Showeffekte, Running-Gags und Brachialhumor: Die "Herr Lehmann"-Fortsetzung "Magical Mystery" feiert den Techno-Boom der Neunziger als aufgeputschtes Roadmovie – und lebt von ihrem Hauptdarsteller Charly Hübner.
Von Peter Luley
Gut getroffen ist die therapeutische "Drogen-WG" Clean Cut im Hamburg-Altona der mittleren Neunzigerjahre, wo die Ex-Druffis und Psychos sogar beim Broteschmieren am Küchentisch Zigaretten rauchen und der Sozialarbeiter dringend mal zur Supervision muss. Dorthin hat es Karl Schmidt ( Charly Hübner) verschlagen, jene Figur aus dem "Herr Lehmann"-Kosmos, die am Ende des gleichnamigen Romans ein Drogenflash samt Nervenzusammenbruch aus der Bahn warf. Nun jobbt er als Hilfs-Hausmeister im Kinderkurheim Elbauen. Allerdings bleibt er nicht lange da.
Im Eiscafé La Romantica trifft er seinen alten Kumpel Raimund (Marc Hosemann) wieder, der ihn einlädt, sich das sensationell erfolgreiche Plattenlabel Bumm Bumm Records anzuschauen, das seine einstigen Berliner Partyfreunde mittlerweile betreiben. Statt zur Kur, die sein Betreuer (Bjarne Mädel) für ihn vorgesehen hat, fährt Karl in die Hauptstadt. Er bestaunt das Firmenloft, in dem per Fax die Chartplatzierungen eingehen, feiert Wiedersehen mit Label-Boss Ferdi (Detlev Buck) und lässt sich kurzerhand als Tourfahrer für Ferdi, Raimund und eine Handvoll Techno-DJs anheuern.
Weil er als Rekonvaleszent, der "nur noch Kaffee und Zigaretten darf", zwangsweise nüchtern bleiben muss, soll er dazu gleich noch als "Ledernacken-mäßiger" Aufpasser für die allen Rauschmitteln zugetanen Musiker fungieren - die maximale Herausforderung für einen "Multitox" wie ihn und der Beginn eines musikalischen Roadmovie der speziellen Art.
Hatte sich bei der Verfilmung von Sven Regeners Debütroman "Herr Lehmann" vor 14 Jahren Leander Haußmann daran versucht, dessen Retro-Welt auf die Leinwand zu bringen (mit Christian Ulmen in der Titelrolle und Detlev Buck als Karl Schmidt), so führte hier Arne Feldhusen Regie. Der " Stromberg"- und "Tatortreiniger"-Regisseur widerstand der Möglichkeit, Buck seine alte Rolle aufgreifen zu lassen, und besetzte den Part mit Charly Hübner - eine glückliche Entscheidung.
Als massig-gutmütiger Antiheld ist Hübner Körper und Seele des Films; grandios, wie uneitel er spielt und sich für keinen Stunt zu schade ist. Ihm schaut man einfach gerne zu, leidet mit ihm, wenn er im Angesicht von Alkohol, Joints und Pillen kompensatorisch Kette raucht oder von psychotischen Schüben übermannt zu werden droht. Buck darf derweil als Sprücheklopfer Ferdi, der von einem Gemeinschaftserlebnis im Stil der legendären "Magical Mystery Tour" der Beatles träumt, dem Affen Zucker geben.
Das allerdings führt zu einem Rezeptionsproblem des Films: Vielleicht hat nicht jeder Zuschauer die Engelsgeduld und den unerschütterlichen Willen Charlies, die Drogenexzesse und den "Tippitoppi"-Slang der durchgeknallten, stets leicht verkleidet wirkenden Chaos-Truppe auszuhalten. Anders gesagt: Ferdi, Raimund und die Kollegen Basti, Schöpfi, Sigi können nerven. Zumal die Stationen-Dramaturgie des von Regener selbst verfassten Drehbuchs den Eindruck der Wiederholung des Immergleichen unterstützt. Es geht zu Gigs nach Bremen, Köln, München, nach Schrankenhusen-Borstel, Hamburg und, zum großen Finale, zur Springtime nach Dortmund - diese Szenen wurden live auf der Mayday, Deutschlands größtem Indoor-Rave, gedreht.
Fluxi-Billighotels und Meerschweinchen
Feldhusen hat viel Liebe in Details gesteckt: Da sind die schaurigen Fluxi-Billighotels, in denen die Gruppe absteigt; die aus heutiger Sicht grotesk großen ersten Mobiltelefone, die unbeholfen zum Einsatz kommen; oder die mitgeführten Meerschweinchen Lolek und Bolek (respektive Kruder und Dorfmeister), die für hübsche Miniaturen sorgen. Auch der eigens komponierte Soundtrack ist aller Ehren wert: Hier haben Erobique alias Carsten Meyer, Westbam (mit Gastauftritt als Döner-Mann!), Modeselektor und Deichkind Tracks beigesteuert.
Aber vielleicht ist es kein Zufall, dass ausgerechnet das Songwriter-Stück "Drogen nehmen und rumfahren", das den Regisseur zu einem regelrechten Videoclip-im-Film inspiriert hat, eigentlich nicht in den Techno-Kontext passt und doch den Tour-Spirit am frischesten vermittelt.
Der Film ringt um seine Tonart, und er kriegt gerade so die Kurve zwischen Tragikomödie und Klamauk. Showeffekte (die Alligatorenfütterung), Running-Gags (das Pfützenspringen auf dem Weg zum Asia-Imbiss Lala) und Brachialhumor wie eine zelebrierte Kotz-Orgie in Bayern verstellen gelegentlich den Blick auf die Kerngeschichte: die einer vorsichtigen Rückkehr ins Leben.
Am stärksten ist "Magical Mystery" in den leiseren Momenten. Wenn etwa Charlie der DJane Rosa (Annika Meier), mit der er eine nüchterne Romanze erlebt, backstage erklärt, was irre sein bedeutet und warum er das Wort Klapper besser findet als Klapse. Heimlicher Höhepunkt des Films ist die Trauerrede, die Charlie hält, als unterwegs eines der Meerschweinchen stirbt - an einem Mülleimer auf einer Autobahnraststätte, gänzlich unpathetisch und doch anrührend.
"Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt"
Regie: Arne
Feldhusen
Drehbuch: Sven Regener
Darsteller: Charly Hübner, Annika
Meier, Detlev Buck, Marc Hosemann, Bastian Reiber, Jacob Matschenz
Produktion: ARTE, Brainpool TV, Degeto-Kulturfilm GmbH, Razor Film
Produktion GmbH, WDR
Verleih: DCM Film Distribution
Länge: 111 Minuten
Start: 31. August 2017
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