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Kinderpornografie: Ampel will Strafen entschärfen - Gibt es minderschwere Fälle?

Würden Sie sich dafür aussprechen, Kinderpornographie milder zu bestrafen? Die Blicke, die Sie etwa in einer Feierabendrunde unter Freunden für einen derartigen Vorstoß kassieren würden, können Sie sich vorstellen. Solche und ähnliche Reaktionen dürften Mitarbeiter des Bundesjustizministeriums aktuell ernten, wenn sie von ihrer Arbeit berichten. Zu Unrecht.


Die Ampelregierung hat signalisiert, eine der umstrittensten Strafrechtsreformen der letzten Jahre wieder rückgängig machen zu wollen. Zwei Jahre ist es her, dass Herstellung, Besitz und Verbreitung von Abbildungen von Kindesmissbrauch zum „Verbrechen" hochgestuft wurden. Das sind alle Delikte, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht sind. Die Staatsanwaltschaft kann seitdem die Verfahren nicht mehr einstellen, Gerichte keine Geldstrafe verhängen und auch einen „minder schweren Fall" gibt es nicht. Ein Gesetzgebungsprozess von zwei Monaten, für Parlamentsverhältnisse Lichtgeschwindigkeit, war der Reform damals vorausgegangen. Es war das Jahr 2021, das Land stand unter dem Eindruck der Missbrauchsfälle von Lügde und Bergisch-Gladbach - und des Dauerwahlkampfs. Die Boulevardpresse spuckte Gift und Galle wegen vermeintlich zu lascher Gesetze, Law-and-Order-Politiker pochten auf Verschärfung. Christine Lambrecht (SPD), damals Justizministerin, sprach sich zunächst dagegen aus und machte dann doch eine Kehrtwende.


Die angehörten Sachverständigen, etwa der Deutsche Richterbund, der Deutsche Juristinnenbund und die Rechtsanwaltskammer, waren so deutlich wie selten. „Nicht nachvollziehbar" sei die Strafverschärfung, eine „symbolhafte Gesetzgebung", die „keine Legitimation" habe und von der die „Abschreckungswirkung nicht zu erwarten" sei. Und - im Sinne der alten Weisheit, dass ein Gesetz nur so viel wert ist wie seine Umsetzung - „mit der gegenwärtigen Personalausstattung nicht ansatzweise zu bewältigen".


„Typische GroKo-Operation"

Eine „typische Groko-Operation", nennt Daniel Brunkhors t die Strafverschärfung, „vom Boulevard angetrieben". Der Hannoveraner Fachanwalt für Strafrecht betreut häufig Mandanten, denen der Kontakt mit Kindesmissbrauchsabbildungen vorgeworfen wird. Mindestens die Hälfte, schätzt er, sind selbst minderjährig. Hier könne man durch das Jugendstrafrecht noch einiges erreichen. Aber dass das Gesetz bei den verbotenen Inhalten keine Abstufungen zulässt, hält er für einen groben Fehler. „Es ist einfach ein Unterschied, ob ein Bild den Hintern einer Dreizehnjährigen zeigt oder ob zu sehen ist, wie eine Sechsjährige vergewaltigt wird." Ein minder schwerer Fall von Kinderpornographie? Den Gedanken müsse man zulassen, wenn man die Taten effektiv verfolgen wolle.

Dazu gehöre auch die Möglichkeit einer Freiheitsstrafe von unter einem Jahr. „Der Verdacht des Besitzes von Kinderpornographie ist so vernichtend, dass man den Staat manchmal gar nicht mehr braucht" findet der Strafverteidiger. „Die Menschen verlieren den Job, die Familie den Freundeskreis - schon wegen der Durchsuchung. Da haben wir noch nicht darüber geredet, dass man am Ende tatsächlich Bilder findet." Sinnvoller findet Brunkhorst Investitionen in die technische Ausrüstung und Know-How bei der Polizei. „Aber das kostet natürlich viele Millionen Euro mehr als das, was im Bundestag umsonst war."


