Nach den Kämpfen beginnt ihre Arbeit: In den befreiten Gebieten in der Ostukraine haben Sprengstoffexperten begonnen, die ehemals besetzten Dörfer nach Minen abzusuchen. Diese Videos zeigen Mitglieder eines Minenräumkommandos im Garten eines Wohnhauses. Mit einem improvisierten Gerät aus zwei Stäben und einer aufgeschnittenen Plastikflasche versuchen die Soldaten die Sprengfalle ohne Erschütterung anzuheben um sie danach kontrolliert zu sprengen.
Der Garten liegt in dem Dorf Udy, gut 50 Kilometer entfernt von der russischen Grenze. Das Dorf wurde während der jüngsten Offensive von der ukrainischen Armee zurückerobert – die russischen Truppen sollen auf ihrem Rückzug das Dorf vermint haben.
Jaroslaw Kostin, Leiter der Minenräumung der Polizei
»Während unserer Arbeit hier in Udy in der Region Charkiw haben wir russische Stellungen gefunden. Dort fanden wir, was Sie hier sehen: Wir fanden Panzerabwehrminen und Anti-Personen-Minen, die von laut internationaler Konvention verboten sind. Unsere Einheit hat diese Minen gefunden und geräumt.«
Der Einsatz von Antipersonenminen ist international geächtet. Bis heute haben sich 164 Länder der sogenannten Ottawa-Konvention angeschlossen. Die Konvention verbietet den Einsatz, die Lagerung und die Herstellung von Antipersonenminen. Mitglieder sind unter anderem alle Länder der EU sowie die Ukraine. Russland hat sich dem Abkommen nicht angeschlossen.
Lars Winkelsdorf, Waffensachverständiger
»Natürlich wäre es zum Beispiel ein Kriegsverbrechen, wenn solche Minen verlegt würden in zivilen oder medizinischen Einrichtungen. Wenn in religiösen Zentren solche Minen eingerichtet werden – also das kommt natürlich obendrauf.«
Ein zusätzliches Problem für die Minenräumer: Industriell produzierte Minen sind relativ gut sicht- und erkennbar, außerdem werden sie teilweise auf Karten vermerkt. Viel komplizierter ist die Sache mit improvisierte Sprengfallen, die auf den ersten Blick oft übersehen werden. Das macht die Räumung schwierig und jede Alltagshandlung lebensgefährlich.
Lars Winkelsdorf, Waffensachverständiger
»Dass das Hauptproblem, was mir in der Berichterstattung in Videos vor Ort auffällt, ist die unglaublich hohe Zahl und die bestialische Kreativität im Umgang mit versteckten Ladungen, also mit Sprengfallen vorgenommen wird. Es gibt teilweise Sprengfallen, die in Küchenschränke in einfachen Gläsern versteckt worden sind. Es gibt solche Sprengfallen, die auf Toiletten versteckt worden sind, unter Kinderbetten versteckt worden sind. Die Kreativität ist hier nahezu unbegrenzt.«
Verifizierte Video-Aufnahmen von diesen Sprengfallen gibt es wenige. Diese Twitter-Bilder sollen scharfe Granaten-Sprengfallen in Wohnungen zeigen, die von russischen Soldaten bei ihrem Abzug aus der Region um Kiew hinterlassen wurden. Auch in dem ukrainischen Dorf Udy wurden improvisierte Sprengfallen gefunden.
Die Aufnahmen des Räumkommandos zeigen außerdem sogenannte Schmetterlings-Minen. Kleine Minen aus Plastik, die in großer Zahl aus der Luft abgeworfen werden. Sie sind unscheinbar, sehen nicht nach einer Mine aus und explodieren, wenn man sie berührt. Diese unterschiedlichen Minen zu erkennen, lernen die Menschen in der Ukraine zum Beispiel über soziale Netzwerke. Es bleibt jedoch ein Risiko.
Lars Winkelsdorf, Waffensachverständiger
»Also es geht von offiziellen Informationen, in denen davor gewarnt wird, bis hin zu Mund zu Mund Propaganda, völlig abseits von Onlinemedien vor Ort, wo sich die Bevölkerung gegenseitig vor bestimmten Dingen warnt. Aber man muss tatsächlich sagen, dass die Kreativität der eingesetzten Soldaten so hoch ist, dass im Grunde kaum möglich ist, vor derartigen Sprengfallen warnen zu können.«
Die Erfahrungen aus den bereits vor Monaten befreiten Gebieten nördlich um Kiew zeigen, wie aufwändig die Sicherung jener Orte sein kann, die einst von russischen Soldaten besetzt waren. Bis heute sind die Gebiete nicht vollständig entmint. In den jetzt befreiten Ortschaften der Ostukraine fängt die mühselige und zeitraubende Arbeit gerade erst an.
Lars Winkelsdorf, Waffensachverständiger
»Sie werden immer einen hohen Prozentualen Anteil von Minen haben, der nicht geräumt werden kann. Einmal, weil diese Minen nicht gefunden werden. Auf der anderen Seite aber auch, weil die Minen so angeordnet, so verlegt worden sind, dass sie nicht gefunden werden sollen, um dann möglichst langfristig auch eine Gefahr für nachrückende Truppen darstellen zu können. Wir reden hier tatsächlich über einen Bereich von Monaten und Jahren, in denen diese Minen eine Gefahr für nachrückende Truppen, aber auch für die Zivilbevölkerung darstellen können.«
Die Kriegsfolgen werden in der Ukraine noch sehr lange zu spüren sein. Annalena Baerbock kündigte bei ihrem letzten Besuch an, die Unterstützung ziviler Minenräumung weiter auszuweiten. Bis diese Hilfe in dem noch stark umkämpften Osten des Landes ankommen wird, wird es allerdings noch dauern.
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