Die Komödie der lesbischen Regisseurin Madeleine Olnek räumt mit dem Klischee auf, dass die Dichterin Emily Dickinson eine schrullige alte Jungfer war. Tatsächlich – das ist belegt – liebte sie ihre beste Freundin und spätere Schwägerin. Jetzt im Kino.
Dickinson hat bis in die Gegenwart hinein das Image eines poetischen Genies, aber auch einer alten Jungfer, die nie heiratete, sich deshalb einsam nach der Liebe eines Mannes gesehnt und schrullige Angewohnheiten entwickelt habe. So soll sie nur weiße Kleider getragen und ihr Zimmer nicht verlassen haben.
Filmemacherin Madeleine Olnek (die auch so schräge Filme wie Codependent Lesbian Space Alien Seeks Same drehte) sieht in dieser Lesart ein wiederkehrendes Narrativ, wenn es um starke Frauen in der Geschichte oder Literatur geht: „Frauenfiguren werden für ihre Stärke bestraft", sagte sie der Webseite Indiewire. „Sie werden geköpft, fallen vom Pferd oder gelten, wie Emily Dickinson, als erbärmliche Workaholics."
Mit diesen Klischees räumt Wild Nights with Emily Szene für Szene auf. Den Rahmen der Handlung bildet ein Vortrag von Dickinsons Herausgeberin und Zensorin Mabel Todd. Den Halb- und Unwahrheiten, die diese über das Leben der Dichterin verbreitet, stellt die Regisseurin Aufnahmen entgegen, die das Gegenteil zeigen. Susan sei nichts als eine gute Freundin gewesen? Die „Freundinnen" küssen sich und schlafen miteinander (wobei der Film, was das Zeigen von Sexszenen angeht, ähnlich puritanisch ist wie Dickinsons Vater). Emily Dickinson habe freudlos gelebt? Der Film zeigt sie voller Witz, Spott und unbeschwert lachend beim Backen oder Familienpicknick. Sie habe sich nicht getraut, ihre Gedichte zu veröffentlichen? Der Film zeigt, wie sie an sexistischen Zeitungsredakteuren scheitert, denen schreibende Frauen suspekt sind.
Man will diesen Film lieben! Weil er so aufklärerisch und genau recherchiert ist. Weil er die lesbische Seite einer amerikanischen Ikone zeigt. Weil er mit so wenig Geld auskommen musste, dass die Perücken schlecht sitzen, Blumengestecke aus Plastik und Tiere aus Stoff sind. Weil eine trashige Kostümfilm-Komödie über Lesben doch ein vielversprechendes Genre ist.
Doch leider ist der Film weniger lustig als langatmig. Die Pointen sind vorhersehbar (Ein betagter „Liebhaber" liegt in Dickinsons Armen - weil er einen Schwächeanfall hatte). Und sie wiederholen sich (ach, Unterröcke sind unpraktisch bei Quickies!). Die Rollen sind eigentlich gut besetzt. Hauptdarstellerin Molly Shannon etwa ist zumindest in Amerika bekannt aus der Comedy-Show Saturday Night Live. Doch die Grimassen und schmachtenden Blicke, die sie und die anderen Schauspielerinnen einander zuwerfen, sind manchmal witzige Satire - meist wirken sie einfach nur schlecht gespielt.
Man sollte den Filmstart deshalb als Anlass nehmen, mehr über die Dichterin und ihr Werk zu erfahren, das es mittlerweile auch unzensiert gibt. Und ob man sich den Film nun anguckt oder nicht, eines macht wirklich Spaß: Die Gedichte von Emily Dickinson mit lesbischen Augen zu lesen. Zum Beispiel dieses Gedicht, das auch den Filmtitel inspirierte:
Wilde Nächte – Wilde Nächte!
Wär ich bei dir
Wilde Nächte würden
Uns Elixier!
Was will – der Wind noch –
Das Herz liegt im Hafen –
Fort mit dem Kompaß –
Fort mit den Karten!
Landen in Eden –
Ach, das Meer!
Dürft ich doch ankern – Heute Nacht–
In Dir!
(Übersetzung: Werner von Koppenfels)
Original