Ein deutsches "Breaking Bad"? Eher ein deutscher Popeye. Matthias Glasners lang erwarteter ZDF-Fünfteiler "Blochin" macht auf hart - und den Protagonisten Jürgen Vogel fast zur Comicfigur.
Dass große Fernsehserien vorab auf der Berlinale Premiere feiern, ist schon eine kleine Tradition und natürlich eine Adelung: So löste Dominik Grafs Russenmafia-Saga "Im Angesicht des Verbrechens" Begeisterung aus, und die TV-Trilogie "Dreileben" von Graf, Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler sorgte für angeregte Diskussionen. In diesem Jahr wurde Matthias Glasners hoch gehandelter ZDF-Fünfteiler "Blochin - Die Lebenden und die Toten" am Stück gezeigt - doch diesmal sprang der Funke nicht über.
Mit zunehmender Spieldauer des insgesamt sechsstündigen Werks gab es sogar Lacher wegen unfreiwilliger Komik - nämlich dann, wenn Titelheld Jürgen Vogel als schicksalsgeprüfter Berliner Bulle ein ums andere Mal in hochdramatischer Situation zum Smartphone griff und dann ganz schnell und unvermittelt weg musste. Da war gebannte Anteilnahme schon beiläufigem Amüsement gewichen.
Das ist nicht nichts, aber ein bisschen wenig für das ambitionierte Thrillerdrama, das von Freitag an innerhalb von drei Tagen im Binge-Watching-Modus im ZDF läuft. Immer wieder haben die Macher im Vorfeld das Schlagwort vom horizontalen, also nicht episodisch abgeschlossenen Erzählen bemüht. Stolz wurde der Writer's room gepriesen, jenes Autorenkollektiv, das hier nach angelsächsischem Vorbild zum Einsatz kam.
Kahl geschorenes Kampftier
Und natürlich durfte auch das überstrapazierte Wort vom "deutschen ' Breaking Bad'" nicht fehlen, das hier nun endlich zu erwarten sei. Schließlich hat Head-Autor und Regisseur Matthias Glasner mit Jürgen Vogel in den vergangenen 20 Jahren schon eindrückliche Arbeiten wie den Kinofilm "Der freie Wille" und den Auftakt zur TV-Serie "KDD - Kriminaldauerdienst" abgeliefert. "Blochin" aber reduziert seinen Protagonisten so sehr auf ein kahl geschorenes Kampftier, lässt ihn so oft breitbeinig und aufgepumpt wie Popeye durchs Bild laufen, dass er beinahe zur Karikatur wird.
Geboten wird die klassische Story vom gewendeten Ex-Kriminellen, der nun als Ermittler bei der Mordkommission arbeitet, aber in Form einer Erpressung von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Zuspitzungshalber ist sein von allen Lieutenant genannter Chef (Thomas Heinze) zugleich sein Schwager, und seine Ehefrau Inka (Maja Schöne) leidet an Multipler Sklerose.
Über Blochin selbst erfährt man nicht viel mehr, als in leicht verrätselten Schwarz-Weiß-Sequenzen zu Beginn der einzelnen Folgen angedeutet wird: Als 14-Jähriger niedergeschossen, erwachte er ohne Erinnerung im Leichenschauhaus, wuchs im Waisenhaus auf und verdankt seinen Namen einem Abziehbild des gleichnamigen ukrainischen Fußballers, das er bei sich trug. In gewisser Weise ist das sogar passend: Bei allen unfassbaren Schicksalsschlägen, die ihn in der Folge noch ereilen, bleibt er doch selbst nur ein Abziehbild.
Alles bleibt Augenpulver
Anstelle von Charakterzeichnung werden immer weitere Nebenschauplätze und Verknüpfungen aufgemacht. Da ist die ehrgeizige Staatssekretärin (Jördis Triebel), die ein Verhältnis mit dem Lieutenant hat, da sind Blochins alte Bekannte Doreen (Jule Böwe), die ein dunkles Geheimnis mit sich trägt, und die gutherzige Hure Conchita (Carol Schuler), die Blochin als Spanisch-Nachhilfelehrerin für Tochter Grille (Emilia Eidt) engagiert. Es geht um Drogenschmuggel aus Afghanistan in Bundeswehrmaschinen, konkurrierende Clans und Vertuschungsmanöver durch die Politik.
Manchmal hat man den Eindruck, "Blochin" bemühe sich, in Sachen surreale Tableaus "Im Angesicht des Verbrechens" nachzueifern - etwa, wenn Peri Baumeister als promiskuitive Politikertochter exzessive Drogen- und Sexpartys feiert oder Corinna Harfouch als Esoterikerin eine Art Hippie-Kommune am See betreibt. Doch anders als bei Dominik Graf wird hier kein Sog kreiert und keines der Milieus wirklich zum Leben erweckt; alles bleibt Augenpulver.
Die mit Abstand interessanteste Figur ist der Lieutenant, den Thomas Heinze als schnöseligen Großkotz mit Sonnenbrille und SUV verkörpert: Ein Zyniker des Polizeigeschäfts, der im Bemühen, seinen Schwager und damit seine Schwester zu schützen, sowohl zum Mörder wird als auch echtes Mitgefühl zeigt - ein ambivalenter Charakter, der sich Stück für Stück entfaltet.
Blochin rast derweil rastlos mit dem Motorrad durch die Stadt und lässt den Zuschauer seltsam unberührt. Ganz am Ende, nach zunächst 90, dann dreimal 60 und dann wieder 90 Minuten, tut sich eine neue Option auf, mehr über seine Vergangenheit zu erfahren. Tatsächlich schreibt Matthias Glasner bereits an einer zweiten Staffel.
Die Frage ist nur, ob die Geduld des Publikums dafür ausreicht.
"Blochin - Die Lebenden und die Toten", ab Freitag, 20.15 Uhr, ZDF