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Vom Kuhdarm zum Käsegenuss

Am neuen Zentrum für Futter- und Lebensmittelqualität in Tulln gehen Wissenschaft und Wirtschaft einer gemeinsamen Frage nach: Wie kann die Nahrungsherstellung für Mensch und Tier optimiert werden?


Manchmal schleicht sich in Hartkäse ein Käsefehler ein. Das passiert oft im frühesten Produktionsstadium: bei der Fütterung der Kuh, deren Milch man später zu Käse verarbeitet. Kühe werden im Winter statt mit Heu häufig mit Silage gefüttert, also Gras, Klee oder Mais mit Milchsäure vergoren und so - ähnlich unserem Sauerkraut - haltbar gemacht. Diese Silagefütterung aber kann in der Käseproduktion zur Fehlgärung führen. Mit dem Qualitätsfehler auf mikrobieller Ebene muss sich der Käser herumschlagen, obwohl die Ursache dafür im Kuhstall liegt.

Deshalb ist eine umfassende und ganzheitliche Betrachtung aller involvierten Arbeitsbereiche sinnvoll, wenn man entlang der Wertschöpfungskette von Futter- und Lebensmitteln forscht. Das tut zum Beispiel Martin Wagner. Er ist Leiter des Instituts für Milchhygiene an der Veterinärmedizinischen Universität Wien - und nun auch wissenschaftlicher Leiter eines neuen Zentrums für Feed and Food Quality, Safety & Innovation (FFoQSI; Futtermittel- und Lebensmittelqualität, -sicherheit und -innovation). Der Forschungscluster wurde als K1-Zentrum im Rahmen des Kompetenzzentrenprogrammes Comet von Wissenschafts- und Technologieministerium gegründet. Vergangenen Donnerstag eröffnete er am Forschungszentrum Tulln der Universität für Bodenkultur Wien.

Den Käsefehler vermeiden

Weiters beteiligt am Projekt sind - neben Vet-Med und Boku - die FH Oberösterreich, das Austrian Institute of Technology, die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit Ages, das Forschungsunternehmen für zerstörungsfreie Prüfung Recendt sowie mehr als 30 Partner aus der Wirtschaft.

Die Arbeit, die FFoQSI leisten will, basiert auf gemeinsamen Interessen von Wissenschaft und Industrie. Und die liegen z. B. eben im Vermeiden mikrobieller Probleme wie dem Käsefehler - „mittels neuester Analytik", wie Wagner sagt. Am Zentrum soll aber weniger eine punktuelle Aufgabe nach der anderen abgearbeitet als systemisch geforscht werden.

„Die Wirtschaft möchte naheliegenderweise von der Forschung häufig akute Probleme gelöst haben. Am FFoQSI wollen wir weiter in die Zukunft denken", so Wagner. In einer eher kleinteilig strukturierten Lebensmittelbranche wie der österreichischen sei ein Schulterschluss aller Beteiligten „extrem wichtig". 48 Prozent der heimischen Milchprodukte gehen heute in den Export, während es vor 20 Jahren nur sieben Prozent waren, sagt Wagner. „Der Wettbewerb ist ein internationaler - und andere Länder haben ein viel höheres Forschungsbudget in dem Bereich."

Der Kleinteiligkeit unserer Landwirtschaft ist gleich eines der ersten Projekte am FFoQSI gewidmet: Auf einer sogenannten Isotopen-Landkarte wird die geochemische Zusammensetzung der österreichischen Böden dokumentiert. Wagner: „Pflanzliche Lebensmittel spiegeln die Isotopensignatur der Felder wider, auf denen sie wachsen. In Österreich, wo Rohstoffe häufig zwischen Produzenten ausgetauscht werden, sind diese Informationen sehr wichtig."

Darmflora beeinflusst Denken

Die hohe Qualität und Diversität österreichischer Produkte sei dabei auch das As im Ärmel der heimischen Landwirtschaft: „Am internationalen Markt der Massenlebensmittel wird sich Österreich eher nicht behaupten können, im Spezialitätensegment sehr wohl."

Ein weiteres am FFoQSI zu erschließendes Fachgebiet ist laut Wagner die Nutrigenomik: Dabei wird erforscht, wie Futtermittel die Mikroorganismen im Darm der Kuh beeinflussen. „Die Darmflora etwa kann im Körper hormonelle oder kognitive Veränderungen bewirken", sagt Wagner. „Das heißt: Wir alle programmieren uns über Lebensmittel." Auch international werde dieser Bereich gerade als einer der zukunftsreichsten in der Lebensmittelforschung gesehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2017)


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