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Das Kino auf dem Berg

Mit Kevin Hanschke


WIESBADEN. Mit seinem Strohhut und gelben Hawaii-Hemd zieht Kermek in der kasachischen Steppe alle Blicke auf sich. Er passt einfach nicht hierher, in die weite, trostlose Landschaft. Doch wo soll er hin? Gerade erst aus dem Straflager entlassen, kehrt er in sein Heimatdorf zurück. Dort sind die Leute wenig begeistert von dem Kleinkriminellen und Tagträumer, der nur ein Ziel hat: ein Kino in den Bergen Kasachstans zu bauen. Filme waren für Kermek ein Ort der Zuflucht aus seiner brutalen Knastrealität. In die bewegten Bilder projizierte er seine Hoffnungen und Sehnsüchte. Doch von den Fesseln seiner Vergangenheit, der organisierten Kriminalität, den korrupten Polizeibeamten und dem Gefängnismilieu kann er sich nicht lösen.

In „Gelbe Katze" erzählt der kasachische Regisseur Adilkhan Yerzhanov die Geschichte eines skurrilen Cineasten und entwickelt dabei ein düsteres Gangster-Road-Movie durch die Einöde, das an Terrence Malicks „Badlands" erinnert. Dabei ist das Werk auch eine beißende Sozialsatire, denn es sind vor allem staatliche Stellen und ein engmaschiges kriminelles Netz, die Kermek immer wieder in den Sumpf der organisierten Kriminalität zurückziehen.

„Gelbe Katze" ist der Eröffnungsfilm des Filmfestivals Go East, das seinen Sitz in Wiesbaden hat und noch bis 26. April digital stattfindet. Eine melancholische Ode an das Kino, untermalt mit Synthiepop-Klängen, die dazu einlädt, die Filmszene Kasachstans zu entdecken. Die 16 anderen Wettbewerbseinreichungen müssen sich daran messen lassen. Dabei schaut die 21. Ausgabe von Go East nicht nur nach Kasachstan. Das komplette diesjährige Symposion ist Zentralasien gewidmet. In den Diskussionen und Vorlesungen geht es um usbekische Filme der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts oder um die Situation von Frauen in der oft vergessenen Weltregion.

„Das Festival erinnert daran, dass das zentralasiatische Kino keine Eintagsfliege ist, dass es Trends und eine lange Geschichte hat", sagt Adilkhan Yerzhanov im Gespräch mit der F.A.Z. Seit 2013 ist er regelmäßig in Wiesbaden dabei. Vor zwei Jahren gewann er für „Die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt" den Kritikerpreis und den Preis für die beste Regie. Nun ist er gleich mit drei Produktionen bei Go East vertreten. Neben „Gelbe Katze" und dem Drama „Ulbolsyn", die beide am Wettbewerb teilnehmen, ist auch sein neunzehnminütiger Kurzfilm „Bakhytjamal" zu sehen, der sich mit der Lebenswirklichkeit eines jungen Kioskbesitzers und der Suche nach Liebe auseinandersetzt. Dass einer seiner Filme dieses Jahr zur Eröffnung ausgewählt wurde, erfüllt ihn mit Stolz, denn er habe gute Erinnerungen an das Festival und die hessische Landeshauptstadt. „Die Filme hier helfen dabei, das große Ganze zu verstehen und generieren Austausch."

Charakteristisch für Yerzhanov ist der Fokus auf die politischen Probleme und kulturellen Gegensätze in seinem Heimatland Kasachstan. Oft geht es dabei um das Gefälle von Stadt und Land. So auch in dem Film „Ulbolsyn", der das konservative und traditionelle Dorfleben thematisiert. Die Hauptfigur Ulbolsyn verdingt sich als Schauspielerin in der Großstadt Almaty. In ihrem Heimatdorf Karatas gilt sie deshalb als promisk und arrogant. Für ihre 16 Jahre alte Schwester wünscht sie sich eine gute Ausbildung und ein selbstbestimmtes Leben. Doch dabei trifft sie auf den Widerstand der patriarchalischen Dorfgemeinschaft, die das Mädchen mit dem örtlichen Schamanen verheiratet sehen will. Viel mehr noch als „Gelbe Katze" ist „Ulbolsyn" eine Kritik an der kasachischen Gesellschaft.

Yerzhanov stammt selbst aus einem Provinzort, der Kupferstadt Schesqasghan, in der Mitte Kasachstans gelegen. 1982 geboren, gehört er heute zu den wichtigsten jungen Stimmen des kasachischen Films. Seine Produktionen „Die Besitzer", „Die Plage im Dorf Karatas" oder „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt" wurden auf internationalen Filmfestivals, unter anderem in Cannes und Venedig, gezeigt.

Dabei dreht Yerzhanov fast jedes Jahr eine neue Produktion ab. „Im Durchschnitt arbeite ich vier Monate an einem Film", erklärt er. Zwei Monate brauche er für die Vorbereitung, einen Monat für die Dreharbeiten und einen für die Postproduktion. „Ich mag es nicht, den Prozess in die Länge zu ziehen. Ein Regisseur sollte in der Lage sein, konzentriert und schnell zu drehen."

In Kasachstan gehört er zu den wenigen Filmschaffenden, die auch in den großen Kinos zu sehen sind. Seine düsteren und realistischen Werke sind dennoch keine Kassenschlager. Manchmal spielen sie gerade einmal ein Zehntel der Produktionskosten ein. Das Problem sei vor allem die Kommerzialisierung von Autorenfilmen. Mit staatlicher Zensur habe er in dem autoritär regierten Land hingegen noch nie Probleme gehabt, sagt Yerzhanov. „Ich habe schon sowohl mit privaten als auch mit staatlichen Unternehmen zusammengearbeitet. Ich spüre keinen Unterschied - meine kreative Freiheit ist unantastbar."

Der zentralasiatische Steppenstaat kann auf eine lange Filmgeschichte zurückschauen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden viele der großen sowjetischen Produktionen aus Moskau ausgelagert und in Almaty gedreht. In den achtziger Jahren folgte eine „kasachische Welle", bei der unter anderem der Klassiker „Die Nadel" mit Musiklegende Wiktor Zoi in der Hauptrolle entstand. Yerzhanov orientiert sich in seiner Arbeit an diesen „schwarzen Filmen" von Filmemachern wie Satybaldy Narymbetov und Raschid Nugmanow. Doch auch Actionfilme wie „Six-String Samurai" von Lance Mungia oder „Butch Cassidy and the Sundance Kid" von William Goldman inspirieren ihn.

Seine filmischen Vorbilder erklären wohl auch, woher Yerzhanovs Vorliebe für das Sujet des kasachischen Dorfes kommt, in dem Gesetzlosigkeit herrscht. „Alle großen Werke, die ich liebe, haben ein kriminelles Element. Kino ist auf Verbrechen und Strafe aufgebaut. Das sind die Gesetze des Genres. Ich interessiere mich für die Natur des Dramas, wenn etwas gebrochen, übertreten wird. Verbrechen ist sehr filmisch", sagt er.

Sein Protagonist Kermek mit dem gelben Hawaiihemd versucht dem Verbrechen zu entkommen. Der Außenseiter der kasachischen Gesellschaft liebt den französischen Nouvelle-Vague-Film und findet in den bewegten Bildern Halt, beschreibt Yerzhanov seinen Helden. „Kermeks ganze Reise ist ein Versuch, in den Himmel zu fliegen. Sich von den Gesetzen der Schwerkraft und des Alltags zu lösen."

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