das gemeinsam schaffen.
Wir sehen Sportlehrerin Liv beim Leiten eines Hockeyspiels und Malte, Pädagoge an derselben Schule, beim Musikunterricht. Sie geht zu einer Therapeutin, er reagiert sich beim Boxtraining ab. Das "schönste Paar" bemüht sich tapfer um Pragmatismus. Beim Grillen mit Freunden erklärt Liv, wie sie das Erlebte "weggepackt" hat. Sie seien halt "drei Arschlöchern begegnet": "Malte hat nichts falsch gemacht, ich hab nichts falsch gemacht, Scheiße passiert."
Und jetzt Rache?
Die entscheidende Wendung ereignet sich in einem Imbiss und wirkt erstaunlicherweise überhaupt nicht konstruiert: Malte hat mit seiner Band ein Konzert gespielt, ist beseelt und ausgehungert - als er am Tresen Sascha sieht. Fassungslos registriert er, dass dieser eine Freundin (Jasna Fritzi Bauer) hat. Er folgt ihnen bis zur S-Bahn, wo sie vor seinen Augen wegfahren. Doch die Begegnung lässt ihn nicht mehr los, immer wieder wartet er am Bahnsteig, bis er dem Peiniger von einst nach Hause folgen kann.
Von nun an steht die Option von Bestrafung und Vergeltung im Raum. Malte ist davon belebt. Liv, die er erst einweiht, als es sich nicht mehr vermeiden lässt, zeigt sich alles andere als begeistert. "Hätt ich dir nie davon erzählen sollen?", ruft er verzweifelt. "Ja, das hätte doch mal Eier gehabt", blafft sie zurück. Erst jetzt bricht auf, dass die beiden die Demütigung eben doch unterschiedlich erlebt und verarbeitet haben.
Malte, der seine Frau nicht schützen konnte, geht es auch um Wiederherstellung seines männlichen Selbstwertgefühls; Liv dagegen hadert mit der Aufhebung der Anonymität. Sie wünscht sich, er möge "diesen Typen" in Ruhe lassen - sie hatte ihn doch schon vergessen und will ihm keinen Raum mehr in ihrem Leben geben.
Dass genau das nicht funktionieren wird, ahnt der Zuschauer - zumal Liv von Flashbacks heimgesucht wird und sie und Malte sich ausgerechnet jetzt zum ersten Mal voneinander zu entfernen scheinen. Zur ohnehin herrschenden Beklemmung gesellt sich nun die Sorge, dass der Film in eine Racheorgie à la "Ein Mann sieht rot" abgleiten könnte. Aber Sven Taddicken beweist Klasse: Er verschenkt die aufgebaute psychologische Glaubwürdigkeit nicht an eine Genre-Dramaturgie, bleibt nuanciert und gesteht den Figuren Überforderung zu.
Bloß nicht Opfer sein
In diesem Ringen um den Umgang mit einem sexuellen Übergriff und im Hinterfragen von geschlechtertypischen Verhaltensweisen erinnert "Das schönste Paar" an einen anderen Film mit täuschend positivem Titel: "Alles ist gut" von Eva Trobisch. Das preisgekrönte Debüt erzählt von einer Frau (Aenne Schwarz), die sich entscheidet, eine erlittene Vergewaltigung zu verschweigen, um nicht in die Opferrolle zu geraten.
Doch während Trobischs Protagonistin alles mit sich selber ausmacht, stellt Sven Taddicken die partnerschaftliche Bewältigung in den Vordergrund. Dabei kann er sich ganz auf sein brillantes Hauptdarsteller-Duo verlassen.
Maximilian Brückner überzeugt, weil er Malte in seiner ganzen menschlichen Überforderung zeigt. Luise Heyer wiederum muss nach ihren Rollen in "Jack", "Härte" und "Fado" schon als Expertin für verletzte Seelen gelten; jüngst verkörperte sie im Publikumserfolg "Der Junge muss an die frische Luft" die depressive Mutter Hape Kerkelings.
Zu Recht ist sie beim Deutschen Filmpreis am kommenden Freitag nicht nur für letzteren Part als beste Nebendarstellerin nominiert, sondern auch als beste Hauptdarstellerin für "Das schönste Paar" - genauso wie Aenne Schwarz für "Alles ist gut".
"Das schönste Paar", Deutschland 2018. Drehbuch und Regie: Sven Taddicken.
Darsteller: Maximilian Brückner, Luise Heyer, Leonard Kunz, Jasna
Fritzi Bauer, Aurel Manthei. Produktion: Arsam International, One Two
Films et al. Verleih: Koryphäen Film FSK: ab 16 Jahren. Länge: 93 Minuten.
Start: 2. Mai 2019
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