Die Zahlen klingen alarmierend: 70,4 Stunden pro Woche verbrachten Jugendliche in der Corona-Zeit 2021 laut der aktuellen Postbank-Digitalstudie im Internet. Das sind etwa zwölf Stunden mehr als noch im Jahr 2019. Kein Wunder, immerhin fand ein Großteil des Unterrichts digital statt. Nur ergab die Untersuchung auch, dass Schule, Studium oder Ausbildung weniger als ein Drittel der Zeit im Internet ausmachten. Das bedeutet: Junge Menschen hingen auch abseits vom Digitalunterricht viele Stunden im Internet - im Durchschnitt daddelten sie etwa sechs Stunden am Tag am Smartphone. Den einen oder anderen wird das empören.
Aber ist das wirklich so dramatisch? Gerade in der Pandemie hat sich gezeigt, wie bereichernd das Internet vor allem auf sozialer Ebene sein kann. Ein Kaffee mit Oma, ein Bier mit Freunden, all das war im richtigen Leben nicht möglich oder zumindest nicht erlaubt. Zoom, Facetime oder Whatsapp sind zu virtuellen Treffpunkten geworden, haben die Bar oder das Café ein paar Monate lang ersetzt, indem sich die Menschen über Videotelefonie begegnet sind. Der Einkauf war mit ein paar Klicks kontaktlos erledigt, Anleitung fürs Sporttraining zu Hause übernahmen Youtuber. Überhaupt: Das Internet hat in dieser Zeit manches erträglicher gemacht.
Tatsache ist, dass sich die Lebenswirklichkeit in den vergangenen Jahren verändert hat – sich ein großer Teil des gesellschaftlichen Miteinanders online abspielt. Vor allem für die jungen Generationen, aber auch für ältere, und das auf allen Ebenen. Das zeigt beispielsweise eine Studie des Netzwerk-Anbieters Nord VPN unter 18- bis 74-Jährigen. Im Durchschnitt verbringen Deutsche demnach 24 Jahre, acht Monate und 14 Tage ihres Lebens online. Darunter fällt zu einem großen Teil die Arbeit, aber natürlich auch Shopping, Spiele, die Organisation des Alltags oder das Streaming von Filmen und Musik. Es ist also keineswegs ein Thema, das nur Jugendliche betrifft.
Dennoch zeichnet sich eine Entwicklung ab, die vor allem bei Jüngeren zu beobachten ist und bei der das Internet eine große Rolle spielt: Eine Kluft tut sich auf. An dem einen, zahlenmäßig gar nicht so kleinen Rand gibt es die, die sich im Web politisieren. In Facebook-Gruppen vernetzen sich Fridays-for-Future-Aktivisten, in Messenger-Diensten wie Whatsapp oder Signal wird eifrig diskutiert, auf Instagram teilen junge Leute massenhaft Beiträge zur Situation in Afghanistan oder zum Nahost-Konflikt. Das ist nicht immer unproblematisch – Falschinformationen, Radikalisierung und Hasskommentare trüben das Bild. Trotzdem zeigt sich, dass die Jugend nicht grundsätzlich politikverdrossen ist.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch jene, die sich mit der Informationsflut überfordert fühlen und nichts von aktuellen Debatten mitbekommen, die das Internet vorwiegend zur Unterhaltung und Berieselung nutzen. Die Rede ist von digitaler Verdummung. Dabei kann jeder ständig und überall an seriöse Informationen kommen – wenn er denn will und weiß, wie. Keiner kann sagen, der Aufwand wäre zu hoch. Und trotzdem ploppen solche Meldungen auf: Ein Großteil der Bremer im Alter zwischen 20 und 29 Jahren wisse nicht, was die Bremische Bürgerschaft ist. Ein fatales Signal für die Demokratie.
Die gesundheitlichen Folgen, die die lange Zeit am Bildschirm oder der gesellschaftliche Druck durch soziale Medien mit sich bringen können, mal ausgeklammert – es ist kaum vermeidbar, dass das Smartphone und das Internet stetige Begleiter im Alltag bleiben und an Bedeutung gewinnen. Darauf müssen Gesellschaft und Politik reagieren: Medienkompetenz in die Schulbildung verankern, härter gegen Falschinformationen und jugendgefährdende Inhalte vorgehen, für Datenschutz sensibilisieren und die Folgen des intensiven Internetkonsums vermitteln.
Nur so kann es gelingen, dass wir uns nicht "zu Tode amüsieren", wie es der US-Medienwissenschaftler Neil Postman bereits 1985 über das Fernsehen schrieb. Das Internet muss sich vielmehr als informativer und kreativer Teil des Lebens etablieren, aus dem alle Generationen einen Mehrwert schöpfen können.