In der Wissenschaft ist das Phänomen bekannt. Anja Schmidt leitet das Forschungsprojekt „Pornographie und sexuelle Selbstbestimmung" am Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Halle-Wittenberg. „Durch Strafschärfungen oder Forderungen danach soll häufig der Eindruck in der Öffentlichkeit erweckt werden, dass ein Misstand von der Politik erfolgreich beseitigt wird", erklärt sie. Allerdings wären Strafschärfungen eigentlich keine geeigneten Mittel dafür - das Verhalten, um das es geht, sei ja schon strafbar. „Viel hilfreicher wären oft Maßnahmen, die finanziell und organisatorisch aufwändiger, aber weniger öffentlich sichtbar sind" Das seien beispielsweise eine bessere personelle Ausstattung der Justiz oder Schutzkonzepte für Kinder in Schulen und Kitas, mit denen die Betroffenheit eines Kindes von sexuellem Missbrauch besser erkannt werden kann „und die dann auch personell, organisatorisch und finanziell ermöglicht werden."


Es stecken allerdings nicht nur Imagesorgen der Politik dahinter, wenn harte Strafen gesellschaftliche Probleme lösen sollen. Auf dem heiklen Gebiet der Sexualdelikte beobachten manche Experten eine ungewöhnliche Entwicklung. „Bis vor einigen Jahren kamen Forderungen nach Strafverschärfungen eher von konservativer oder deutlich rechter Seite", sagt Monika Frommel, Kriminologin und ehemalige Direktorin des Instituts für Sanktionenrecht und Kriminologie der Universität Kiel. „Bei den Erweiterungen und Schärfungen des Sexualstrafrechts sind auch die Grünen und die SPD für eine stärkere Nutzung des Strafrechts." Man könne das einen „punitiven Feminismus" nennen - einen Feminismus, der Gleichstellung durch harte Strafe erreichen will.

Eine wissenschaftliche Legitimation gebe es dafür nicht. „Es fehlt an sorgfältigen empirischen Studien", sagt Frommel. „Stattdessen dominiert Empörung über angeblich falsch - zu milde - entschiedene Einzelfälle. Diskutiert wird nicht, inwiefern diese Einzelfälle falsch entschieden wurden." Auch Anja Schmidt von der Universität Halle-Wittenberg sieht empörungsgetriebene Strafrechtsreformen kritisch: „Es ist nicht Aufgabe des Strafrechts, maßlosen Bestrafungswünschen zu gerecht zu werden."


Einigkeit unter Strafverteidigern und Polizisten

Anderthalb Jahre nach der Reform von 2021 zeigte sich Kriminaloberrat Sven Schneider vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung überrumpelt von den negativen Folgen. „Die Strafverschärfung als solche haben wir Ermittler ausdrücklich gefordert", erinnerte sich Schneider. Jetzt sähe man „manche unbeabsichtigte Nebenwirkung". Etwa den Umstand, dass auch nach seinen Schätzungen die Hälfte der Tatverdächtigen selbst Jugendliche sind oder Fälle erfasst werden, in denen kein strafwürdiges Verhalten vorliegt. Wie Rechtsanwalt Daniel Brunkhorst hält er das für alarmierend. Einigkeit unter Strafverteidigern und Polizisten - das hat äußersten Seltenheitswert. Kriminaloberrat Schneider schildert etwa Durchsuchungen bei jungen Menschen, die „ein vermeintlich lustiges, in Wirklichkeit aber kinderpornographisches Filmchen weitergeleitet haben - wir sprechen von viralen Inhalten, die aufgrund von digitaler Naivität verbreitet werden." Ein Aufwand, den man sich „sehr gerne sparen" würde.

Während die Polizei allmählich den Eintritt der Prognosen der Fachleute anmeldet, will das Justizministerium nun offenbar nachjustieren. Die Justizministerkonferenz hatte schon im November vergangenen Jahres eine Milderung oder zumindest die Ergänzung um minderschwere Fälle angeregt. Buschmanns Haus arbeitet nun an einer Strafrechtsreform, mit der allerdings erst im kommenden Jahr gerechnet wird. Johannes Fechner, Justiziar der SPD-Bundestagsfraktion, mahnte zuletzt Tempo an: „Es wäre gut, wenn Minister Buschmann zeitnah einen Vorschlag vorlegt, den wir dann zügig beraten werden", sagte er gegenüber dem NDR.

Die unabhängige Beauftragte für Fragen des Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, begrüßt die geplante Entschärfung: „Wir haben bereits im Gesetzgebungsverfahren darauf hingewiesen, dass wir Nachteile von einigen Aspekten der Strafverschärfung befürchten." Diese Befürchtungen seien wie erwartet eingetreten. Neben der Diskussion über Strafen müsse die Bundesregierung vor allem die Überlastung bekämpfen: „Justiz und Ermittlungsbehörden brauchen ausreichende Ressourcen, um sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche konsequent zu verfolgen."

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