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Underground-Star Timo Jacobs: Ruhig Blut, Cowboy!

Timo gegen den Rest der Welt: Mit brachialem Charme und unerschütterlicher Energie hat sich Timo Jacobs zum Underground-Star hochgearbeitet. Und wenn der Schauspieler mal einen Tag frei hat? Dreht er eben selbst einen Film - sein Regiedebüt "Klappe Cowboy!" läuft gerade in den Kinos. Von Peter Luley


Ein Interview in einem Straßencafé mit Timo Jacobs? Schwierig bis unmöglich. Zum Beispiel neulich in Hamburg: Obwohl der Mann seit Jahren in Berlin lebt, stehen da ständig alte Kumpels am Tisch. Eine Frau ruft im Vorbeigehen, sie habe neulich den St.-Pauli-Film "Gegengerade" gesehen, in dem Jacobs einen Blankeneser Villenschnösel spielt, in Anspielung auf seine Rolle schnurrt sie: "Geilen Swimmingpool hast du, ich komm' nächste Woche mal vorbei." - "Vergiss nicht deinen Bikini, den mit dem Leopardenmuster", gibt Jacobs zurück. "Ich komm ohne Bikini", ruft die Frau. Jacobs grinst in aller Unschuld.

So leicht lässt Hamburg eben keinen ziehen, den die Stadt einmal ins Herz geschlossen hat: Gut zehn Jahre hat Jacobs, in Itzehoe geboren, auf St. Pauli verbracht - als BMX-Profi, Fahrradkurier, DJ, bunter Hund vom Pferdemarkt. "Parallel hab' ich auch kleine Werbespots gedreht, was man so macht, was man so mitnimmt, hier und da." Jacobs spricht jetzt so breit norddeutsch, verschwörerisch und obercool, dass er selbst lachen muss.

Das mit der Schauspielerei kam dann so: 2003 legte Jacobs Platten auf in einem Club, in dem Kultregisseur Klaus Lemke ("Rocker") eine Szene drehen wollte. Jacobs sollte die Musik leiser stellen, doch er wehrte sich. Lemke war beeindruckt, vier gemeinsame Filme folgten: "3 Minuten Heroes" und "Träum weiter, Julia", " Finale" und "Undercover Ibiza" - lauter hingetupfte, dem Leben abgeschaute Milieuskizzen, die Jacobs als streetsmarten Charmebolzen mit einer Ausstrahlung irgendwo zwischen dem jungen Marius Müller-Westernhagen und Adriano Celentano zeigten. Dann war getreu dem legendären "Vampirsystem" des Regisseurs - ich saug' dich aus, du saugst mich aus - zunächst mal Schluss. Aber Jacobs hatte Blut geleckt.


Derber Schnacker


Er belegte Schauspielkurse unterschiedlicher Schulen und zog nach Berlin. "War halt alles ein bisschen überglotzt hier", sagt er heute. "Meine Liebe zu Hamburg wird immer bestehen, aber um neu anzufangen, brauchte ich diesen Step." Außerdem habe ihn sein schlechtes Gewissen getrieben, "ich wollt's dann halt auch wissen, wollte auch das Handwerk lernen."


Vor allem das Sanford-Meisner-Acting hat es ihm angetan - obwohl er die Schauspieltechnik in seinem gerade angelaufenen Kinodebüt "Klappe Cowboy!" ordentlich karikiert. "Man trainiert, von sich selbst loszukommen und nur beim Partner zu sein. Die ganzen Eitelkeiten, die man selbst so hat, legst du ad acta." Und noch ein Vorzug fällt ihm ein: "Du musst den Fokus halten. Wenn du dich ernsthaft mit etwas beschäftigst, dann kommen die Sachen auch zu dir."


