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Krebse erzeugen wasserfesten Superkleber

Krebse bewegen sich üblicherweise im Krebsgang voran. Diese Art nicht: Dosima fascicularis sitzt fest. Nach dem Larvenstadium, das die Tiere mehrere Wochen lang frei schwimmend als Plankton im Meer verbringen, klammern sie sich an ein Substrat, an Felsen, Seetang, Holz oder auch anderes Treibgut, etwa Kunststoff. Dabei steht das Tier Kopf: „Dosima heftet sich mit den Antennen oder Fühlern fest, die sich an ihrem Stiel befinden - denn das ist eigentlich der verlängerte Vorderkopf des Krebses", erklärt Waltraud Klepal von der Fakultät für Lebenswissenschaften der Uni Wien.

Die Tiere kleben sich buchstäblich mittels eines selbst produzierten „Zements" am Untergrund fest. Diese Substanz, der richtige Superkleber-Eigenschaften nachgesagt werden, haben Biologen um Klepal nun eingehend untersucht. Der Wissenschaftsfonds FWF unterstützte das deutsch-irisch-österreichische Projekt. In nanometerdünnen Schnitten wurde Dosima im Elektronenmikroskop untersucht. Auch im Computertomografen scannten die Forscher das nur wenige Zentimeter große Tier, das zu den Rankenfußkrebsen gehört.

Es stellte sich heraus, dass der Zement durch Poren aus dem Kopf dringt, an der Körperstelle, mit der sich das Tier festsetzt. „Da aber so viel Zement produziert wird, sind diese Poren bald verschlossen, und am weichen Stiel öffnen sich neue", damit das Tier nicht am eigenen Klebstoff erstickt, so Klepal.


Immer neue Zementschichten

Diese Verschiebung der Poren war den Wissenschaftlern bisher unbekannt. Neu war für sie auch, wie jede einzelne Drüsenzelle zu einem Ausleitungskanal werden kann: Einzelne Zellbestandteile sterben ab und geben so einem neuen Kanal Raum. Das Tier wächst mit seiner Häutung - die Krebse können mehrere Jahre alt werden -, und in diesen Zyklen bilden sich außerhalb seines Körpers immer neue Zementschichten.

Der Klebstoff an der Klebestelle wächst so zu einem richtigen „Zementball" an, wie Klepal sagt. Doch ist dieser nicht schwer wie Beton, sondern ein schaumartiges Hydrogel aus Wasser, Proteinen und Kohlenhydraten. Das Sekret hat eine poröse Struktur und bleibt elastisch. Ein solcher Ball wurde von den Forschern auch im Rasterelektronenmikroskop untersucht.

Das Klebegel wird in so großen Mengen produziert, dass es manchmal das ursprüngliche Substrat, etwa eine Alge, völlig überwuchert. Damit kehrt es seine eigene Funktion um: Es ermöglicht plötzlich nicht mehr die Sesshaftigkeit des Tieres - sondern dessen Fortbewegung. „Man sieht dann im Meer nur mehr ein Tier oder mehrere Tiere auf ,Floßen' dahintreiben. Manchmal schließen sich Larven der gleichen Art an und tragen zu dem Zementfloß bei."


Wasserfest und stoßdämpfend

Das Vehikel kann einen Durchmesser von bis zu drei Zentimetern erreichen, wobei seine Größe natürlich von der des jeweiligen Tieres abhängt. Dank Gaseinschlüssen (möglicherweise ein Stoffwechselnebenprodukt der Tiere) im Sekret hat das Floß genug Auftrieb. Auf diese Art und Weise können auch die eigentlich sessilen, also festsitzenden, Rankenfußkrebse neue Lebensräume erschließen: „Durch das Floß erlangen die Tiere sekundär Mobilität", sagt Klepal.

Die Eigenschaften des Zements machen ihn für Medizin und Technik hochinteressant: Einerseits wirkt er dank seiner Porosität stoßdämpfend, andererseits wird er nicht nur im Meereswasser gebildet, sondern härtet dort auch aus. Das könnte zu seinem wasserfesten Einsatz in der Wundheilung führen; als eine Art Dämpfungskissen, das Bandscheiben ersetzt, könnte die Substanz auch nützlich sein.

Der Zement ist für den medizinischen Einsatz auch deshalb ideal, weil er keine Toxine enthält, wie das Wiener Team in ersten Experimenten mit Zellkulturen bereits nachwies; weitere Verträglichkeitsprüfungen stehen bevor. Klepal erzählt, dass die Forschung schon vor Jahrzehnten - im Zweiten Weltkrieg - auf den Klebstoff aufmerksam geworden sei. Damals reduzierten Seepocken, die sich am Schiffsbug festsetzten, die Geschwindigkeit von Kriegsschiffen. Auch die Zahnmedizin habe sich bereits für den Klebstoff der Krebse interessiert, so Klepal, allerdings den einer anderen Art als der Dosima. Doch nur sie produziert ihren speziellen Zement in großer Menge.

Gekocht oder frittiert?

Andere Rankenfußkrebse, die Entenmuscheln, sondern deutlich weniger Sekret ab und werden an der europäischen Atlantikküste auch gern als Spezialität - gekocht oder frittiert - verzehrt. Dafür sei Dosima aber zu rar und auch zu schwer zu ernten, sagt Klepal.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2016)

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