Bei der Weltmeisterschaft in Katar hat ein Innenverteidiger besonders geglänzt: Josko Gvardiol. Obwohl der Abwehr-Spezialist von RB Leipzig erst 20 Jahre alt ist, ist er für die Defensive der Kroaten unverzichtbar. Völlig zu Recht wurde der Linksfuß als heißer Kandidat auf den Best-Young-Player-Award der Weltmeisterschaft gewählt. Aber auch ohne diese offizielle Auszeichnung hat Gvardiol weltweit für Schlagzeilen gesorgt.
Bei einer Schnell-Fragerunde der NBA, der Nord-amerikanischen Profi-Basketballliga, wurden vor der Weltmeisterschaft 2022 berühmte Profis gefragt, wer denn Weltmeister werden würde und welcher der Katar-Kicker denn am meisten ihrem eigenen Positionsprofil entspricht. Für Ivica Zubac, den Starting-Center der Los Angeles Clippers, war ganz klar: "Natürlich wird Kroatien Weltmeister!", sagte der Kroate lachend. Und welcher Spieler der kroatischen Fußball-Nationalmannschaft kommt dem elitären Ringbeschützer und Verteidiger Zubac am nächsten? " Josko Gvardiol, definitiv."
Zweikampfmonster mit feinem Füßchen
Die beiden Sportstars verbindet mehr als nur deren Nationalität oder die kurz geschorenen Haare: Sie sind beide der defensive Anker ihres Teams. Während Zubac trotz seiner Größe von 2,13 Metern meist unauffällig seine defensiven Aufgaben verrichtet - sein historisches Spiel mit 31 Punkten, 29 Rebounds, drei Assists und drei Blocks gegen die Indiana Pacers vom 27. November ausgenommen - sticht Gvardiol von RB Leipzig dennoch regelmäßig aus dem kroatischen Star-Ensemble heraus.
Sichtbar wurde das beispielsweise beim 4:1-Sieg Kroatiens gegen Kanada: Der 1,85 Meter große Gvardiol gewann 100 Prozent seiner Luftzweikämpfe - insgesamt holte er 71,4 Prozent der Zweikämpfe. Seine acht klärenden Aktionen waren ebenfalls Höchstwert bei den Kroaten, genauso wie seine zwei abgefangenen Bälle. Mit seinem starken und präzisen linken Fuß ist der Leipziger zudem überaus wertvoll im Spielaufbau: Gegen Kanada spielte er z.B. die zweitmeisten Pässe seines Teams. Eine rundum gelungene Vorstellung des 20-Jährigen also. Dennoch wohl nur Zufall, dass die Partie gegen Kanada ebenfalls am 27. November stattfand.
Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden kroatischen Sportstars, neben dem Fakt, dass sie ihre sportliche Karriere beide in Zagreb begannen: Sie machen ihre Mitspieler, die in ihrem Metier als absolute Ausnahmekönner gelten, noch besser. Lässt ein Zubac Größen wie einen Kawhi Leonard oder Paul George durch seine Zuarbeit noch heller strahlen, so hält Gvardiol bei Kroatien Luka Modric oder bei Leipzig einem Christopher Nkunku den Rücken frei und sichert in der Abwehr seine erfahrenen Nebenmänner Dejan Loren oder auch Willi Orban dank seiner Geschwindigkeit von knapp 35 km/h in der Spitze läuferisch ab.
Stand Gvardiol bei allen sieben WM-Spielen Kroatiens in der Startaufstellung des Teams, so musste der Verteidiger im Oktober zwei Bundesliga-Spiele bei den Sachsen passen. Wegen Knieproblemen und einem Nasenbeinbruch konnte er nicht alle Partien für das Team von Marco Rose absolvieren. Auf dem Platz sorgte er mit 67 Prozent gewonnenen Zweikämpfen für Recht und Ordnung in der Defensive Leipzigs - kein anderer Spieler hat dort mehr direkte Duelle für sich entschieden.
Hohes Tempo gepaart mit gutem Stellungsspiel, starkem Timing für Tacklings sowie mit Anfang 20 bereits ein Habitus und die Ausstrahlung eines Routiniers. Dazu kommt noch seine überragende Passquote von 92 Prozent (keiner ist besser bei Leipzig), in der vergangenen Saison bewies er auch noch Torgefahr mit zwei Treffern und zwei Assists - Gvardiol ist dem Talent-Status bereits weit enteilt.
"Er ist der beste Innenverteidiger der Welt", lobte ihn etwa Zlatko Dalic, der Nationaltrainer Kroatiens, nach dem 0:0 im dritten Gruppenspiel gegen Belgien, das das Weiterkommen in die K.o.-Runde ermöglichte. "Er ist so stark, souverän und zugleich elegant, macht alles mit einer ungeheuren Leichtigkeit." Im Achtelfinale überwanden die defensivstarken Kroaten Deutschland-Bezwinger Japan im Elfmeterschießen. Genauso wie den Top-Favorit Brasilien um die Offensiv-Stars Richarlison, Vinicius Junior und Neymar. Im Halbfinale ging es gegen die beste Zehn der vergangenen Jahrzehnte: Lionel Messi. Während Gvardiol seine Sache gegen einen starken Gegner lange sehr ordentlich machte, versetzte ihn Messi vor dem Treffer von 3:0. Aber aus dieser Szene wird Gvardiol sicher auch viel lernen.
"Ich möchte nicht mehr über das Halbfinale reden", sagte Gvardiol später und ließ schon im Spiel um Platz 3 gegen Marokko beeindruckende Taten folgen. Mit einem sehenswerten Flugkopfball zum 1:0 legte er den Grundstein für den 2:1-Sieg und die Bronze-Medaille, die das Team euphorisch feierte. "Wir haben Bronze gewonnen, aber die Medaille glitzert wie Gold", erklärte Zlatko Dadic nach dem Sieg gegen die Nordafrikaner.
2018 wurde Kroatien noch Zweiter, unterlag im Finale von Moskau den Franzosen mit 2:4. Bei der WM in Katar schließt das kleine Land, das dennoch eine riesige Sportnation ist, nun als Dritter ab. Mit einem 20 Jahre alten Innenverteidiger als Schlüsselfigur in der Defensive. Auch auf sein Juwel in der Abwehr zielt Dadic sicher ab, wenn er sagt: „Kroatien hat faszinierende Aussichten."
Und das hat der 20-jährige Gvardiol dem fünf Jahre älteren Zubac dann doch voraus: Eine Auszeichnung, die Bronzemedaille bei der WM, für sportlich erbrachte Leistungen auf dem höchst möglichen Niveau seiner Zunft. Aber durchaus möglich, dass der Clippers-Center seinem fußballerischen Äquivalent nachfolgt: Im November führte ihn die NBA im Rennen um den Defensive Player of the Year unter den Top-10 – und: Die Clippers sind auf Playoff-Kurs.
Patrick Dirrigl
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