Und seine Beharrlichkeit trug langsam Früchte: Er absolvierte ein Schauspieler-Bootcamp in der Toskana, um eine Kleinstrolle als Wehrmachtsoldat in Spike Lees Weltkriegsepos "Buffalo Soldiers '44 - Das Wunder von St. Anna" zu übernehmen. Nach einem Low-Budget-Projekt mit Henna Peschel ("Pete the Heat", 2008) folgten weitere kleine Rollen, unter anderem in Olivier Assayas' monumentaler Terroristen-Biografie "Carlos - Der Schakal" (2010) und in "Dreileben" (2011), dem experimentellen TV-Triptychon von Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler.


Gab es einen Film, bei dem er dachte: So, nun hab ich es geschafft? Jacobs überlegt kurz, dann lacht er: "Dachte ich jedes Mal, auch schon bei Klaus."


Willkommen in der Berliner Sonderschule


An Selbstbewusstsein fehlt es Jacobs nicht - auch nicht angesichts ausbleibender Angebote. Dann dreht er eben selbst einen Film mit sich in der Hauptrolle. "Spielfreude ist vorhanden", kommentiert Jacobs lakonisch die Entstehung seines Langfilm-Regiedebüts "Klappe Cowboy!", "und wenn das Blut heiß ist, dann musst du halt was machen."


Die beseelte Komödie um einen Jungfilmer vom platten Land, der sich anschickt, die Hauptstadt zu erobern, trägt viele autobiografische Züge - und belegt, dass Jacobs inzwischen das Beste aus zwei Welten in sich vereint: Er hat sich das bei Lemke erworbene Gespür fürs Improvisieren und das Einfangen lebensechter Szenen bewahrt, aber an dramaturgischer Disziplin gewonnen. Er kann den derben Schnacker jederzeit abrufen - bei Bedarf aber eben auch andere Facetten. Zu sehen ist das etwa im neuen Bremer "Tatort: Hochzeitsnacht", in dem er einen undurchsichtigen Alleinunterhalter spielt.


Mit Sympathie, aber auch einer gewissen Distanz beobachtet er das Schaffen anderer Berliner Low- bis No-Budget-Filmer wie des "Campingplatzkino"-Betreibers Patrick Banush ("Liebe und Viktor") oder der Brüder Tom und Jakob Lass ("Frontalwatte"), die sich mit Bezug auf die etablierte "Berliner Schule" (Petzold und Co.) schon als "Zweite Berliner Schule" oder gar "Berliner Sonderschule" titulieren. "Die Tatsache, dass Film ein digitales Medium geworden ist, öffnet Türen", sagt Jacobs, "das sehe ich als Geschenk".


Das Sich-Brüsten mit geringen Budgets aber geht ihm gegen den Strich - da ist er ganz anders als sein früherer Mentor und Filmförderungsverächter Klaus Lemke: "Ich finde es nicht gut, wenn ich die Leute nicht wirklich bezahlen kann. Da nagt mein soziales Bewusstsein zu stark an mir", sagt Jacobs. Für den "Cowboy"-Nachfolger will Jacobs sich erst mal finanzielle Unterstützung suchen. "Das Treatment ist fertig, gucken wir mal, ich bin ein offener Typ", sagt er. Seinem Verhältnis zu Lemke hat die abweichende Sichtweise offenbar nicht geschadet: Nach jahrelanger Pause taucht Jacobs in dessen gerade abgedrehtem Film "Berlin, Texas" um drei Kinovorführer auf.


Wie es zu der neuerlichen Kooperation gekommen ist? Nun, er habe Lemke "Klappe Cowboy!" gezeigt, und der habe daraufhin eine neue Seite an ihm erkannt, "so was Buster-Keaton-artiges. Da hab ich ihn halt wieder inspiriert", sagt Jacobs - und grinst einmal mehr in aller Unschuld.


"Klappe Cowboy", bis zum 31. August in den Berliner Kinos "Sputnik" und "Zukunft".
"Tatort: Hochzeitsnacht", 16. September, 20.15 Uhr, ARD


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