Flucht vor dem Angriffskrieg der eigenen Regierung – Igor Tikhiy ist einer von Hunderttausenden Russen, die seit der von Wladimir Putin befohlenen sogenannten Teilmobilmachung am 21. September ihr Land verlassen haben. Wie viele andere ging er nach Georgien – die Grenze überquerte er auf dem Fahrrad.
Igor Tikhiy, Russischer Staatsbürger
»Der Krieg spielt eine große Rolle (bei der Entscheidung, Russland zu verlassen). Ja, ich möchte niemanden erschießen und deshalb bin ich hier. Außerdem empfinde ich tiefe Enttäuschung über mein Heimatland. Ich möchte nicht von der Welt abgeschnitten sein - nicht für mich oder meine Kinder - wozu auch? Ich verstehe es einfach nicht.«
Je mehr Russen ins Land kommen, desto mehr wächst allerdings die Kritik seitens der georgischen Bevölkerung, denn das Verhältnis zu Russland ist angespannt. 2008 griff Russland Georgien im sogenannten Fünf-Tage-Krieg an. Auslöser waren die abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien. International werden diese Regionen zu Georgien gezählt. Russland erkannte sie nach dem Krieg jedoch als unabhängig an und hat dort seit 2008 eigene Soldaten stationiert.
Schon zu Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hatte es große Solidaritätskundgebungen vor allem in der Hauptstadt Tiflis gegeben. Letzten Freitag demonstrierten einige Hundert Menschen vor dem Parlament, aus Sorge vor dem Einfluss der vielen Russen im Land.
Lana Ghvinjilia, Aktivistin
»Wenn wir immer noch glauben, dass alle Russen, die hierherkommen, gegen Putin und gegen diese Art von imperialer Politik sind, ist das ein Problem für uns. Dieser Einfluss der russischen Kultur – der russischen sozialen Kultur, von der wir uns in den letzten 30 Jahren versuchen zu befreien.«
Ähnlich ist die Lage in Kasachstan. Hier gilt, genau wie in Georgien: russische Staatsbürger dürfen ohne Visum einreisen. Das kasachische Innenministerium registrierte seit Verkündung der Mobilmachung mehr als 200.000 Einreisen aus Russland.
Auch hier gibt es Vorbehalte gegen die russischen Mobilisierungsflüchtlinge:
Mukhtar Taizhan, national-konservativer Politiker
»Um ehrlich zu sein, bin ich besorgt (über die russische Einwanderungswelle), weil ich nicht weiß, wer (ins Land) kommt und wie sie denken, denn sie kamen erst, nachdem die sogenannte Teilmobilisierung erklärt wurde. Es handelt sich also um Wehrdienstverweigerer, die sich vor der Aussicht, in den Krieg geschickt zu werden, gefürchtet haben, um es ganz offen zu sagen. Wir wissen nicht, was sie denken, ob sie Putin unterstützen oder nicht.«
Neben Georgien und Kasachstan sind viele Russinnen und Russen in die Türkei oder nach Westeuropa geflohen. Russische Medien berichten von 700.000 Menschen, die das Land seit der Mobilisierung verlassen haben sollen. Der Kreml stritt dies zuletzt ab, nannte jedoch keine eigenen Zahlen.
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