Mit Sophia Fritz sprach Ornella Cosenza
Ich hatte eine christlich geprägte Kindheit. Daran habe ich positive Erinnerungen, ich war lange Ministrantin. Mein Buch ist auch ein Buch über eine christliche Kindheit, so ein Kinderglaube, der abgefallen ist und durch nichts so richtig ersetzt werden kann. Mit was fülle ich jetzt das, wo früher Gott war? Mit 16 bin ich aus der katholischen Kirche ausgetreten.
Je älter ich wurde, desto weniger war ich einverstanden mit dem grösseren Rahmen der katholischen Kirche. Für das Grosse konnte ich nicht mehr stehen. Die ganzen Missbrauchsfälle und so weiter. Ausserdem gab es da niemanden, mit dem ich mich hätte identifizieren können. Deshalb war es auch wichtig für mich, dieses Buch zu schreiben.
Ich dachte, dass es vielleicht noch mehr Leute gibt, die christlich aufgewachsen sind und dann den Bezug dazu verloren haben, ohne dass der Bedarf an Gott wirklich gedeckt war. Es tröstet mich nicht mehr, in die Kirche zu gehen, aber ich möchte eigentlich, dass Gott existiert. Christliche Bücher sind meistens belehrend oder missionierend - da wollte ich einen Gegensatz dazu machen.
Das Buch besteht ja eher aus essayartigen Texten von mir und im Wechsel stehen immer Geschichten aus der Sicht einer Bibelfigur. Es beginnt mit Eva und endet mit Petrus. Vom Alten ins Neue Testament. Und ja, es ist zwar als Sachbuch erschienen, aber ich will mir mit 22 nicht anmassen, ein Sachbuch über Gott geschrieben zu haben (lacht). Ich habe ja auch gar nicht den Anspruch, Antworten zu finden.
Es sollte ein Buch sein, das viele junge Menschen lesen können. Auch die, die nicht viel mit Gott anfangen können. Ich habe ausserdem auch versucht, etwas zu schreiben, das ich so selbst noch nicht gesehen habe und das Fragen aufwirft. Das Buch ist da, um zu schauen, was da ist und was fehlt.
Das Thema funktioniert weniger gut auf Instagram. Aber das liegt auch am Format. Aphorismen eignen sich einfach besser für den Instagram-Schreibstil. Ich habe allerdings auch vier Monate nicht gepostet.
Ich glaube, ich bin ein bisschen selbstbewusster geworden, was meine Zeit angeht. Es gab jetzt eine Zeit, in der es mir nicht wichtig war, dass Leute wissen, wo ich bin, oder in welcher Phase ich stecke. Jetzt habe ich wieder Lust, in Kontakt zu treten und Meinungen von Fremden zu wissen. Es gibt aber eben auch Zeiten, da will ich einfach nur meine Meinung wissen.
Es ist zu hundert Prozent sicher, dass ich sterben werde. Deshalb macht es für mich Sinn, mich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Darum habe ich mich für den Kurs angemeldet.
"Der Verlust von geliebten Menschen macht mir Angst."
Mein ganzes Bewusstsein hat sich verändert. Der Tod ist real. Abschied nehmen ist real. Meine Jugend aber eben auch. Ich habe im Hospiz schöne Begegnungen gehabt. Und, ich gehe dann manchmal raus und denke mir: Krass, ich darf leben. Die Menschen sind ja im Schnitt zwei Wochen im Hospiz, bevor sie sterben. Es geht bei diesem Ehrenamt darum, zu dem Patienten zu kommen, um einfach Zeit zu haben. Man kann niemandem mehr helfen, das Sterben nicht aufhalten. Aber man kann Beistand leisten. Einfach nur da sein und schauen, wie es dieser Person geht und was sie gerade braucht. Ich empfinde das als sehr bereichernd für mein Leben.
Gerade jetzt habe ich keine Angst. Aber das ändert sich immer wieder. Ich glaube aber, die Angst, dass jemand aus meinem engeren Umfeld stirbt, ist grösser. Gegen den eigenen Tod kann man nichts machen. Der Verlust von geliebten Menschen ist bedrängender. Wie lebe ich damit weiter? Dadurch, dass ich mich mit dem Tod beschäftige, wird er konkreter. Ich habe vor Dingen nur so lange Angst, solange sie diffus sind. Und: Der Tod ist nicht das Gegenteil vom Leben, sondern nur das Ende.
Es ist vielleicht ein bisschen so wie mit der Suche nach einem Ideal von Liebe. Das kennt man aus Pop-Songs: Da wartet eine Person darauf, dass der eine oder die eine kommt, und sie dann rettet. Dann ist man endlich glücklich und erfüllt. Ich frage mich manchmal, ob das früher nicht auch die Vorstellung von Gott war: der eine, der kommt, und dann ist alles gut. Offensichtlich gibt es da dieses Bedürfnis, dass wir von etwas ausgefüllt werden wollen, um glücklich zu sein. Die Lücke, die man füllen muss. Ich weiss nicht, warum das so ist, aber dieses Phänomen fasziniert mich.
Sophia Fritz, Gott hat mir nie das Du angeboten, 2019, Herder Verlag, 176 Seiten.
Sophia Fritz (22) studiert Drehbuch an der Hochschule für Film und Fernsehen München. Auf Instagram teilt sie als "Josephine Frey" Poesie. Meistens über die Liebe. Jetzt hat sie ein Buch über ein ganz anderes Thema geschrieben - über die Sehnsucht nach Gott, über den Kinderglauben, den man als junger Erwachsener immer mehr anzweifelt und über Fragen, auf die man keine Antwort kennt. Ehrenamtlich lässt sich Sophia aktuell ausserdem zur Sterbebegleiterin ausbilden.
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